Reaktionen auf die taz-Berichterstattung: Hefte raus, Mathearbeit
Trotz der Rechenfehler hält Lungenarzt Köhler an seinen Schlussfolgerungen fest. Wir erklären unsere Rechnung daher gerne noch einmal.
Nachfragen von KollegInnen anderer Medien, die die Geschichte aufgreifen wollten. Viel LeserInnenpost, teils mit Glückwünschen, teils mit vernichtender Kritik – etwa von einem Mathelehrer, der die Rechnung der taz erst in Grund und Boden verdammte, bevor er nach einer erneuten Erläuterung zerknirscht um Entschuldigung bat. Und dazu jede Menge Diskussionen in den sozialen Medien.
Immer wieder kamen dabei Fragen zum genauen Rechenweg auf. Er findet sich nun hier: für die Berechnungen zum Stickoxid und hier für die Werte zum Feinstaub.
Hier darum nur noch einmal die Ergebnisse in Kurzform. Ein Kernargument von Köhler ist der Vergleich der Schadstoffmenge, die über die Außenluft aufgenommen wird, mit den Schadstoffen, die beim Rauchen aufgenommen werden. Epidemiologen halten dies Vorgehen unabhängig vom Ergebnis und damit von Rechenfehlern für unseriös, weil kurzfristige Spitzenbelastungen ganz anders wirken können als niedrige Dauerbelastungen. Aber zudem stimmen eben auch die Werte nicht, mit denen Köhler arbeitet.
Beim NO2 liegt Köhler komplett daneben
In der berühmt gewordenen Stellungnahme heißt es, ein Mensch, der eine Schachtel am Tag rauche, erreiche „in weniger als zwei Monaten die Feinstaubdosis, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher im Leben einatmen würde“. Und weiter: „Beim NOx sind die Unterschiede ähnlich, wenn auch etwas geringer.“ Statt NOx muss es hier, wie Köhler einräumt, NO2 heißen, denn nur dafür gibt es überhaupt einen Grenzwert, mit dem der Vergleich möglich ist.
Beim NO2 – also jenem Gas, das für die geplanten oder schon umgesetzten Diesel-Fahrverbote verantwortlich ist – liegt Köhler mit seiner Rechnung aber komplett daneben. Die Menge, die man in 80 Jahren über die Außenluft im Grenzwertbereich einatmet, nimmt ein Raucher, der eine Schachtel am Tag raucht, nicht in rund 2 Monaten zu sich, wie es in der Stellungnahme heißt – sondern in 6,4 bis 32 Jahren. (Die Spanne ergibt sich daraus, dass im Zigarettenrauch der NO2-Anteil am NOx bei 10 bis 50 Prozent liegt.)
Die Größenordnung verändert sich also komplett. Und Köhlers intendierte Aussage, dass NO2 aus der Außenluft gegenüber der durchs Rauchen aufgenommenen Menge zu vernachlässigen sei, wird damit ins Gegenteil verkehrt.
Doch davon will Köhler nichts wissen. Der taz teilte er nach Veröffentlichung des Artikels lediglich mit, er finde diesen „ziemlich einseitig“. In einem Interview mit der Westfalenpost sagt er über die falschen Zahlen zum NO2: „Mit denen operiere ich schon seit Jahren nicht mehr.“ Eine trickreiche Nebelkerze: Tatsächlich nennt er in der Stellungnahme keine konkrete Zahl für NO2, stellt durch die Aussage, die Unterschiede seien dort ähnlich wie beim Feinstaub, natürlich trotzdem einen klaren Vergleich an, der auf der falschen Rechnung beruht.
Anders ist die Situation beim Feinstaub: Dazu schreibt Köhler in der Stellungnahme, die Konzentration im Zigarettenrauch erreiche „100–500 g/m3“ – also ein halbes Kilo Staub in einem Kubikmeter Rauch –, was im Widerspruch zur direkt folgenden Aussage steht, dieser Wert sei 1 Million Mal größer als der Grenzwert (der für Feinstaub bei 50 µg/m3 liegt). Der Absolutwert sei falsch, räumte Köhler ein.
Korrekt sei ein Zehntel, also 10 bis 50 Gramm pro Kubikmeter. (Hier gab es in der Printausgabe von Donnerstag und kurzzeitig auch in der Onlineversion des Textes einen Schreibfehler: Statt „Gramm“ stand dort im vorletzten Absatz zweimal „Mikrogramm“. Die Rechnung wurde dadurch aber nicht beeinflusst – es bleibt klar, dass sich Köhler um einen Faktor von 10 korrigiert. Wir bitten trotzdem um Entschuldigung für mögliche Verwirrung.)
Seine Argumentation war auch ohne Fehler unseriös
Im Ergebnis ist die Größenordnung für Köhlers Feinstaubvergleich trotz des falschen Ausgangswerts richtig, wohl weil Köhler mit dem richtigen Faktor von 1 Million weitergerechnet hat. Köhler schreibt, um die gleiche Menge Feinstaub aufzunehmen wie in 80 Jahren aus der Außenluft, müsse man knapp zwei Monate lang eine Schachtel am Tag rauchen.
Ganz richtig ist aber auch dieser Wert nicht, denn Köhler leitet die Feinstaubmenge pro Zigarette aus dem sogenannten Kondensatwert ab – einem Wert, den Raucher kennen dürften, weil er früher auf jeder Zigarettenschachtel stand. Köhlers Rechnung entspricht einem Kondensatwert von 12,5 Milligramm pro Zigarette. Erlaubt sind aber seit 2004 nur noch maximal 10 Milligramm. Wenn man mit diesem Maximalwert rechnet (der nicht dem Durchschnittswert entsprechen dürfte), verlängert sich der Zeitraum in Köhlers Feinstaubvergleich dadurch von 1,9 auf 2,4 Monate.
Köhler selbst, der eingeräumt hat, den seit 15 Jahren geltenden EU-Wert nicht zu kennen, nennt im Interview mit der Westfalenpost sogar nur einen korrigierten Wert von 2,1 Monaten. Eine Rückfrage, wie dieser zustande komme, ließ er unbeantwortet.
Nicht nur für Köhler ist der Fehler „lächerlich gering“, wie er der Westfalenpost sagte. Auch die Bild-Zeitung, die als Erstes groß und ohne jede kritische Einordnung über das Papier der Lungenärzte berichtet hatte, steht weiter zu Köhler. Zwar berichtete auch Bild am Freitag über seine Fehler. Auf die Frage: „Bricht wegen seines Rechenfehlers jetzt die ganze Argumentation der Ärzte zusammen?“, antwortet die Zeitung aber klar mit „NEIN!“.
Und damit haben die KollegInnen ja sogar recht. Die Rechenfehler geben nur einen Hinweis darauf, wie Köhler arbeitet. Die Argumentation der Ärzte war, wie gesagt, nach Ansicht der breiten Mehrheit der EpidemiologInnen auch ohne die Fehler schon unseriös.
Update: Im viertletzten Absatz dieses Textes gab es zunächst einen Schreibfehler. Statt „12,5 Milligramm“ und „10 Milligramm“ stand dort „12,5 Gramm“ und „10 Gramm“. Es handelte sich um einen reinen Übertragungsfehler von der Rechnung in den Artikel; in der im Text verlinkten Berechnung waren die Einheiten korrekt, und auch am Ergebnis ändert sich nichts. Wir bitten um Entschuldigung für das Versehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung