Reaktionen auf Erdoğan-Politik: Kein EU-Beitritt bei Todesstrafe
Europas Politiker reagieren empört auf eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei. Präsident Erdoğan entlässt indes knapp 9.000 Staatsbedienstete.
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Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat die türkische Regierung nach dem gescheiterten Putsch aufgefordert, demokratische Grundsätze beim Vorgehen gegen ihre Kritiker zu respektieren. „Rechtsstaatliche Kriterien, das Gebot der Verhältnismäßigkeit“ müssten weiter Beachtung finden, sagte Steinmeier am Montag beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel. Er verwies dabei auch auf die „große Einigkeit“ bei Bürgern und im Parlament, sich gegen das „Joch einer Militärdiktatur“ zu stellen.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini warnte Ankara vor der Wiedereinführung der Todesstrafe nach dem Putschversuch. „Kein Land kann EU-Mitglied werden, wenn es die Todesstrafe einführt“, sagte sie, nachdem der Staatschef Recep Tayyip Erdoğan am Sonntagabend diese Möglichkeit ins Gespräch gebracht hatte.
Ähnlich wie Mogherini äußerte sich der österreichische Außenminister Sebastian Kurz zur Todesstrafe. Er kritisierte die Massenverhaftungen nach dem Putschversuch vom Freitag scharf. „6.000 Verhaftungen mit 3.000 Angehörigen aus der Justiz“ seien „absolut unakzeptabel“, sagte er. Der Putschversuch dürfe nun nicht „als Freibrief für Willkür verwendet werden“.
Fast 9.000 Beamte entlassen
Nach dem fehlgeschlagenen Putsch in der Türkei sind fast 9.000 Beamte entlassen worden. Insgesamt 8.777 Staatsbedienstete seien ihrer Posten enthoben worden, darunter 30 Gouverneure und 52 Inspekteure, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag unter Berufung auf das türkische Innenministerium. Nach dem Putschversuch waren bereits am Wochenende rund 6.000 Menschen festgenommen worden, darunter mehr als hundert Generäle und Admiräle. In der Türkei gibt es 81 von Gouverneuren geführte Provinzen. Am Sonntag hatte Erdoğan angedroht, die „Säuberung aller staatlichen Institutionen von diesem Geschwür“ werde weitergehen.
Die türkische Regierung gerät wegen ihres Vorgehens gegen mutmaßliche Unterstützer des Putschversuches zunehmend unter internationalen Druck. Bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel zeigten sich etliche Teilnehmer tief besorgt über die Entwicklungen in dem Land, das auch EU-Beitrittskandidat ist. Die EU-Kommission warf den Staatsführung um Präsident Recep Tayyip Erdoğan sogar Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit vor.
Man habe sofort nach den Ereignissen die Erwartung geäußert, dass die Aufarbeitung nach internationalem Recht erfolge, sagte der für die EU-Beitrittskandidaten zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn am Montag in Brüssel vor einem Treffen der EU-Außenminister. „Nach dem, was wir sehen, ist das nicht wirklich der Fall.“
Die Befürchtungen werden wahr
Hahn zeigte sich speziell über die Festnahme von Richtern beunruhigt. „Das ist genau das, was wir befürchtet haben“, sagte er. Zudem äußerte er die Vermutung, dass die türkische Regierung ein Vorgehen gegen Gegner bereits länger geplant hatte. „Dass Listen direkt nach den Vorkommnissen vorhanden waren, deutet darauf hin, dass sie vorbereitet waren und zu einem bestimmtem Moment genutzt werden sollten“, sagte er.
Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte: „Wir müssen aufpassen, dass die türkischen Behörden kein System einrichten, das sich von der Demokratie abwendet.“ Die Türkei habe in den vergangenen Jahren viele Fortschritte gemacht und Reformen abgeschlossen, nun bestehe aber offensichtlich die Gefahr einer Kehrtwende.
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn kritisierte explizit das Vorgehen gegen Justizvertreter sofort nach dem Ende des Putschversuchs. „Es ist befremdlich, dass einige Stunden nach dem Versuch fast 3.000 Richter abgesetzt werden“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“ In einem Rechtsstaat müsse die Gewaltenteilung respektiert werden. Statt mit Emotionen und starken Worten zu reagieren müsse sich die Türkei jetzt selbstkritisch fragen, wie es zu dem Umsturzversuch kommen konnte, forderte Asselborn.
Der neue britische Außenminister Boris Johnson kommentierte, alle Seiten sollten nun Zurückhaltung und Mäßigung zeigen.
Tornados der Bundeswehr in Incirlik starten wieder
Nach den USA hat auch die Bundeswehr auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik den routinemäßigen Flugbetrieb wieder aufgenommen. Die Tornados und Tankflugzeuge im Einsatz gegen die IS-Dschihadisten würden seit Montag wieder starten, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin. Die Sicherheitsstufe auf der Basis im Süden der Türkei sei zwar noch immer angehoben, aber „das Leben auf der Basis geht langsam wieder zur Normalität über“.
Das US-Verteidigungsministerium hatte bereits am Sonntagnachmittag erklärte der türkische Luftraum sei für Militärflugzeuge wieder offen.
Nach dem Putschversuch in der Nacht zu Samstag hatten die türkischen Behörden den Stützpunkt abgeriegelt. Bundeswehrsoldaten durften die Basis aufgrund der erhöhten Alarmstufe nicht verlassen.
Die Bundeswehr ist auf der Basis Incirlik unweit der syrischen Grenze am Kampf gegen den IS beteiligt. Sie hat dort rund 240 Soldaten stationiert. Die US-Armee hat etwa 1.500 Soldaten und mehrere Dutzend Kampfflugzeuge und Drohnen auf dem Stützpunkt. Neben türkischen und britischen Kampfjets gibt es dort außerdem saudiarabische F-16-Kampfflugzeuge.
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