BERLINtaz | In Deutschland ist die Freude, aber auch die Überraschung über die Freilassung von Deniz Yücel groß. Nach dem Treffen am Donnerstag zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem türkischen Ministerpräsident Binali Yıldırım hatte es noch nicht nach einer Lösung ausgesehen. Merkel sprach bei der gemeinsamen Pressekonferenz gar von „Trübungen“ im deutsch-türkischen Verhältnis.
Um so euphorischer fiel am Freitag Merkels Reaktion aus. „Ich freue mich wie viele, viele andere, dass er heute das Gefängnis verlassen konnte“, sagte die Kanzlerin in Berlin. „Ich freue mich natürlich für ihn, ich freue mich für seine Frau und die Familie, die ja ein sehr sehr schwieriges Jahr der Trennung aushalten musste“. Merkel dankte „allen, die sich dafür eingesetzt haben“, dass Yücel nun auf freiem Fuß sei.
Merkel dankte auch der Zivilgesellschaft in Deutschland und anderswo, die durch „ihr beständiges Eintreten und Nichtvergessen ihren Beitrag dazu geleistet haben“. Sie verwies zugleich auf weitere „vielleicht nicht ganz so prominente Fälle“ von Menschen, die weiter in türkischen Gefängnissen sitzen. Auch für diese hoffe sie auf zügige und rechtstaatliche Verfahren. In ihren Dank schloss Merkel auch „ganz besonders die Bemühungen des Außenministeriums mit ein und des Außenministers“ Sigmar Gabriel (SPD). Es habe sich gezeigt, „dass vielleicht Gespräche auch nicht ohne Nutzen sind“, sagte die Kanzlerin. „Wie genau die Wirkungen sind, weiß man nicht“, fügte sie hinzu.
Deniz ist frei
Nach 367 Tagen in türkischer Haft ist der Journalist Deniz Yücel am 16. Februar 2018 freigelassen worden. Die freudige Nachricht verbreitete sich über die Sozialen Netzwerke - zusammen mit diesem Foto, das Yücels Anwalt Veysel Ok vor dem Gefängnis Silivri aufgenommen hat. Deniz umarmt seine Frau Dilek, die mit einem Strauß Petersilie auf ihn gewartet hat.
Foto:
Veysel Ok
Das Bild von Deniz und Dilek flimmert auch auf den Bildschirmen im Newsroom der Springer-Zeitung „Die Welt“, der Arbeitgeberin von Deniz Yücel, als Springer-Vorstand Mathias Döpfner, „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt und Außenminister Sigmar Gabriel eine Erklärung zur Freilassung von Yücel abgeben. Gabriel erklärt, er habe in den vergangenen Tagen zweimal mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan in der Sache telefoniert.
Foto:
reuters
Deniz Yücel saß ohne Anklage im Gefängnis. Die türkische Justiz wirft dem Ex-taz-Redakteur vor, Terrorpropaganda verbreitet zu haben. Yücel hält dagegen, er habe nur seine Arbeit als Journalist gemacht. Mit Deniz Yücels Freilassung hat das zuständige Gericht auch die Anklageschrift gegen ihn akzeptiert. Laut Nachrichtenagentur Anadolu fordert der Staatsanwalt darin bis zu 18 Jahre Haft für Yücel.
Foto:
dpa
Das Verfahren gegen Deniz wird also aufrechterhalten. Der hatte beim türkischen Verfassungsgericht Beschwerde gegen seine Haftbedingungen eingereicht und vor dem Europäischen Menschengerichtshof geklagt. Zum 1. Jahrestag seiner Inhaftierung versammelten sich Unterstützer_innen auf dem Dach der taz und verliehen ihrem Protest mit erhobenen Fäusten Ausdruck. Wer steckt unter den T-Shirts?
Foto:
Karsten Thielker
Seine ehemaligen Kolleg_innen von der taz.
Foto:
Karsten Thielker
Im Laufe des vergangenen Jahres fanden zahlreiche Solidaritätsaktionen für Yücel statt. In Anlehnung an Yücels allgegenwärtige Zigarette im Mundwinkel versammelten sich am 14. November rund 150 Menschen vor dem taz-Gebäude zum „politischen Rauchen“ für seine Freilassung.
Foto:
Karsten Thielker
Gut einen Monat zuvor, am 10. Oktober, führten Mitglieder und Sympathisanten der gemeinnützigen „PixelHelper Foundation“ für Menschen- und Tierrechte in Berlin vor dem türkischen Konsulat einen „Haka“ auf. Sie wollten mit dem traditionellen Tanz der neuseeländischen Maori auf seine Inhaftierung aufmerksam machen.
Foto:
dpa
Im September rollten seine Unterstützer_innen und Freund_innen anlässlich seines Geburtstags bei einem lautstarken Korso mit Autos, Mopeds und Fahrrädern durch die Stadt, um ihre Solidarität zu demonstrieren.
Foto:
dpa
Am 21. Juni 2017 erhielt Deniz in Abwesenheit den Theodor-Wolff-Preis, den Journalistenpreis der deutschen Zeitungen. Seine Frau, Dilek Mayatürk-Yücel, nahm den Preis entgegen.
Foto:
dpa
Politiker der Grünen demonstrierten für seine Freilassung: Chris Kühn, Özcan Mutlu und Dieter Janecek (v.l.n.r.) zeigten am 9. April ihre Solidarität.
Foto:
dpa
Schon am 28. Februar fuhren hupende Autokorsos durch Berlin und zahlreiche weitere Städte. Die Demonstrant_innen forderten Freiheit für Yücel und alle weiteren inhaftierten Journalisten in der Türkei.
Foto:
dpa
Einige fuhren sogar mit dem Bus Korso – wie hier in Hannover. Mit dem Konterfei von Yücel taten sie ihren Unmut über die gegenwärtigen Stand der Pressefreiheit in der Türkei kund.
Foto:
dpa
Wer kein Auto hatte, stieg für die Pressefreiheit aufs Rad. Nur echt mit Schnauzer. Je suis Deniz!
Foto:
dpa
Auch der Springer-Verlag forderte immer wieder über sein Display am Dach der Zentrale in Berlin die Freilassung seines Korrespondenten.
Foto:
ap
Nicht zu überhören sollte der Protest für die Kanzlerin sein. Der Korso passierte auch das Bundeskanzleramt, einige Fahrzeuge trugen die Aufschrift „Erdogan weghupen“. Merkel hatte die Entscheidung über die U-Haft für Yücel als „enttäuschend“ und „unverhältnismäßig hart“ bezeichnet.
Foto:
dpa
Grünen-Politiker Özcan Mutlu rief nach dem U-Haft-Beschluss am 28. Februar zur Demonstration vor der türkischen Botschaft in Berlin auf. Auch hier forderte man schlicht und einfach: „Free Deniz!“
Foto:
reuters
In seinem Heimatort Flörsheim (Hessen) gab es am 25. Februar einen Korso. Seine Schwester Ilkay Yücel war auch dabei.
Foto:
dpa
Erdogan-Kritiker Cem Özdemir machte sich mit Megafon vor der Botschaft für Deniz Yücel stark.
Foto:
Christoph Kürbel
Auch die taz-Redaktion zeigte schon früh Solidarität mit ihrem ehemaligen Mitarbeiter. Er hatte bis zum Frühjahr 2015 für sie gearbeitet. Für die Protestaktion nach seiner Verhaftung brachte die „Welt“ sogar Plakate und T-Shirts vorbei. So einig ist man sich selten.
Foto:
dpa
Der erste „Korso4Deniz“ fuhr schon am 19. Februar durch Berlin – als Protest gegen seine Gewahrsamnahme in Istanbul.
Foto:
dpa
Deniz in Istanbul an sonnigeren Tagen. Zu hoffen ist, dass er nach seiner Freilassung irgendwann wieder eine Kippe am Bosporusufer genießen kann.
Foto:
privat
Der geschäftsführende Bundesaußenminister war am Freitag in München bei der dortigen Sicherheitskonferenz. Vor dem Tagungsort, dem Hotel Bayerischer Hof, gab er ein kurzes Statement ab. Es sei „ein guter Tag, um zu zeigen, dass es manchmal etwas lange dauert, aber dass Diplomatie und der Versuch, miteinander im Gespräch zu bleiben, Erfolg haben kann“. Es seien sehr viele Gespräche mit der türkischen Regierung geführt worden. In den beiden vergangenen Wochen habe er zweimal mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan gesprochen. „Wir haben versucht, Vertrauensbildung zu betreiben und die türkische Regierung davon zu überzeugen, das Verfahren zu beschleunigen“.
Wir haben versucht, die türkische Regierung davon zu überzeugen, das Verfahren zu beschleunigen
Sigmar Gabriel, Außenminister
Ausdrücklich bedankte sich Gabriel bei seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu und bei der Kanzlerin. Merkel habe ihn „hart arbeiten lassen“, so der Politiker.
Auch der Bundespräsident drückte seine die Hoffnung aus, dass die Freilassung Yücels Bedingungen schaffe, die zu einer Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen führten. „Deniz Yücel ist frei, das ist eine gute Nachricht“, erklärte Steinmeier. „Ich danke allen, die während der Haftzeit Kontakt zu ihm gehalten und sich um seine Freilassung bemüht haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei!
Jetzt unterstützen
Ich dachte, Deutschland wäre das Land, wo Mensch seine Meinung frei äußern könnte. Mensch kann das tun. Aber nur, wenn es zu den Interessen der Bundesrepublik passt.
Jetzt kann man darüber nachdenken, wie man im Land mit den meisten inhaftierten Journalisten weitere Menschen aus der Haft rausholen kann.
4G
4932 (Profil gelöscht)
@Stefan Mustermann:
Da bleiben wirklich mehr Fragen als Antworten. Zitat:
'Es seien sehr viele Gespräche mit der türkischen Regierung geführt worden'.
Sagen wir mal 'sehr viele' heißt 60-80. Offenbar immer mit dem gleichen Thema. Bis Yildirim oder Çavuşoğlu sagte: 'Hör auf, Nervensäge Gabriel, ich kann's nicht mehr hören'?.
Und was heißt, Merkel habe Gabriel 'hart arbeiten lassen'? Was hat er da gearbeitet? Hat er kleine Goldbarren in sein Wams einnähen lassen und nach Istanbul geschleppt? Oder hat er MontBlanc-Kugelschreiber handsigniert, um sie Çavuşoğlu zu schenken?
Es ist gut, daß einer draußen ist, aber es ist nicht gut, den Deutschen eine solche Märchenstunde aufzutischen.
Langsam! Zunächst wurden parallel zur Entlassung Yücels in einem erneuten Willkürakt eine Handvoll Journalisten zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Von gebrochenem Eis kann deshalb wohl überhaupt keine Rede sein.
Der angeblich beliebteste deutsche Politiker Gabriel, der zunächst ja bei seinem Töchterchterchen bleiben wollte, taucht nun doch bei den Sicherheits- und Rüstungsfachleuten in München auf. Genüsslich sonnt er sich im Erfolg seiner Gespräche mit Erdogan, der sich ein Jahr lang auf die unabhängige türkische Justiz herausgeredet hat.
Wenn es wirklich der vielen diplomatischen Bemühungen Gabriels bedurft hat, um das Verfahren Ycel zu beschleunigen, ist dies im allerbesten Fall kein Basarhandel, sondern höchstens eine spezielle Gnade, um die Deutschen zu beruhigen.
Wer ledoch eine einseitige Großzügigkeit der türkischen Machthaber ohne Gegenleistung tatsächlich glauben möchte, sollte sich mit Jubelarien zurückhalten, solange immer noch kritische türkische Journalisten weiterhin in Gefängnissen verschwinden und solange auch in diesen Tagen PolitikerInnen der Opposition mit lächerlichen Anschuldigungen inhaftiert werden.
Yücels Freilassung bedeutet nicht weniger als den Rücktritt Recep Tayyip Erdoğans.
„Solange ich im Amt bin, wird er niemals auf freien Fuß kommen“, hatte Erdogan am 14. April 2017 in einem Fernsehinterview gesagt und wer wollte heute noch ernsthaft an den Worten des Sultans aus Rize zweifeln?
Da können wir aber froh sein, eine solche "Regierung" ebenfalls los zu werden! Deniz Yüzel ist heute gemäß Orientalischer „Rechtsprechung (ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil,
nach einem Jahr Haft) auf Orientalische Wunderlampen Weise wieder freigezaubert worden!"
Von Demokratie-Versuchen im Türkischen Sultanat kann ich nichts erkennen. Demokratie bedeutet, dass die Besten gewählt werden und daß es nach dem Gesetz zugeht (Aristoteles / Politaia).
Dank der AfD darf der Sultan uns weiterhin als Nazis beschreiben denn in deren Program für Deutschland steht:
"7.6.1 Der Islam gehört nicht zu Deutschland!
Die Religionsfreiheit wollen sie abschaffen?
8G
81622 (Profil gelöscht)
Gabriel bedankt sich beim Geiselnehmer: "Ich danke ausdrücklich der türkischen Regierung für ihre Unterstützung bei der Verfahrensbeschleunigung." hahhaha...und kocht sein eigenes Aussenminister-Süppchen...die Zeche bezahlen dann die Kurden und türkische Oppositionelle.
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner