Razzia nach Neonazi-Outing in Görlitz: Türen aufgebrochen? Ja. Durchsuchungsbeschluss? Nein
Wegen Plakaten durchsuchte die Polizei ein Hausprojekt in Görlitz. Doch die nötigen richterlichen Anordnungen fehlten teils, berichten Bewohner:innen.
Hintergrund der Razzia in der östlichsten Stadt Deutschlands sind laut eines Durchsuchungsbeschlusses, den die taz einsehen konnte, „mindestens 15 Plakate“, die im Mai in Görlitz auftauchten. Auf diesen wird vor einem lokalen Neonazi gewarnt. Er sei „als gewaltbereit und gefährlich einzuschätzen“, habe sich im Dezember am Angriff auf eine Gruppe Linker beteiligt. Auf dem Plakat sind seine Adresse und ein Foto von ihm zu sehen.
Das Ziel des bei Antifa-Gruppen gebräuchlichen „Neonazi-Outings“: Alle sollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Die Staatsanwaltschaft Görlitz wertet die Plakate hingegen als „gefährdende Verbreitung personenbezogener Daten“, die die Person der Gefahr aussetze, „Opfer von Körperverletzungsdelikten“ zu werden. Zwei Bewohner:innen der „Hospi30“ beschuldigt die Staatsanwaltschaft, beteiligt zu sein und hat beim Görlitzer Amtsgericht Durchsuchungsbeschlüsse gegen sie erwirkt. Drei weitere Beschlüsse setzte die Polizei zeitgleich in anderen Immobilien durch.
Was genau während der Razzia in der „Hospi30“ passierte, davon gibt es unterschiedliche Versionen. Eine stammt von der Bewohnerin der ersten Wohnung, die die Polizei an diesem Morgen betrat. Ihren echten Namen möchte sie im Zusammenhang mit der Razzia nicht veröffentlichen. Als die Beamt:innen ihre Wohnungstür aufbrachen, habe sie noch geschlafen, erzählt die Frau. „Polizei! Polizei! Polizei!“, schallte es durch ihre Wohnung, kurz darauf umringten bewaffnete Polizist:innen ihr Bett. „So aufzuwachen ist echt ein krasser Schock“, sagt sie.
Polizei mit Links-Rechts-Schwäche
Auf Nachfrage hätten die Polizist:innen ihr erklärt, einen Beschluss gegen die Person zu haben, die in der Wohnung lebe. Wo der Herr denn sei? Sie habe erwidert: „Hier wohne nur ich allein.“ Daraufhin hätten die Polizist:innen erst mal herumgedruckst. „Es hat echt ein paar Minuten gebraucht, bis sie eingesehen haben, dass sie in der falschen Wohnung sind.“
Wie das passieren konnte? Für die Bewohnerin unklar. „An meiner Wohnungstür steht nur mein Name. Auch beim Amt ist die Wohnung exakt mit Lage angegeben. Es hätte keine Verwechslung geben dürfen.“ Später habe sie gehört, wie Polizist:innen darüber sprachen, dass es auf die Perspektive ankomme, welche Wohnung links oder rechts liege.
Ansonsten seien die Beamten aber eher wortkarg gewesen. Warum die Polizei im Haus Wohnungen durchsuchte, habe die Bewohnerin zuerst durch Medienberichte erfahren. „Als ich den ersten Artikel gelesen habe, hatte ich die Polizei schon mehrfach gefragt, warum sie im Haus sind. Aber uns hat die Polizei nichts gesagt, der Presse schon.“
Eine andere Version dieser ersten Razziaminuten erzählt die Staatsanwaltschaft: Für jede aufgebrochene Wohnung habe es einen Durchsuchungsbeschluss gegeben. Es sei das „übliche Vorgehen“, den betreffenden Personen diesen vorzulegen. Im geschilderten Fall sei das nicht nötig gewesen, so die Staatsanwaltschaft, „da die Bewohnerin vorerst kein Ziel der Maßnahme war“.
Aber wenn die Polizei einen Beschluss hatte, weshalb legte sie den nicht vor? Und falls sie keinen hatte, weshalb war sie dann in der Wohnung? Auf Nachfrage der taz heißt es: Das könne derzeit nicht beantwortet werden, noch lägen nicht alle Verfahrensunterlagen vor. „Wir versuchen, aufzuklären, wie der Einsatz genau vonstattenging.“ Die Polizeiinspektion Görlitz, die den Einsatz geleitet hat, äußerte sich nicht auf taz-Anfrage.
Verein reicht Klage ein
Im Verlauf der Razzia kam es zu weiteren Ungereimtheiten. Dabei hätte die Polizei in der WG eines Beschuldigten das private Zimmer seines Mitbewohners durchsucht, ohne einen Durchsuchungsbeschluss vorzulegen. Dazu erklärt die Staatsanwaltschaft, sie habe vor der Razzia 26 weitere Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt, die sich gegen Unbeschuldigte richten. Ob ein solcher vorgelegt worden sei, könne die Staatsanwaltschaft nicht beantworten.
Zum Schluss ging es dann um die Räume des Vereins Hausundhof im Hinterhof der „Hospi30“. Der Verein verwaltet das Haus, betreibt unter anderem eine Mediathek und einen Umsonstladen. Die Räume habe die Polizei ebenfalls durchsucht, ohne dem anwesenden Vereinsvorstand einen entsprechenden Beschluss vorzulegen oder zu erwähnen. Stattdessen sei gesagt worden, es bestehe eine Verbindung zu den Beschuldigten und außerdem sei „Gefahr im Verzug“. Welche Gefahr, das bleibt bislang unklar, die Staatsanwaltschaft äußert sich nicht dazu.
In den Räumen hätten die Ermittler drei Computer konfisziert, ohne das zu protokollieren. Die Staatsanwaltschaft widerspricht dieser Darstellung.
Der Verein wehrt sich nun juristisch und hat einen Anwalt engagiert. Er halte die Durchsuchung der Vereinsräume nicht nur für unverhältnismäßig, sondern für rechtswidrig, sagt Anwalt Björn Eberling zur taz. „Wir möchten, dass das Amtsgericht das feststellt.“ Die konfiszierten Computer sollten von den Behörden so schnell wie möglich zurückgegeben werden. Allerdings, räumt Elberling ein, könne es ein paar Wochen dauern, bis das Gericht darüber entscheidet – juristischer Alltag.
Rund 150 Görlitzer:innen sehen die Durchsuchung in der „Hospi30“ ähnlich kritisch und kamen am Freitag zu einer Solidemo. Anmelderin war Samara Schrenk, Pflegekraft, Mitglied des Linken-Kreisvostands in Görlitz und eine der beiden Politikerinnen, die vergangenen Dezember von Neonazis ins Krankenhaus geprügelt wurden. Mit der Demo sei die 21-Jährige zufrieden. Aber sie glaube, bei den Durchsuchungen sei es nicht nur darum gegangen, Beweise zu finden. Es sei „ein Einschüchterungsversuch gegen alle, die sich in Görlitz gegen Neonazis“ einsetzen. Die Razzia wegen der Plakate hält Schrenk für unverhältnismäßig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nato-Gipfel
Europäischer Kniefall vor Trump
Geheimdienst-Gremium ohne Linke und AfD
Heidi Reichinnek fällt durch
Psychisch kranke Flüchtende
Konsequente Hilfeverweigerung
Wirtschaftsministerin gegen Klimaziele
Reiche opfert uns den Reichen
Spahns Maskenaffäre
Erfolgreich versenkt
Grenzen der DNA-Analyse
Mehr Informationen oder mehr Rassismus?