Antiziganismus in Berlin: Razzia im Schafspelz
Jobcenter, Polizei und Presse rücken bei einem von Rom*nja bewohnten Hotel an. Kritiker*innen sprechen von Antiziganismus und medialer Hetze.
taz | Es war ein ungewöhnlicher Hausbesuch vom Jobcenter, dem die in einer Bedarfsunterkunft in Schöneberg wohnenden Rom*nja am Dienstagmorgen ausgesetzt waren. Angestellte der Berliner Jobcenter sind um sechs Uhr morgens mit einem Aufgebot von 21 Polizeibeamten unangekündigt am „BB Hotel Berlin“ in der Fuggerstraße angerückt. Auch der Tagesspiegel war dabei, um die Aktion abzulichten und danach von der „berüchtigten Roma-Unterkunft“ zu berichten.
„Dass die Presse dabei war, ist völlig unangemessen und widerspricht dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung“, sagt Anne-Marie Braun, die sich mit Schöneberg Hilft e. V. für die Rechte von Geflüchteten und sozial Benachteiligten engagiert. Es sei grundsätzlich in Ordnung, wenn das Jobcenter Leistungsempfänger*innen besucht – nicht aber, wenn diese von der Polizei begleitet werden und allem Anschein nach auch noch die Presse einladen.
Die Jobcenter erklärten in einer darauffolgenden Pressemitteilung, die Absicht des Besuchs sei neben der „Beratung und Unterstützung für die Menschen vor Ort“ auch die „Aufklärung von möglichen Missbrauchsstrukturen“ von Sozialleistungen gewesen. Das Ergebnis: Von 70 Aufgesuchten seien 19 Personen angetroffen worden, einige Beratungs- und Arbeitsvermittlungsgespräche hätten stattfinden können.
Auf Nachfrage der taz, ob denn Gründe bestanden hätten, von Sozialbetrug auszugehen, sprechen die Berliner Jobcenter von „Auffälligkeiten in den Zahlungssystemen, die Betrug wahrscheinlich erscheinen lassen“. Offenkundig wurden bei dem Besuch jedoch keine Hinweise auf Leistungsbetrug festgestellt.
Razzia wird als Beratung dargestellt
Der Amaro Foro e. V., der sich gegen die Diskriminierung von Rom*nja einsetzt, sagt zur taz: „Die Razzia wird auf unglaubwürdige Weise als gutwillige Beratungsaktion dargestellt.“ Viel eher diene solch eine Aktion zur Kriminalisierung von Leistungsempfänger:innen und zur Abschreckung unerwünschter Migration.
Schon seit Längerem steht die Unterkunft in der Fuggerstraße im Fokus medialer Berichterstattung. Seitdem das Hotel seit 2020 als Notunterkunft für Rom*nja dient, kam es wohl zu Beschwerden von Nachbar*innen, die sich vor allem an der Präsenz der Bewohner*innen auf der Straße stören. Das berichten zumindest die Berliner Zeitung und der Tagesspiegel.
Im vergangenen Monat veröffentlichte der Amaro Foro e. V. eine Stellungnahme zur medialen Darstellung der dort lebenden Rom*nja: Das Hotel sei zu einer „medialen und gesellschaftlichen Bühne für Antiziganismus“ geworden, heißt es darin. Die Bewohner*innen seien auf die Unterkunft angewiesen und würden aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes und rassistischer Diskriminierung Gefahr laufen, ansonsten obdachlos zu werden. Außerdem seien die Wohnungen unzureichend ausgestattet und oft viel zu eng für die Familien. Deshalb hielten sich die Bewohner*innen vor allem im Sommer oft auf der Straße auf, wo sie dann „rassistischen Zuschreibungen, unangemessenen Videoaufnahmen und Provokationen“ ausgesetzt seien.
Rassistische Narrative
Die Medienberichte der vergangenen Monate hätten maßgeblich zu einer „Eskalation der Situation“ beigetragen, heißt es in der Stellungnahme. Statt mit den Rom*nja in Kontakt zu treten, würden rassistische Narrative, „unbelegte Aussagen“ und „einseitige Beschwerden“ verbreitet. Dadurch hätten die beteiligten Medien eindeutig „journalistische Sorgfaltspflichten verletzt“.
Auch Jian Omar, migrationspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, verurteilt den kürzlichen Einsatz und die Medienbegleitung. So, wie es gelaufen ist, sei eine „ganze Menschengruppe öffentlich an den Pranger“ gestellt worden, sagt er zur taz. Statt Stigmatisierung und medialer Hetze brauche es konsequente Maßnahmen gegen strukturelle Hürden, denen Rom*nja ausgesetzt seien, etwa Arbeits- und Mietausbeutung, so Omar.
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