Razzia gegen Reichsbürger: Alles nur linke Propaganda

Die niedersächsische AfD-Fraktion spielt die Bedrohung durch die Reichsbürgerbewegung herunter. Verbindungen in den Apparat sorgen für Irritationen.

Polizisten führen Verhaftete von einem Hubschrauber weg

Staatsaktion: Per Hubschrauber wurden die Verdächtigen zur Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gebracht Foto: Uli Deck/dpa

HAMBURG taz | Unter den terrorverdächtigen Reichsbürgern, die das Bundeskriminalamt am Mittwoch in einer groß angelegten Razzia durchsucht hat, sind auch einige aus Niedersachsen. Der pikanteste Fall: ein Beamter des Landeskriminalamtes (LKA). Er war als Staatsschutzbeamter im Bereich Rechtsextremismus tätig.

Vor einer Woche war das BKA mit Spezialeinsatzkommandos gegen 54 Personen des bundesweiten Netzwerks Patriotische Union (PU) vorgegangen, das zur Reichsbürgerszene gehört. Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht an und gehen davon aus, dass das Deutsche Reich fortexistiert.

Bei den Durchsuchungen fanden die Polizisten 90 Waffen und auch Listen mit Leuten, die im Falle eines erfolgreichen Putsches an die Wand gestellt werden sollten. Der Generalbundesanwalt wirft den Beschuldigten vor, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben.

Nach einer Anhörung am Dienstag im Innenausschuss des Landtages zeigte sich André Bock von der CDU-Fraktion besorgt über die Verbindungen des PU-Netzwerks zur Polizei. Hier müsse auch über „die Kultur“ in den Behörden gesprochen werden, verlangte Bock.

Führen der Dienstwaffe untersagt

Das Innenministerium bestätigte, dass dem beschuldigten LKA-Beamten das Führen der Dienstwaffe sowie das Betreten der Dienststellen untersagt sei. Der Beamte ist vorläufig suspendiert. Bisher ist jedoch offen, ob er dem Netzwerk von Reichsideologie- und Querdenken-Bewegten dienstliche Informationen weitergegeben hat oder Hinweise vorab zu dem Einsatz gegen die PU. Das LKA verweist für nähere Informationen auf den Generalbundesanwalt, der die Verfahrenshoheit habe.

Offen bleibt daher auch, inwieweit der LKA-Beamte mit einem früheren Kollegen dienstlich zu tun hatte, der als potenzieller Putschist in Haft genommen wurde: Michael Fritsch. Der ehemalige Kriminalhauptkommissar aus Hannover zweifelte bei Querdenken-Demonstrationen die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik an und nannte seine Kolle­g*in­nen „gekaufte Söldner“.

Der in der Szene gefeierte „Schutzmann mit Herz und Hirn“ fabulierte von geheimen Militäreinsätzen, unterirdischen Bunkern unter dem Berliner Flughafen und Stuttgart 21, in denen die Flüchtlinge und Migranten für den Great Reset warteten. Er griff die QAnon-Verschwörung auf, nach der Kinder entführt würden, um aus deren Blut Adreno­chrom zu gewinnen.

Auf der Liste der Partei Die Basis kandidierte er für den Bundestag. Im April bestätigte das Verwaltungsgericht, dass Fritsch, der in Hildesheim lebt, zu Recht aus dem Beamtenverhältnis entlassen wurde.

Ordnungsruf für AfDler

In Haft kam auch Fritschs Lebensgefährtin Melanie R. aus Peine. Die Ärztin, die in Vechelde praktizierte, sollte nach dem Putsch „Gesundheitsministerin“ werden und für „spirituelle Fragen“ zuständig sein. 20.000 Euro soll sie der Terrorgruppe gespendet haben. Ebenfalls in Haft kam auch der promovierte Jurist Tim Paul G. aus Hannover. Er sollte Außenminister werden.

Bei einer aktuellen Stunde am Mittwoch im Landtag versuchte die niedersächsische AfD-Fraktion, die Bedrohung herunterzuspielen. Die große Razzia sei ein „PR-Coup“, sagte der Fraktionsvorsitzende Stefan Marzischewski-Drewes schon vor der Sitzung. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Klaus Wichmann, bezeichnete die PU als „skurrile Spinner-Truppe“.

Boris Pistorius, SPD, niedersächsischer Innenminister

„Hier gab es kriminelle Energie, Pläne den Bundestag zu stürmen, Abgeordnete zu verhaften“

Wichmann kassierte einen Ordnungsruf für einen Angriff auf Innenminister Boris Pistorius (SPD): Den Hinweis von Pistorius, dass die AfD Verbindungen zu den Reichsbewegten habe, kommentierte er mit den Worten: „Herr Pistorius, ich lege Ihnen dringend einen Arztbesuch ans Herz. Das ist krankhaft, was Sie da machen.“

In seiner Rede ging Pistoris auf keine AfD-Äußerung ein, er betonte vielmehr, dass die Reichsbewegten nicht verharmlost werden dürften: „Das hier ist eine ernstzunehmende Bewegung, mit der wir es zu tun haben, unabhängig davon, ob der Umsturz tatsächlich unmittelbar bevorstand“, sagte der Innenminister. „Hier gab es kriminelle Energie, hier gab es Pläne, den Bundestag zu stürmen, hier gab es die Absicht, Abgeordnete zu verhaften.“

Und wohl doch mit Blick auf die AfD mahnte er: „Wer das nicht ernst nimmt, steht auf der Seite dieser Verschwörer.“

AfD-Kontakte ins Reichsbürgermilieu

Der innenpolitische Sprecher der Grünen Michael Lühmann hielt der AfD auch vor, dass der Hinweis, keinen Reichsbewegten in der Fraktion zu haben, nicht reiche: „Denn das alles hat ja einen langen Vorlauf, Pegida, Chemnitz 2018, Coronaleugnung. Es ist auch und vor allem ihre politische Verantwortung“, sagte Lühmann.

In Erklärungsnöte gerät die AfD, weil die im Zuge der Razzia inhaftierte Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann für die Partei im Bundestag saß. In Hannover, versicherte die örtliche AfD, dürfte sie aus der Partei fliegen, falls die Vorhaltungen zuträfen. Fraktionschef Marzischewski-Drewes erinnerte daran, dass Reichsbürger auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD geführt werden.

In Niedersachsen hatte eine Große Anfrage der CDU jedoch bereits 2017 persönliche Kontakte ans Licht gebracht. Mehr noch: Ein Reichsbürger verantwortete AfD-Wahlveranstaltungen im Bereich Braunschweig; im Bereich Osnabrück hatte eine AfD-Kandidatin einen „Reichsbürgerbezug“ und im Bereich Göttingen und Lüneburg gehörte jeweils ein AfD-Mitglied auch zu den Reichsbürgern.

Alles Geschichte? Nach der Innenausschusssitzung referierte der Grünen-Abgeordnete Lühmann mit Bezug auf die Patriotische Union: „Es gibt mehrere Menschen, die mit AfD-Bezug da drin sind.“ Für Marzischewski-Drewes ist das Terrornetzwerk aber nur eine „stammtischartige Telegram-Gruppe“.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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