Nahkontakt mit Schwur­b­le­r:in­nen: Hilft Querfühlen gegen Querdenker?

Unser Kolumnist war mal wieder zu neugierig. Darum hat er es nicht besser verdient, als die mütterliche Hand der Schwurblerin an der Wange zu spüren.

Eine Frau hält zwei Pappschilder für Russland hoch

Szene bei einer Demonstration von Querdenkern in Berlin im Juli Foto: Stefan Boness/Ipon

Neulich hielt ich mich wegen eines Termins in der Nähe des Bahnhofs Berlin-Friedrichstraße auf, mitten im Regierungsviertel, dem Hotspot für Proteste gegen „die da oben“ also. Nach meiner Verabredung geriet ich in eine Demo, die sich behäbig durch die schmale Straße in Richtung Friedrichstadtpalast bewegte. „Da musst du jetzt durch“, dachte ich mir.

„Schluss mit der Meinungsdiktatur!“, „Weg mit den Corona-Maßnahmen!“ und „Russlandsanktionen beenden – sofort!!“ sprang es mir zornig von drei Pappschildern direkt ins Gesicht. Während ich beim Vorbeidrängeln die vielen Ausrufezeichen zu zählen versuchte, fielen mir deren Trä­ge­r:in­nen auf: zwei ältere Damen mit bunten Brillengestellen und zu groß geratenen farbigen Holzperlenketten, zwischen den beiden Frauen ein Herr, Typ „Unser Lehrer Doktor Specht“, nur mit zu hohem Cortisolspiegel. Halt eine dieser Demos, die aussehen wie Claudia Roth und Jean Pütz, aber klingen wie Weidel und Wagenknecht.

Schließlich kamen die drei Beschilderten und ich an der Kreuzung an, wo der Zug stoppte. Ich blieb neugierig am Wegesrand stehen: Werden gleich Mistgabeln oder wenigstens Reden geschwungen? Eine Weile lang geschah nichts, ich wollte gerade losgehen, da sprach mich eine der beiden Frauen an.

Auf Tuchfühlung

„Wir sind so viele, ist das nicht toll?“, fragte sich mich erwartungsvoll. „Mich müssen Sie leider wieder abziehen, wir hatten eben nur den gleichen Weg.“ „Aber warum stehen Sie dann hier?“ „Reine Neugier.“ „Machen Sie doch mit, wir müssen noch mehr werden, damit sich was ändert!“ Was sich denn ändern müsse, fragte ich.

Sie schwadronierte über verlorene Freiheiten, schimpfte mit sanfter Stimme, aber deutlichen Ansagen über die Regierung und tadelte die bösen Amerikaner, die ja so viel Mist gebaut hätten auf der Welt. Man solle sich nicht wundern, wenn Russland dann so reagiere, die hätten sich halt bedroht gefühlt. Und nun gehe unsere Wirtschaft ja auch noch den Bach runter.

„Wissen Sie“, sagte ich bedeutungsschwanger, „ich bin in Kabul zur Welt gekommen, es gibt kein klares Gut oder Böse. Afghanistan ist das beste Beispiel dafür.“ Weder die USA noch die Sowjets haben dem Land gutgetan. Beide hätten Hunderttausende auf dem Gewissen. Alles sei halt komplexer, als auch ich es mir wünschte. Und: Nichts könne den Angriff Putins auf die Ukraine rechtfertigen.

Eine Weile ging es hin und her, zu meinem Erstaunen blieb sie – trotz ihres Furors in der Sache – persönlich sehr zugewandt. Irgendwann legte sie mir mütterlich die Hand an die Wange, schaute mich lächelnd an und sagte: „Ich weiß, viele Argumente mögen vielleicht auf Ihrer Seite liegen, aber mir gibt mein Gefühl recht.

Tagelang dachte ich noch über ihre Worte nach. Ohne ihre Hand an meiner Wange hätte ich die Begegnung vermutlich schnell verdrängt. Sollte ich beim nächsten Mal so jemanden zwischendurch vielleicht einfach mal umarmen, während ich weiter argumentiere? Wenn die Begegnung dafür nachwirkt?! Ist halt alles komplizierter, als man es sich wünscht.

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Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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