Rassismus in Sachsen: Couscous und Grillhaxe
Eine Studie der Bundesregierung attestiert Sachsen ein besonderes Problem mit Rechtsextremismus. Zu Recht? Erkundungen in Pirna.
Die beiden möchten in Ruhe darüber diskutieren, wie es sich denn als Flüchtling lebt in Orten, die zu Chiffren für Fremdenhass geworden sind. „Die Sozialarbeiter helfen uns sehr, ja, aber die normalen Deutschen hier sind gegen uns“, sagt der 19-jährige Ahmad. Sein Freund Azad Salih Hamad ist fünf Jahre älter, hat aber von beiden das kindlichere Gesicht. Er kippt vor Empörung fast von der Bank. „Schreiben Sie auf, dass das seine Meinung ist. Ich finde alle Menschen hier sehr nett!“, sagt er.
Die beiden Flüchtlinge scheinen in zwei verschiedenen Sachsen zu leben. Im Sachsen von Azad Ali Hamad arbeitet die Pirnaer Ausländerbehörde wie eine gut geölte Maschine. Sie saugt die Flüchtlinge ein und verwandelt sie in Rekordtempo in Mustermigranten. Integration laufe in Pirna besser als in den großen Städten Deutschlands, will Hamad wissen. Er werde bald studieren oder eine Ausbildung machen. „In zwei oder drei Jahren bin ich kein Ausländer mehr“, sagt er. Ob er langfristig in Pirna leben wolle? Selbstverständlich, meint er. „Es gibt keine Probleme hier“, sagt er.
Die scheint es im Sachsen seines 19-jährigen Freundes durchaus zu geben. Er lebt wenige Kilometer von Pirna entfernt in Heidenau. Einer Stadt, die sich nach den Ausschreitungen im August 2015 einen Ruf erarbeitet hat genau wie das benachbarte Freital. Als Ahmad in Heidenau ankam, war die von wütenden Gegnern der Flüchtlingsunterkunft angepöbelte Bundeskanzlerin gerade wieder weg.
Alles Fälschung, berichtete die Weltvor wenigen Tagen über die Studie zum Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Die Interviews seien sowieso fast nur im linken Milieu geführt und einige Gesprächspartner darüber hinaus frei erfunden worden. Die Autoren des Göttinger Zentrums für Demokratieforschung wiesen diesen Vorwurf zurück. „Jedes Interview stammt von realen Akteuren.“ Aus Sicherheitsgründen seien die Stellungnahmen jedoch anonymisiert worden. „Forschung in einem solch schwierigen Feld wird schlicht unmöglich, wenn notwendige Anonymisierungen perfiderweise als Erfindungen tituliert werden.“
Schlimme Sachen
Mittlerweile wohnt er mit anderen Flüchtlingen zusammen in einem Mietshaus in Heidenau. Die Nachbarn würden ihn weder grüßen noch Einladungen zum Essen annehmen. Manche Leute würden auch schlimme Sachen hinter ihm herrufen. „Abends verlasse ich nie die Wohnung, weil die Caritas uns das geraten hat“, sagt er. Jetzt schüttelt sein Freund Azad den Kopf. „Ich gehe abends auch nicht vor die Tür, weil ich Deutsch lerne“, sagt er. Er klingt, als wolle er sagen: „Stell dich nicht so an.“
Der Spielplatz ist nur wenige Minuten vom Festgeschehen rund um das Rathaus entfernt. Die Pirnaer können sich an circa 60 Ständen davon überzeugen, welche Vorteile eine offene Gesellschaft hat. Sie können etwa am Stand eines afrikanischen Vereins einen Eintopf mit Couscous, Spinat und Erdnüssen probieren. Er schmeckt mild, ist aber dennoch wohl ein Wagnis für Menschen, denen im „Marieneck“ oder in der „Witwe Polte“ am Marktplatz Grillhaxe mit Krautsalat angeboten wird.
Sebastian Reißig von der Aktion Zivilcourage schiebt sich mit seinem Walkie-Talkie durch die Besuchermenge. Reißig findet den Auflauf bemerkenswert. Schließlich hat seine Stadt nicht einmal 40.000 Einwohner. Er hat vor 15 Jahren den Impuls zu dem interkulturellen Fest gegeben. Da war seine eigene Initiative „Aktion Zivilcourage“ schon einige Jahre alt. Aus purer Not hatten sich Reißig und ein paar Freunde nach dem Abitur Ende der 90er Jahre zusammengetan, erzählt er. „Die Alternative wäre gewesen wegzuziehen.“
Marktplatz der Kulturen
Was sich seitdem verändert hat – Reißig beantwortet die Frage, indem er den Besucher über den Marktplatz führt. Er reagiert gelassen, als er auf die Studie angesprochen wird, die wenige Tage vor dem Pirnaer Kulturfest Sachsen ein besonderes Problem mit Rechtsextremismus attestierte. Im Auftrag von Iris Gleicke, der Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer, fand das Göttinger Institut für Demokratieforschung heraus, dass die Sachsen ihr Sächsischsein überhöhen würden. Ein neues Schlagwort macht in den Medien die Runde: der Sachsenstolz. Sebastian Reißig sagt, dass er die Studie nicht kommentieren werde, solange er sie nicht gelesen hat. „Ich weiß nur das, was die Medien berichtet haben“, sagt er.
Andere Festbesucher haben ein höheres Redebedürfnis über die Studie und das Bild von Sachsen in den Medien. Jürgen Scheible ist Geschäftsführer der Pirnaer Wohnungsgesellschaft. Er nennt den „Markt der Kulturen“ eine ganz „tolle Sache“. Als er auf Iris Gleicke und die von ihr in Auftrag gegebene Studie angesprochen wird, entgleisen ihm kurz die Gesichtszüge. „Ich glaube, beim Spiegel kopieren sie einfach ihren alten Artikel und wärmen die braune Soße wieder auf“, sagt er.
Die Wahrheit oder vielmehr seine Wahrheit ist eine andere. Es gebe eine Klimaveränderung in Sachsen, die nicht ins Bild von demokratieverdrossenen DDR-Nostalgikern passe. „In Pirna haben wir die Leute, so schnell es ging, dezentral in Wohnungen untergebracht. Ich kenne Fälle, das sind die Leute mit ihren neuen Nachbarn erst einmal nach Dresden gefahren, um ihnen die Frauenkirche zu zeigen“, sagt er. Er hat sich in Rage geredet, ohne dabei aggressiv zu wirken. Der Eindruck ist eher, dass Scheible überzeugen will. Und dass er jämmerlich darunter leidet, dass ihm wegen seiner Herkunft aus Sachsen unterschwellig etwas unterstellt wird.
Sind die Medien schuld?
Sind die Sachsen vielleicht in einer ähnlichen Lage wie die Muslime? Müssen sie sich wie jene nach den Taten Einzelner als Kollektiv verantworten, und sind die Medien daran schuld? Sebastian Reißig findet das zu pauschal. Er wisse aber von einer gewissen Trotzhaltung in Sachsen, sagt er. Er meint damit, dass einige Sachsen das Gefühl bekommen, dass sie der Etikettierung als fremdenfeindlich ohnehin nicht entkommen können. Das könne dazu führen, Dinge mit einer gewissen Wurstigkeit zu ertragen, fürchtet Reißig.
Besonders ärgert ihn, wenn das Bild einer schweigenden Mehrheit in Sachsen gezeichnet wird, die auf der Seite der Rechten stünde. Er berichtet von den zahlreichen Demokratie-Initiativen und von eifrigen Kommunalverwaltungen, die nichts unter der Decke halten, sondern im Gegenteil den Rat von Aktivisten suchen würden.
Reißig verweist auf viele Dinge, die in der Debatte um den Rechtsextremismus in Ostdeutschland immer wieder zu hören sind. Etwa, dass die DDR ein abgeschotteter Mikrokosmos war, wird auch in der Göttinger Studie erwähnt. Er verbindet die alten Argumente aber zu einem Narrativ, das zumindest auf eine Lösung hinweist. Alles, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt und ein Wir-Gefühl jenseits der Heimattümelei fördert, schadet aus seiner Sicht den Rechten. Couscous anbieten und die Grillhaxe nicht schmähen, so lässt sich seine Methode beschreiben, mit der er die Sachsen für eine offene Gesellschaft gewinnen will.
Großmutter und Enkelin
Vielleicht liegt die Wahrheit über Sachsen irgendwo in der Mitte zwischen Anja Radzanowski und ihrer Mutter Gabi. Gabi Radzanowski ist bereits Großmutter. Aber sie wippt mit den Füßen zur Musik von der Bühne, als wäre sie zwei Generationen jünger. Dann sagt sie etwas Erstaunliches für die Besucherin eines interkulturellen Festes. Auch sie gehöre zu denjenigen, die sich in die „rechte Ecke“ gestellt fühlen. „Ich habe eben Angst, dass mit den Flüchtlingen auch Terroristen und Kriminelle ins Land kommen. Das kann man aber nicht offen sagen“, findet sie.
Wer ihr das genau verbiete, erklärt sie nicht. Vielleicht will sie bloß keinen Streit mit ihrer Tochter Anja. Die jüngere Radzanowski wirft den Sachsen vor, wehleidig zu sein. „Ich bin arbeitslos, aber die meisten jammern hier auf hohem Niveau.“ Über Politik will ihre Mutter eigentlich gar nicht mehr diskutieren, sagt sie. Nur, dass sie das Fest gut finde, obwohl sie nicht jedem Fremden gleich vertraue, betont sie. Da steht die ältere Sächsin nun mit ihrer der Willkommenskultur zugeneigten Tochter auf dem Marktplatz und schunkelt zu afrikanischer Trommelmusik. Vielleicht ist es das, was der Aktivist Sebastian Reißig unter Mitnahme der Zweifler versteht.
Große Bedenken gehabt
Über den Marktplatz schlendert ein Paar, um das sich manche Sorgen machen würden. Melanie Knoche und Zahid Zafar laufen Hand in Hand durch die sächsische Kleinstadt. Sie ist dunkelblond, er hat schwarze Haare und einen dichten Bart. Wer eine lebhafte Fantasie hat, malt sich aus, was schiefgehen könnte, würden nun die falschen Leute auftauchen. Beide berichten aber beseelt, wie schön Pirna sei. Zahid Zafar kommt aus Frankfurt am Main und hat pakistanische Wurzeln.
In der Mainmetropole scheint es ihm gutzugehen. Diskriminierung habe er in Frankfurt nicht erlebt, meint der Sozialarbeiter. Wie das im Osten auf dem Land sein würde, da habe er große Bedenken gehabt, gibt er zu. „Aber meine Freundin ist auch Ostdeutsche. Also habe ich es gewagt.“ Zafar hat als Sozialarbeiter eine Meinung zum „Markt der Kulturen“ in Pirna. Er findet es gut, dass so viele verschiedene Vereine Präsenz zeigen. „Das zeigt, die Sachsen tun doch was“, sagt er. Ein kleines bisschen Sachsenstolz ist offenbar schon auf manchen Besucher aus Westdeutschland übergegangen.
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