Rassismus in Deutschland: Wer ist hier giftig?
Die ARD zeigt einen Film über Rassismus in Deutschland – und bescheinigt ausgerechnet einem Schwarzen Fußballer eine „vergiftete“ Sprache.
D as Jahr 1990 war das letzte der DDR. Martin Gross hat uns aus diesem Jahr ein einzigartiges literarisches Dokument hinterlassen. Seine „Aufzeichnungen aus einem ungültigen Land“ vermerken am 11. Januar 1990: „Das Opernrestaurant: Als ich ankam, standen zwei ratlose Afrikaner und eine resolute Kellnerin im Foyer. Offensichtlich gab es keine freien Plätze mehr.
Dabei sah man bereits von der Tür aus, dass höchstens ein Drittel der Tische besetzt war. Die Kellnerin erklärte allerdings, dass für die nächsten Stunden alles reserviert sei. Kaum waren die beiden Afrikaner außer Sicht, da kam auch schon die Kellnerin zurück, bat mich, ihr zu folgen, wies mir einen Tisch zu und stellte ohne Verlegenheit das Reservierungs-Schildchen beiseite. So geht das also.“
31 Jahre später erklärt Marco Wanderwitz, sächsischer CDU-Bundestagsabgeordneter und Ostbeauftragter der Bundesregierung, die Affinität mancher Ostdeutscher zu rechtsextremem Gedankengut so: „Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind.“
Dem widerspricht kurz darauf der Berliner Soziologe Steffen Mau. Die ostdeutsche sei vielmehr eine „veränderungserschöpfte Gesellschaft“, und häufig wählten die Jüngeren dort die AfD. Mag sein, dass die Jungen zu jung für einschlägige Diktaturerfahrungen sind. Aber Gesellschaften basieren wie Familien nun mal auf Überlieferungen. Die wirksamsten Überlieferungen werden nonverbal, auf einer emotionalen Ebene weitergegeben.
Feines Sensorium für Sprache
Sicher ist, dass der Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen in Deutschland nicht von DDR-Kellnerinnen erfunden wurde, sondern von den Imperialisten des Kaiserreichs und ihren Wissenschaftlern. In der ARD-Mediathek ist seit Kurzem „Schwarz und deutsch“, ein gut recherchierter Dokumentarfilm des Hessischen Rundfunks, zu sehen, der akribisch die Geschichte der Afrodeutschen nachzeichnet. Berichtet wird darin etwa vom ersten ins Deutsche Reich eingebürgerten Afrikaner, der eine Deutsche heiratete, in Danzig einen Kolonialwarenladen führte und ein angesehener Bürger der Stadt war.
Diese Doku ist in vieler Hinsicht lehrreich und erschütternd, allerdings an einer Stelle auf ungewollte Weise. Neben einigen eloquenten, akademisch gebildeten afrodeutschen Frauen tritt auch der Fußballspieler Erwin Kostedde auf, der von seinen Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland berichtet. Als Kind haben Deutsche auf seine bloße Anwesenheit mit dem Hitlergruß reagiert, erzählt er unter anderem. Kostedde war ein talentierter Spieler. Der „Erwin-Shuffle“, ein dreifacher Übersteiger, ist Geschichte. Als Mittelstürmer bei Kickers Offenbach spielte er erstmals in der Bundesliga. Mit einem eleganten Schuss aufs Tor von Borussia Mönchengladbach wurde er zum Torschützen des Jahres 1974.
Die Doku zeigt das schöne Tor und leitet dazu über, dass Kostedde auch für die deutsche Nationalmannschaft gespielt hat. Da sagt die Stimme der Erzählerin unvermittelt aus dem Off: „Aber die rassistischen Rufe der gegnerischen Fans hören nie auf. Sie haben auch seine eigene Sprache vergiftet. Triggerwarnung.“ Schnitt auf Kostedde, der nun sagt: „Bemerkungen, miese, gab’s überall, glauben Sie mir. Sie müssen auch manchmal ganz schön hart sein in Deutschland.“ Noch ein Schnitt, Kostedde spricht weiter: „Das war ein Teil, die gerufen haben: ‚Zehn Schwule und ein N****.‘“
Erwin Kostedde ist jüngst 75 Jahre alt geworden. In vielen Interviews erzählte er von seinen Erfahrungen. Etwa, als Bundestrainer Helmut Schön ihn dazu drängte, öffentlich zu erklären, es gebe keinen Rassismus in Deutschland. Kostedde: „Das hat mich auch gewundert, warum ich nicht die Wahrheit erzählen sollte. Rassismus gibt es in jedem Land, auch im Fußball in Deutschland. Ich habe es auch nicht getan. Ich sage das, was ich fühle und denke.“
Unfairer Vorwurf
Kostedde ist kein Intellektueller, was er als bescheidener und selbstkritischer Mensch selbst am besten weiß und auch so formuliert. Aber er ist ein kluger Kopf mit einem feinen Sensorium für Sprache. Die Münchner AZ fragte ihn, ob es eine Bezeichnung gebe, die er nicht als diskriminierend empfinde, „Schwarzer“, „Farbiger“, „Dunkelhäutiger“? Kostedde: „In meinen Augen braucht man die alle nicht. Für mich sind all diese Ausdrücke rassistisch.“
Redet so jemand, dessen Sprache „vergiftet“ ist? Wenn man einen Satz, in dem Kostedde das N-Wort benutzt, um zu illustrieren, wie brutal und verletzend mit ihm umgegangen wurde, nicht in einem Beitrag haben will, soll man ihn nicht senden. Wenn man sich aber dafür entscheidet, ihn doch zu senden, ist es dann fair, Kostedde für nicht ganz zurechnungsfähig zu erklären? Eben das sagt uns diese Bemerkung über die „Vergiftung“ seiner Sprache.
Im Fußball gibt es für ein Foul die rote Karte.
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