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Rassismus in DeutschlandKulturvielfalt statt Leitkultur

Kommentar von grigorios Aggelidis

Integration braucht eine aufnahmewillige Gesellschaft. Und gleiche Regeln für alle heißt nicht im Gleichschritt denken.

Gemeinsam Sport treiben macht mehr Spaß als allein, mit oder ohne Kopfbedeckung Foto: imago/imageBROKER/Siegfried Kuttig

W ir leben im Jahr 2020: Gleichgeschlechtliche Paare dürfen heiraten, junge Männer müssen nicht mehr zur Bundeswehr und wir haben den Schritt hin zum selbstbestimmten Sterben geschafft. Deutschland ist ein liberales Land. Wirklich? Nicht ganz, denn beim Thema Integration sind wir im Jahr 1980 stehengeblieben. Seit damals drehen wir immer wieder dieselben Argumentationsschleifen, ohne dass wir auch nur einen Schritt weiterkommen.

Inzwischen leben rund 20 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund bei uns, rund 50 Prozent mit deutschem Pass. Die meisten sind integriert, aber akzeptiert fühlen sie sich nicht. Das liegt auch an der Politik, die immer wieder die Leitkultur- und Integrationsdebatte anheizt. Dabei ist Artikel 2, Abs.1 Grundgesetz eindeutig: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

Integration heißt eben nicht, dass man im Gleichschritt leben oder denken muss, sondern stellt die Frage: „Nach welchen gemeinsamen Regeln wollen wir leben?“ Im Gegensatz dazu betont die Leitkultur die zwischenmenschlichen Unterschiede und fragt: „Wer gehört dazu, wer ist fremd?“ Die Debatte negiert schon in der Ausgangsfrage eine Integration, weil der „Fremde“ immer auch dann fremd bleibt, wenn er sich an die Regeln hält. Nach über 40 Jahren sollte klar sein. Erstens: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Zweitens:

Zur Integration gehört auch eine aufnahmebereite Gesellschaft. Drittens: Gemeinsame Regeln, die respektiert und durchgesetzt werden. Eine Leitkultur kann die Rechtsordnung nicht ersetzen. Kultur ändert sich schnell und stetig und ist kein solider Maßstab des Zusammenlebens. Als Liberaler und als Deutscher mit ausländischen Wurzeln ist mir wichtig: In unsere Gesellschaft soll sich jeder mit seinen Unterschieden einbringen – mit gleichen Rechten und Pflichten.

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9 Kommentare

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  • Die Meinung ist ok, provoziert natürlich lustige Kommentare der Art "ich bin nicht... aber/jedoch...". Amüsant.

    • @sachmah:

      Amüsant? Finde ich nicht. Ich habe mich so geäußert, weil man mit manchen Äußerungen, die man macht, allzu leicht in die rassistische, chauvinistische, etc. Ecke geschoben wird, um eine sachliche Auseinandersetzung zu vermeiden.

  • „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

    Vor allem das Sittengesetz. Karl Albrecht Schachtschneider argumentiert in „Freiheit in der Republik“, dass sich dahinter nichts anderes als der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant verbirgt. Also: Handle stets so, dass du allen (!) anderen zugestehen kannst, aus der gleichen Motivation heraus zu handeln wie du. Auch Menschen, deren Verwandte in einem anderen Land geboren wurden. Alle Menschen haben eben die gleiche Würde.

  • „Nach welchen gemeinsamen Regeln wollen wir leben?“ ist exakt die Frage, die die Leitkultur stellt.



    Nichts anderes meinte Bassam Tibi als deren Erfinder.

    Und diese These entwickelte er, gerade weil Deutschland ein Einwanderungsland ist.

    Den Gegensatz, den der Autor versucht zu konstruieren, kann ich nicht nachvollziehen.

    Es gibt Unterschiede, von denen ich mir nicht wünsche, dass jemand sie einbringt. So geht es auch Bassam Tibi, so geht es mit Sicherheit auch dem Autor.

  • Der Kommentar ist mir zu oberflächlich. Ich bin wahrhaftig kein deutschtümelnder Ewiggestriger. Aber das muss man nicht sein, um zweierlei festzustellen.

    1) Die Leitkultur-Debatte ist leider in den letzten Jahrzehnten immer in die rechte Ecke gedrängt worden. Immerhin wurde der Begriff einst von Bassam Tibi, einem Politikwissenschafter mit eigenem Migrationshintergrund, geprägt. In seinem Sinn sollte man das Thema Leitkultur sehr wohl diskutieren: Aufklärung, Demokratie, Pluralität, Toleranz. Diesbezüglich gibt sicher bei Deutschen ohne Migrationshintergrund Defizite, aber auch bei manchen Migranten, vor allem aus islamischen Gesellschaften. Sehr insteressant, was Leute wie Ahmad Mansour dazu zu sagen haben.

    Das bringt mich zu

    2) Es gibt bei der Integration nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Das wird mir zu oft vergessen.

  • Vom Prinzip her bin ich ein sehr liberaler Mensch. Ich halte es für völlig legitim das der Asylanspruch jedes Menschen, der nach Deutschland kommt auch geprüft wird. Es ist im Falle einer erfolgreichen Prüfung jedoch die Pflicht des Asylanten sich zu integrieren und da sehe ich nicht mehr als eine Einbahnstraße. Man kann von denjenigen die das Asyl finanzieren und die liberale Demokratie aufrecht erhalten nicht auch noch verlangen sich entsprechend der kulturellen Wünsche von Migranten zu verbiegen.



    Die Aufnahmewilligkeit ist bereits durch den positiven Asylbescheid amtlich bestätigt. Ein darüber hinausgehendes Recht auf Wohlbehagen in einer erstmal fremden Gesellschaft gibt es nicht und es gibt sie auch in keinem anderen Land der Welt.



    Natürlich ist Integration anstrengend und mitunter schmerzhaft. Das da auf Dauer keine Begeisterung aufkommt kann ich schon verstehen aber außer Hilfe anzubieten kann man nicht viel tun. Die Anforderungen zu senken wäre eine kurzsichtige Entlastung, die am Ende des Tages Ressentiments durch die Bestätigung von Klischees stärken würde.

    Für entscheidend halte ich aber eben auch die Herkunft der Asylbewerber, denn wenn jemand aus einem patriarchal geprägten Land stammt, in dem Religion einen sehr hohen Stellenwert hat dann ist es nicht rassistisch, sondern völlig Logisch mit größeren Problemen bei der Integration zu rechnen. Das spiegelt sich bedauerlicherweise auch in der Arbeitslosen- und Kriminalstatistik wieder.



    Linke Politiker und Aktivisten würden sich einen Gefallen damit tun diese Aspekte stärker zu thematisieren, anstatt jeder liberalen Demokratie auf dieser Welt endlos Rassismus und andere Ismen zu unterstellen. Das quillte den Leuten zu beiden Ohren wieder heraus und überzeugt niemanden, der nicht ohnehin schon von der Sache überzeugt war.

    • @Jonathan Underberg:

      Wetten, dass Sie sich unwohl fühlen, wenn ich Sie jetzt als weißen Mann bezeichne? Wenn ich Sie also als Teil einer Gruppe betrachte, nicht als Individuum? Genauso unangenehm ist es übrigens Menschen, die im Ausland geboren wurden, ständig als Ausländer betrachtet zu werden und nicht als Individuen.

      Glauben Sie mir: Wer aus weit entfernten Ländern hierher kommt, ist in aller Regel selbst auch eher liberal eingestellt im Vergleich zu den jeweiligen Landsleuten; sonst kämen die Leute nicht. In anderen Ländern gibt es nämlich auch Menschen, die ihrer jeweiligen Gesellschaft gegenüber kritisch eingestellt sind. Warum scheren Sie also alle Asylbewerber über einen Kamm?

      Dass wir Weißen rassistisch sind, ist keine Unterstellung, sondern ein Fakt. Alle. Ich auch. Die einen mehr, die anderen weniger. Liberal ist nur, wer bereit ist, sich mit diesem Fakt auseinanderzusetzen. Mir scheint, als hätten Sie da noch Nachholbedarf.

      www.deutschlandfun...:article_id=315084

      • @Smaragd:

        "Dass wir Weißen rassistisch sind, ist keine Unterstellung, sondern ein Fakt. Alle. Ich auch. Die einen mehr, die anderen weniger."

        Da es ein Fakt sein soll: Bitte entsprechende Belege nachliefern.

      • @Smaragd:

        In der Tat ich kann das nicht leiden aber das wäre eben auch eine Beurteilung meiner Person auf Basis eines unveränderbaren Merkmals. Ich würde mich nie hinstellen und Individuen nach ihrer Gruppenzugehörigkeit beurteilen. Das ist dann nämlich in der Tat diskriminierend und bigott. Bedauerlicherweise findet man derartiges Verhalten in der taz mittlerweile häufiger als bei der faz, nzz oder der Jungen Freiheit, nicht zuletzt wegen irrigen Denkansätzen wie der Critical Whiteness, dazu aber später mehr.

        Tendenzen in bestimmten Kulturen, Bevölkerungs- oder Sozioökonomischen Gruppen durch statistische Analyse zu erkennen ist dem Einzelnen gegenüber nicht diskriminierend, denn über diesen Treffen sie ja gar keine Aussage. Die Statistik ist ein Hilfsmittel das dazu genutzt werden kann und sollte Probleme zu identifizieren, damit diese angegangen werden können.

        Critical Whitness ist eine Aktivistendisziplin die aus den USA zu uns herüber geschwappt ist und keinerlei wissenschaftlichen Wert hat. Disziplinen der Art gibt es ja bedauerlicherweise einige. Da kann man die USA glatt um ihr mieses Bildungssystem beneiden. Dort müssen Menschen die sich durch das Studium eines derartigen Faches der Lächerlichkeit preisgeben wollen wenigstens noch selber die Zeche zahlen und können ihre Indoktrination nicht auch noch der Allgemeinheit aufdrücken.