Rassismus bei der Berliner Polizei: Die Polizei weiß von wenig
Beschwerden wegen Rassismus durch BeamtInnen wird bei der Polizei nur unzureichend nachgegangen, zeigt eine Anfrage der Grünen.
Diese Erkenntnis ergibt sich aus den Antworten der Innenverwaltung auf eine schriftliche Anfrage des Grünen-Abgeordneten Sebastian Walter, die der taz exklusiv vorliegen. Walter sagt dazu: „Die Erkenntnisse der Berliner Polizei über Vorfälle von Diskriminierung, Rassismus und Racial Profiling durch Dienstkräfte kann nur als äußerst dünn bezeichnet werden.“
Laut den Antworten gibt es eigentlich gar kein Problem. Es gibt nämlich kaum Beschwerden über Beamte wegen rassistischer oder LGBTI-feindlicher Äußerungen und/oder Handlungen. Für das Jahr 2017 – erst seitdem werden Beschwerden in diesen beiden Bereichen gesondert erfasst – waren es 22 in der Kategorie rassistisch, 3 in der Kategorie LGBTI-feindlich, 2018 waren es 22 bzw. 8 Vorfälle, im Jahr 2019 dann 14 bzw. 2 Beschwerden. Im ersten Quartal 2020 gab es nur im Bereich Rassismus 4 Beschwerden.
Für viele mag dies überraschend sein. Schließlich berichten so gut wie alle Black and People of Color, die in letzter Zeit vermehrt zu Wort kamen aufgrund des gestiegenen öffentlichen Interesses am Thema, dass für sie Diskriminierung durch Polizeibeamte zum Alltag gehöre.
Beratungsstellen im Bereich Antidiskriminierung sagen außerdem, dass zu ihnen häufig Menschen mit derartigen Beschwerden kommen. NGOs, etwa die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeiarbeit (KOP), berichten regelmäßig von diskriminierenden Vorkommnissen, vor allem an so genannten kriminalitätsbelasteten Orten (KBO), wo die Polizei anlasslos Kontrollen vornehmen kann. „Es muss daher davon ausgegangen werden, dass es ein Dunkelfeld von nicht angezeigten Vorfällen gibt“, sagt Walter.
Hemmungen, sich zu beschweren
Denn vermutlich haben viele Betroffene Hemmungen, sich bei der Polizei über die Polizei zu beschweren, weil sie denken, das bringt ohnehin nichts. Und da liegen sie nicht ganz falsch: Was aus den Beschwerden im Einzelnen wird, welche berechtigt sind, welche nicht, ob sie – etwa dienstrechtliche – Konsequenzen haben, wird von der Polizei nicht erfasst.
„Die statistischen Beschwerdedaten werden nicht fallbezogen gespeichert“, heißt es in der Antwort. Und: „Aufgrund der Aufbewahrungsfrist von einem Jahr nach Abschluss der Beschwerdebearbeitung ist eine valide Aussage zu Ort, Zeit, Inhalt etc. der Beschwerden nicht möglich.“
Ein solches Desinteresse sei niederschmetternd, findet Walter. Beschwerden über Diskriminierung, Rassismus und Racial Profiling – das es ja laut Polizei gar nicht gibt – müssten ernster genommen werden. Der Grünen-Politker fordert eine bessere Erfassung der Beschwerden, besseres Monitoring, wie damit umgegangen wird, inklusive der Konsequenzen – und eine strukturelle „Auswertung der Vorfälle, um die polizeiliche Arbeit zu verbessern. Dafür muss auch die Aufbewahrungszeit der Beschwerdevorgänge verlängert werden.“
Hoffnung würde Walter zudem die Einrichtung eines unabhängigen Bürger- und Polizeibeauftragten geben, dessen schon vom Senat beschlossene Stelle gerade in der parlamentarischen Beratung ist und der noch in diesem Jahr kommen soll.
Auch müsste nun schnell die von Innensenator Andras Geisel (SPD) angekündigte Studie zu Racial Profiling bei der Polizei in Auftrag gegeben werden, fordert er. Diese müsste „angesichts der umfassenden öffentlichen Kritik auch die polizeiliche Praxis insbesondere an den sogenannten ‚kriminalitätsbelasteten Orten‘ und die Aus- und Fortbildungspraxis untersuchen.“
Das im Juni vom Abgeordnetenhaus beschlossene Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) könnte außerdem Bewegung in die Sache bringen, hofft Walter. Und womöglich auch die Innenverwaltung: Das Gesetz, das von der Polizeigewerkschaft massiv kritisiert wurde, weil es angeblich die Arbeit der Polizei erschweren würde (weil sich die Beamten nur noch mit unberechtigten Beschwerden herumplagen müssten), wird in der Antwort als zentrale „gesetzgeberische Maßnahme zur Verhinderung rassistischen Polizeihandelns“ bezeichnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe