Rasmus Andresen zur Übergewinnsteuer: „Zähne zeigen bei Verteilungsfragen“
Der Bundestag hat die Übergewinnsteuer für den Energiesektor beschlossen. Dem grünen EU-Abgeordneten Rasmus Andresen geht das nicht weit genug.
taz: Der Bundestag hat heute mit dem Jahressteuergesetz eine Übergewinnsteuer beschlossen für Unternehmen der Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriewirtschaft, deren Gewinne im Vergleich zu den Vorjahren den Durchschnitt von 20% übersteigen. Der Anstoß dafür kam durch eine EU-Verordnung zur Einführung eines Energiekrisenbeitrags. Wie ordnen Sie die heute beschlossene Übergewinnsteuer ein?
Rasmus Andresen: Zunächst mal ist es gut, dass in dem Bereich überhaupt etwas passiert. Dafür, dass fossile Konzerne wie Shell besteuert werden, die in diesem Jahr teilweise das Fünffache an Gewinnen machen im Vergleich zum Vorjahr, haben wir Grüne im Europäischen Parlament lange gekämpft. Gleichzeitig gibt es große Spielräume für die Mitgliedstaaten diese Steuer umzusetzen und damit auch viele Schlupflöcher. Der Beschluss des Bundestages bleibt aber leider hinter dem zurück, was nötig wäre und auch laut EU-Verordnung möglich ist.
Können Sie das konkretisieren? Wie sehen diese Schlupflöcher aus?
Um ein Beispiel zu nennen: Der Beschluss, den der Bundestag heute gefasst hat, orientiert sich an dem Mindeststeuersatz von 33%, der auf europäischer Ebene festgelegt wurde. Ich bin der Meinung, dass ein Steuersatz zwischen 60 und 70% möglich gewesen wäre, um genug Aufkommen zu generieren. Das könnte wiederrum in soziale Entlastungspakete fließen, die gerade dringend benötigt werden. Die großen fossilen Konzerne nur mit 33% zu besteuern, ist deutlich zu gering. Neben dem Steuersatz bleibt die Frage der Bemessungsgrundlage. Oder konkreter: Welche Möglichkeiten gibt es für Konzerne wie Shell und andere, ihre Gewinne künstlich klein zu rechnen und in andere Staaten zu verlagern? Da ist der neue Beschluss des Bundestages sehr löchig. Man hätte die Umsätze als Bemessungsgrundlage wählen können, anstatt die Gewinne. Die Verschiebung in andere Staaten wäre damit steuerrechtlich deutlich komplizierter. Dazu war die FDP, vor allem Finanzminister Christian Lindner, nicht bereit. Und das ärgert uns.
36 Jahre alt ist seit 2019 Mitglied im Europaparlament und dort Sprecher der deutschen Grünen
In Deutschland müssen die Unternehmen ihre Gewinne selbst berechnen und melden, weil der Bund keinen Zugriff auf die Daten der Länder hat. So ist eine Prüfung der Behörden unmöglich. Wie kann das sein?
Ja, das ist eine gute Frage. Da sieht man, welche Lücken wir auch in unserem Steuerrecht und in unserem Steuersystem haben. Um so einer Abhängigkeit entgegenzuwirken, braucht es auf allen Ebenen einen einfacheren staatlichen Zugang zu Daten, um zu verhindern, dass Unternehmen sich künstlich arm rechnen. Das geht weit über Energiekonzerne hinaus und betrifft letztlich eben auch andere Steuerfragen. Das ist ein großes Problem.
Die Grünen sind mitunter für diesen Entwurf verantwortlich. Wie konnte es dazu kommen, dass nur der Mindeststeuersatz von 33% beschlossen wurde?
Unsere Leute haben intern sehr stark gekämpft, aber konnten sich in dem Punkt nicht gegen die Blockade von Christian Lindner nicht durchsetzen. Das bedauern wir sehr, so ist das aber in einer Koalition. Wichtig ist, dass gerade in den Bereichen, die in unserer Verantwortung liegen, zukünftig auch geliefert wird und dass wir dort gezielt gegen Schlupflöcher vorgehen. Bezüglich der fossilen Energiekonzerne ist es uns Grünen, auch in der Bundesregierung, gelungen, die EU-Kommission dazu zu bringen, überhaupt etwas vorzulegen. Aber in der konkreten Ausgestaltung ist ein Kompromiss gemacht worden, der uns nicht ausreicht.
Das hört man in letzter Zeit oft von Ihrer Partei. Es ist immer die FDP, die etwas blockiert. Aber müssten die Grünen im Kabinett in solchen Fällen nicht stärker dagegenhalten und sich gegen ihren Koalitionspartner durchsetzen?
Natürlich wünsche ich mir, dass wir bei Verteilungsfragen auch Zähne zeigen in der Koalition. Doch in der Demokratie braucht man Mehrheiten und wir haben nun mal leider keine links-grüne Mehrheit im Bundestag, sondern sind auf eine Kooperation angewiesen mit einer liberalen Partei, die in ökonomischen Fragen sehr weit rechts steht. Zusätzlich haben wir einen Bundeskanzler, der bei solchen Fragen nicht hilfreich ist. Aber klar, gerade bei dem Thema Übergewinnsteuer hätte ich mir von meiner Partei gewünscht, dass Fragen vielleicht etwas schärfer gestellt worden wären.
Gibt es Länder, die es besser machen als Deutschland?
Tschechien hat einen Steuersatz von 60 % beschlossen, was auf jeden Fall deutlich besser ist als das, was jetzt im Deutschen Bundestag gerade beschlossen wurde. Spanien hat das Ganze nicht nur für den Energiebereich beschlossen, sondern beispielsweise auch für Banken. Das ist in Deutschland nicht passiert, könnte aber ein weiterer Schritt sein. Österreich ist im Steuersatz immerhin bei 40%. Außerdem zahlen Unternehmen weniger Steuern, wenn sie nachweisen können, dass sie in erneuerbare Energien stärker investieren. Österreich setzt somit Anreize für grüne Investitionen, die wir dringend brauchen in der jetzigen Zeit, in der viel zu wenig auf europäischer Ebene passiert. Das sind andere Modelle, die in Deutschland weiter diskutiert werden sollten. Das Thema ist mit der Abstimmung heute nicht beendet.
Glauben Sie, dass die Debatte weitergeführt wird in Deutschland – auch nach dem heutigen Beschluss?
Sie darf auf keinen Fall beendet sein, weil sich die Frage von unverhältnismäßigen Gewinnen bei großen Konzernen, aber auch bei Banken weiterhin stellt. Die EU, und insbesondere Deutschland, steuert in eine tiefe Rezession. Wir werden noch über viel gravierendere Verteilungsfragen diskutieren als im letzten Jahr. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft nicht immer weiter auseinanderdriftet und wir müssen sicherstellen, dass wir genug Geld haben, um in Zukunftsbereichen zu investieren. Dafür brauchen wir eine höhere Besteuerung von großen Unternehmen. Deshalb glaube ich, dass das jetzt nur ein Vorgeschmack dessen ist, was nächstes Jahr auch noch diskutiert wird. Denn die Notwendigkeit ist da.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“