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Randale in StuttgartBierflaschen und Steine fliegen

In Stuttgart sorgen offenbar Partygänger für eine stundenlange Randale. Die Politik überschlägt sich und fordert hartes Durchgreifen.

Aufräumarbeiten nach Randale in der Stuttgarter Innenstadt Foto: Arnulf Hettrich/Imago

Stuttgart/Berlin taz | Am Sonntag bleiben Scherben. Zersplitterte Schaufensterschreiben in der Stuttgarter Innenstadt sind mit Holzplatten verrammelt, an anderer Stelle haben Müllabfuhr und Technisches Hilfswerk schon in den Morgenstunden ganze Arbeit geleistet und aufgeräumt. Es herrscht wieder Ruhe. Umso lauter aber diskutiert die Politik, was in der Nacht zuvor geschah. Und das bundesweit.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) spricht von einem „brutalen Ausbruch von Gewalt“, den er scharf verurteile. „Erschütternde Gewalt­ausbrüche“ konstatiert auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. SPD-Chefin Saskia Esken kritisiert eine „sinnlose, blindwütige Randale“. Für die AfD ist man bereits bei „ethnischen Unruhen“.

Was war geschehen? Klar ist: In der Nacht zum Sonntag war es zu heftigen Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt gekommen. Handyvideos, die schnell in sozialen Medien zirkulierten, zeigen einige Szenen. Darin schlagen einige vermummte, zumeist offenbar junge Leute Schaufensterscheiben ein, attackieren Polizeiautos mit Steinen, Stangen oder Mobiliar. Ein Polizist, der eine Person festnimmt, wird von einem heraneilenden Angreifer mit voller Wucht umgetreten. All dies unter dem Johlen von Umstehenden.

„Wahllose Attacken“

Augenzeugen der sich über Stunden hinziehenden Krawalle berichten von einer anfangs äußerst zurückhaltenden Polizei. Dagegen hätten vor allem junge Männer Bierflaschen und Steine geworfen, andere diese durch Beifall oder Handyaufnahmen angeheizt. In mehreren Einkaufsstraßen seien Mülleimer und Betonplatten in Fensterscheiben geflogen, wurden PolizistInnen und deren Autos attackiert.

„Wahllos“, wie ein Fotograf berichtet, „ohne politischen Hintergrund, denn Parolen wurden nicht skandiert“. Tatsächlich blieb etwa eine breite Fassade des Mode-Riesen Primark völlig heil, während die Schaufenster des Traditionsbetriebs von „Wolle Rödel“ oder der Wohlfühlschuhmarke „Geox“ zu Bruch gingen.

Noch in der Nacht erklärte ein Polizeisprecher: „Die Situation ist völlig außer Kontrolle.“ Erst nach mehreren Stunden beruhigte sich die Lage.

Am Sonntagnachmittag dann sitzen Polizeipräsident Frank Lutz, sein Vize Thomas Berger und Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) auf einer Pressekonferenz, allesamt mit ernsten Mienen. „In 46 Jahren Dienstjahren habe ich so etwas noch nicht erlebt“, sagt Lutz. Er spricht von einer „nie dagewesenen Eskalation von offener Gewalt gegen die Polizei und massiver Sachbeschädigungen“, eine „einmalige Eskalation“. Auch Kuhn sagt: „So eine Nacht hat Stuttgart noch nicht erlebt. Das darf sich in unserer Stadt nicht wiederholen.“

Ausgangspunkt sei eine Polizeikontrolle eines 17-jährigen Deutschen wegen eines Drogendelikts 23.30 Uhr am Eckensee gewesen, erklärt Berger. Darauf hätten sich 200 bis 300 Personen aus der sich dort regelmäßig treffenden „Partyszene“ solidarisiert und „massiv“ Steine und Flaschen geworfen. Die Gruppe sei angewachsen, Richtung Schlossplatz gezogen und habe sich von dort in der Innenstadt verteilt. Dabei seien Streifenwagen beschädigt, Polizisten „äußerst aggressiv“ angegriffen, Ladengeschäfte „wahllos“ beschädigt und Auslagen entwendet worden. Erst gegen 4.30 Uhr die Lage wieder im Griff gewesen.

24 Festgenommene, 19 verletzte PolizistInnen

Die Bilanz laut Polizei: 24 Festgenommene, 12 davon Deutsche, 12 mit anderer Staatsangehörigkeit. Sieben von ihnen sollten in U-Haft. Dazu 19 verletzte PolizistInnen. Und 40 beschädigte Geschäfte, neun davon mit Plünderungen, und 12 kaputte Polizeifahrzeuge. Eine 40-köpfige Sonderkommission ermittelt.

Die Frage ist: Warum kam es zu der Gewalt? Polizeipräsident Lutz sieht keinen politischen Hintergrund. Einen solchen könne er bisher „ausschließen“, sagt er. Lutz spricht von einer „Partyszene“, die ein Event gesucht habe und eine Inszenierung, nun auch über Onlinevideos.

Andererseits läuft aktuell ja auch hierzulande eine Debatte über Polizeigewalt und „Black Lives Matter“. Gibt es einen Zusammenhang? Auf einem Video hört man den Ruf „Fuck da police“. Sonst aber sind politische Bekundungen nicht wahrnehmbar. Auch Kuhn sagt, er könne nicht erkennen, das es bei den Ausschreitungen um das Thema Polizei und Rassismus gegangen sei. „Da ging es um was anderes.“

Unisono aber erfolgt am Sonntag der Ruf nach harten Konsequenzen. „Es darf keine rechtsfreien Räume in Stuttgart geben“, bekräft Kuhn. Kretschmann fordert eine „konsequente“ Verfolgung der „kriminellen Akte“. Auch SPD-Chefin Esken erklärt, „die Gewalttäter müssen ermittelt und hart bestraft werden“.

Vor allem die CDU aber schlägt scharfe Töne an. Baden-Württemberg-General­sekretär Manuel Hagel nennt die Randalierer „Kriminelle“. Und er versucht den Bogen zu SPD und Grünen zu schlagen. „Die zunehmende Gewalt gegen unsere Polizeibeamten ist auch eine Folge der ständigen Anfeindungen der politischen Linken.“ Die Verbalattacke überrascht nicht. Zwei wichtige Wahlen stehen bevor, die OB-Wahl in Stuttgart im November und die Landtagswahl im kommenden März. Die CDU will dabei beide Chefsessel von den Grünen zurückerobern.

Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) kündigt „die volle Härte des Rechtsstaats“ an. Am Mittwoch soll der Innenausschuss im Landtag zu einer ­Sondersitzung zusammenkommen. Und Polizeichef Lutz kündigt für die nächsten Tage und Wochenenden ein „massives Kräftekonzept“ in Stuttgart an, eine starke Polizeipräsenz.

In der Innenstadt sammeln sich am Sonntag bereits wieder Gruppen junger Leute, betrachten gemeinsam Videos aus der Nacht. „Stuttgart“, erklärt ein Mädchen strahlend, „ist jetzt weltberühmt“.

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17 Kommentare

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  • Und wieder mal soll mit Härte und Gewalt geantwortet werden, wann lernen die endlich dass man so keinen Frieden macht.

  • 0G
    04558 (Profil gelöscht)

    Natürlich ist Gewalt und Zerstörung nicht akzeptabel, aber wenn ein grüner MP und ein grüner OB sich hinstellen und dies verurteilen, wird es etwas unglaubwürdig. Brokdorf, Gorleben, da wurden unzählige, auch schwere Straftagen verübt von Grünen Parteimitgliedern. Gab es sogar nicht mal einen grünen Außenminister, der Steine auf Polizeibeamte geworfen haben soll, was aber nicht nachgewiesen werden konnte?

    Es scheint so, als wenn die Corona-Krise vieles verändert, auch die Gewaltbereitschaft, hier und global.



    Auf der ganzen Welt sind Unruhen, der Rassismus-Konflikt ist wieder voll aufgebrochen.Viele nutzen die Corona-Krise für ihre oft zwielichtigen Interessen aus.

    Die Gefahr besteht, das solche blindwütigen Exzesse wie in Stuttgart benutzt werden, um die Diskussion über Polizeigewalt und Rassismus wieder zu versenken. Die Stuttgarter Partyszene hätte da den konservativen Kräften einen Bärendienst erwiesen.

    Vermutlich ist Stuttgart aber erst der Auftakt, hier waren auch die zahlenmäßig mit an größten Corona-Demos.



    Wenn wieder ein Lock-Down ansteht, dürfte es an vielen Orten Auseinandersetzungen geben. Schon jetzt halten sich viele nicht mehr an die Corona-Regeln. Eine neue Welle und neue Krawalle sind vorprogrammiert. Corona hat überall die Büchse der Pandora ein Stück weit geöffnet.

  • Wieder einmal wird von einer "nie dagewesenen Qualität von Gewalt" geredet. Anscheinend haben die Damen und Herren Politiker schon vergessen, was in Wackersdorf, Brokdorf, der Hamburger Hafenstraße und an anderen Orten in der Vergangenheit passiert ist. Eine "neue Qualität" war diese Nacht in Stuttgart ganz gewiss nicht.

    Und warum sollte Stuttgart ein "rechtsfreier Raum" sein? Einen größeren Blödsinn kann man als Politiker nicht von sich geben. Die bestehenden Gesetze sollten ausreichen, um Gewalttäter und Randalierer dingfest zu machen und vor Gericht zu stellen. Das ist in einem funktionierenden Rechtsstaat so üblich und Stuttgart wird da keine Ausnahme sein.

    Der reflexartige Ruf nach härteren Gesetzen oder einem Persilschein für die Polizei ist eher Wunschdenken von Politikern, die einen härteren bis totalitären Staat anstreben. Ist aber sicherlich nicht notwendig.

  • Ist es nun legitim von Auslaenderkriminalitaet zu sprechen, wenn 50 Prozent der festgenommenen keine deutsche Staatsbuergerschaft besitzen? Oder haben die Polizisten einfach aufgrund ihrer restlastigen Ansichten bloss die Auslaender festgesetzt und die anderen laufen lassen? Aber wie erkennt man dann deren Staatsangehoerigkeit durch die getragenen Party-Sturmmasken? #Fragen!

  • Haha, Partyszene, war ja auch mal jung, hatte vorsorglich immer eine Sturmhaube dabei, so unberechenbar waren die Partys!

    Neenee, lass stecken...

    „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf!"

    Das Schöne im Leben ist, dass man oftmals das bekommt, was man sich wünscht, wenn man nur genügend dafür tut.



    Das Tragische im Leben ist, dass das, was man sich gewünscht hat, sich nicht selten als Chimäre entpuppt.



    Das Blöde an der Sache ist, dass man hinterher erkennt, dass man es vorher hätte wissen können.

  • taz-Zitat: "(...) Die zunehmende Gewalt gegen unsere Polizeibeamten ist auch eine Folge der ständigen Anfeindungen der politischen Linken. (...)“



    Gut, dass nun klar ist das es sich bei den Randalierern mehrheitlich um unpolitisches Partyvolk gehandelt hat. Und so stellen die Stuttgarter Nachrichten heute Nachmittag klar:



    "(...) Erste Vermutungen in der Nacht, es könnte sich um eine Aktion der politisch linken Szene handeln, schließen die Ermittler aus. (...)“

  • Der Auslöser war die Unzufriedenheit mit einem Gesetz, das Menschen vor Drogen schützen soll, in Wirklichkeit aber nur Konsumenten zu kriminellen erklärt. Heute könnte jeder selbst in Erfahrung bringen, welche Risiken bestimmte Drogen bergen und die Gefahren relativ gut abschätzen. Durch die Prohibition fällt das manchen Leuten leider noch zu schwer und die Konsumeinheiten sind wegen des ungeregelten Schwarzmarkt schwer abzuschätzen.



    Egal wie korrekt sich die Polizei hier verhalten hat, sie muss trotzdem die gescheiterte Drogenpolitik der letzten Jahrzehnte durchsetzen – notfalls mit Gewalt.



    Jetzt versuchen die ewig gestrigen Verfechter der Prohibition die Verantwortung auf die politischen Gegner abzuwälzen und zetteln aus Machtgier einen Konflikt an, der nur Gräben zieht, wo Lösungen gefunden werden müssen.

    • @Cochino:

      Wenn mir ein Gesetz nicht gefällt, steht es mir doch frei mich in einer Organisation zu engagieren und auf demokratischen Weg, nämlich durch überzeugenden Argumente, versuchen dieses Gesetz zu ändern. Frei nach der Verfassung, alle Macht geht vom Volke aus. Damit ist übrigens die Gesamtheit der deutschen Bevölkerung gemeint.

  • Gewaltaktionen wie diese gab es in den vergangenen Jahren viele, z. B. G20-2017. In der Berichterstattung mancher Medien war dann (entschuldigend?) von vorangegangener „Polizeibrutalität“ die Rede. Die aktuellen Randale zeigen aber, dass das keine notwendige Bedingung ist. Selbst im Beitrag wurde kein Fehlverhalten der Polizei benannt.



    Des Weiteren wurde bisher, wenn es um Verletzte ging, hauptsächlich auf solche seitens der Demonstranten berichtet, verletzte Polizisten wurden nur im Nebensatz erwähnt.



    In manchen Berichterstattungen der letzten Tage wurde die deutsche Polizei pauschal mit der US-Polizei gleichgesetzt, was einige simpel gestrickte Zeitgenossen auf die Idee bringt, auf Polizisten loszugehen, wenn schon nicht auf die Müllhalde zu werfen. Hoffentlich setzt jetzt ein Prozess des Nachdenkens ein!

    • @Pfanni:

      Sie verbreiten hier eindeutige Fake-News.



      In der Vergangenheit hat die Polizei üblicherweise grob irreführende Zahlen über verletzte Polizeibeamte verbreitet.



      Dies war /gerade auch 2017 in Hamburg eindeutig nachgewiesen worden.



      Bei Stuttgart ist die Bereitschaftspolizei in Göppingen, die schon seit den 90er Jahren Bundesweit als brutal und rücksichtslos bekannt ist.



      Die US-Polizei /ist/ eindeutig ein ganz großes Vorbild für deutsche PolizeibeamtInnen. Das kann man z.b. daran erkennen, dass deutsche Polizeibeamten die US-Polizei-Uniformen imitiert und eingeführt haben. (In Hamburg unter dem berüchtigten Kokain-Konsumenten Ronald Schill)

      • @Wagenbär:

        Das sie ein Problem mit der Polizei haben, haben sie ja schon öfter erkennen lassen.

        Sie reden davon, dass ihre Behauptungen nachgewiesen sind, aber um Quellen waren sie bisher verlegen.

        Auch ihre Aussage, die deutsche Polizei nehme sich die USA als Vorbild, entspricht wohl eher ihrer gefühlten Wahrheit.

        Und das sich die Polizei ihre Uniformen aussucht und nicht das Innenministerium, war mir auch neu.

        • @Vespasian:

          Es ist nunmal erwiesen, dass die meisten Verletzten Beamten bei solchen und ähnlichen Einsätzen minimale Verletzungen hat, die nicht einmal eine ärztliche Versorgung benötigen. Die Suchmaschine hilft.

      • @Wagenbär:

        Sie sprechen von "Fake News" bei Äußerungen von anderen und "eindeutig nachgewiesen", bleiben aber leider den Nachweis schuldig.

        • @Meine_Meinung:

          Nun ja, die Nachweise wurden ja benannt, oder zumindest angerissen...



          Uniformwechsel von grün zu blau wie in den USA zum Beispiel...

          Wenn Sie mehr benötigen, dann können Sie gern nachschauen wie oft und mit welchem Zwecke in den letzten 70 Jahren es immer wieder Polizeiinternen Austausch zwischen der BRD und den USA gab (gerade schon zur Zeit des kalten Krieges, aber auch in den letzten 30 Jahren) in denen US-amerikanische Verhaltensweisen in der deutschen Polizei adaptiert wurden und es, besonders in den letzten Jahren, immer darauf hinaus lief, welche fantastischen Möglichkeiten doch in den USA der Polizei zur Verfügung stehen (Waffen, Ausrüstung, Rechte, Methoden...)...

          Wenn Sie jetzt noch konkrete links benötigen, dann würde ich mal ganz dreist verneinen, denn das können Sie ganz einfach selbst nachforschen, wenn Sie tatsächlich Interesse haben und nicht nur andere Meinungen schlecht machen wollen...



          Wenn Sie dazu einiges gelesen haben, können wir gern nochmal diskutieren.



          Viel Erfolg dabei.