Raketenfehlstart in Südkorea: „Ich dachte, es wäre Krieg“
In Gangneung wurde ein fehlgeschlagener Raketenstart zunächst geheim gehalten. Gerade deshalb löste er bei Anwohnern dort Panik aus.
Bis zum Morgengrauen tasteten die Südkoreaner im Dunkeln. Die Fernsehnachrichten erwähnten den Vorfall nicht, auch die Webseiten der großen Zeitungen blieben stumm. Das mehrstündige Informationsvakuum wurde schlussendlich auf den sozialen Medien mit wilden Spekulationen gefüllt: „Ich dachte, es wäre Krieg“, kommentierte etwa ein Südkoreaner. Andere Bewohner in Gangneung verließen fluchtartig ihre Wohnungen – aus Angst, es handele sich um einen Angriff Nordkoreas, das schließlich nur 100 Kilometer entfernt liegt.
Erst nach rund neun Stunden schaffte das südkoreanische Militär Klarheit: Ein Raketenstart der eigenen Streitkräfte in der Nacht auf Mittwoch sei schief gelaufen, hieß es. Der Flugkörper der Kurzstreckenrakete habe zwar einen Sprengkopf mit sich geführt, dieser sei allerdings nicht explodiert. Niemand sei bei den Ereignissen zu Schaden gekommen.
Doch der Vorfall kommt zu einem äußerst delikaten Zeitpunkt. Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel sind derzeit so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Am Dienstag feuerte Nordkorea eine Rakete ab, die für mehr Aufmerksamkeit sorgte als die anderen in den Tagen zuvor.
Südkoreas Rakete ging quasi nach hinten los
Denn die Mittelstreckenrakete flog nicht nur so weit wie keine andere nordkoreanische Rakete zuvor, sondern auch erstmals seit über fünf Jahren wieder über die japanische Inselkette hinweg. Dort löste sie in zwei nördlichen Regionen sogar einen seltenen Raketenalarm aus.
Südkorea antwortete umgehend, indem es über einer unbewohnten Insel im Gelben Meer demonstrativ zwei Präzisionsbomben abwarf. In der Nacht auf Mittwoch folgte dann der zweite Schlag: Die gemeinsamen Streitkräfte der Südkoreaner und US-Amerikaner feuerten vier Boden-Boden-Raketen in Richtung Japanisches Meer (koreanisch: Ostmeer), um Nordkorea – wie es in einer Stellungnahme hieß – vor weiteren Provokationen abzuschrecken.
Doch schreckten sie vor allem Südkoreas Bevölkerung auf. Denn der Generalstab kehrte zunächst unter den Teppich, dass in Gangneung auch eine fünfte Rakete abgefeuert wurde – die aus bisher unbekannten Gründen fehlschlug.
Dass man den Vorfall fast neun Stunden verdeckt hielt, deutet auf eine Nachrichtensperre hin, welche die Behörden über das sensible Thema verhängt haben. Diese radikale Maßnahme wirkte jedoch kontraproduktiv, weil sie das Vertrauen in die Armeeführung beschädigte.
Gangneung hat schon schlechte Erfahrungen mit Nordkorea
Dabei ist es ein ironischer Wink des Schicksals, dass sich der Vorfall ausgerechnet in Gangneung ereignet hat. Denn im eigentlich verschlafenen Küstenort, keine anderthalb Autostunden von der verminten Demarkationslinie entfernt, ist die Bevölkerung besonders wachsam gegenüber der Bedrohung aus dem Norden.
Im September 1996 wurde hier ein gestrandetes U-Boot aus Nordkorea gefunden, das die Bevölkerung in Panik versetzte. Bei der anschließenden Fahndung nach der Besatzung kamen bei Schusswechseln mehrere Dutzend Personen ums Leben, darunter mehrere Zivilisten.
Am Mittwoch hingegen ist immerhin niemand zu Schaden gekommen – außer ein niedergebrannter Militärgolfplatz. Dennoch bleibt nur zu hoffen, dass die südkoreanische Armee künftig transparenter mit ihren Fehlschlägen umgehen wird.
Die Gelegenheit dazu wird sich möglicherweise schon bald bieten: Die USA haben am Mittwoch erneut den nuklearbetriebenen Flugzeugträger „USS Reagan“ in die Gewässer vor der koreanischen Ostküste entsandt. Nordkorea wird dies zweifellos als schwerwiegende Provokation verstehen. Der Reigen aus Raketentests und militärischem Säbelrasseln dürfte sich also auch in den kommenden Wochen fortsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“