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Räumungen in der Rigaer Straße in BerlinRechtsfreier Raum Rigaer 94

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Den Durchsuchungen im linken Hausprojekt folgen Räumungen. Dabei sind die Eigentumsverhältnisse unklar und fehlen entsprechende Gerichtsbeschlüsse.

Polizisten im Eingang der Rigaer 94 Foto: dpa

A m Donnerstag rücken 200 Poli­zist*innen im linksradikalen Hausprojekt Rigaer Straße 94 an und vollstrecken Durchsuchungsbeschlüsse wegen Urkundenfälschung und aufgrund eines Angriffs mit einem Laserpointer. Gefühlsmäßig könnte man denken: Das ist großes Besteck für relativ geringe Vorwürfe, womöglich eine Machtdemonstration.

Und: Könnte die Polizei nicht mit demselben Ermittlungseifer den namentlich bekannten Verdächtigen der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln auf die Füße steigen? Muss man aber auch nicht. Dann argumentiert man eben mit der Eigensicherung der Beamt*innen und damit, dass beide Fälle nichts miteinander zu tun haben.

Der Skandal an dem Einsatz beginnt an anderen Stellen. Zuerst beim Sprecher für Verfassungsschutz der SPD-Fraktion, Tom Schreiber. Der twitterte in Richtung der Bewohner*innen: „Eure letzten Tage im Objekt. Habt ihr schon eine neue Adresse?“ Wohlgemerkt, die Mieter*innen, auch wenn sie Schreiber politisch nicht passen, haben gültige Mietverträge.

Der Innenpolitiker setzt sich nicht nur darüber hinweg, was allein schon jede Rücktrittsforderung rechtfertigt, sondern deutet möglicherweise sogar an, mehr zu wissen: Geht es etwa um die – illegale – Räumung einzelner Wohnungen oder gar des ganzen Hauses?

Eigentümer unbekannt

Damit wären wir beim zweiten und größeren Problem: Die Polizisten hatten bei ihrem Einsatz Vertreter einer neuen Hausverwaltung, den Eigentümeranwalt, Securitys und einen Bautrupp im Schlepptau. Dabei hatte das Landgericht Berlin 2018 klar gemacht, dass die Briefkasten-Eigentümerfirma Lafone Investments Limited selbst die Grundvoraussetzungen für einen Rechtsstreit nicht erfüllen kann. Nachweise, dass der „director“ der Lafone handlungsbefugt ist, hat es niemals gegeben; demzufolge erkannte das Gericht auch die Vollmacht für ihren Anwalt Markus Bernau nicht an.

Bis die Polizei das Gegenteil beweist, muss davon ausgegangen werden, dass sie sich über diese Gerichtsentscheidung hinweggesetzt hat und eigenmächtig die Vollmachten des Strohmann-Geschäftsführers akzeptiert hat.

Wohnung geräumt

Schlimmer ist, was daraus folgte: Im Schutze der Polizei räumten die angeblichen Eigentümervertreter zunächst Dachboden und den Keller des Vorderhauses, am Freitag sicherte die Polizei trotz eines Dementis sogar die Räumung einer Wohnung ab; Gegenstände wurden in einem Container entsorgt. In eine weitere Wohnung wurde von außen ein Loch in die Wand geschlagen.

Von einem Räumungstitel oder einem Gerichtsvollzieher keine Spur, dabei sind diese zwingend erforderlich. Wie die taz erfuhr, gibt es für die Erdgeschosswohnung einen Mietvertrag. Ihre Räumung ist ein Rechtsbruch, ermöglicht durch die Polizei, deren Aufgabe es wäre, den Bauarbeitern in die Hände zu fallen.

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2016 hatte Polizei die Räumung der Kneipe „Kadterschmiede“ ermöglicht – ohne vorliegenden Räumungstitel. Für den damals zuständigen Innensenator Frank Henkel (CDU) endeten die Aktionen im politischen Desaster, Gerichte urteilten später, dass die Räumung niemals hätte stattfinden dürfen. Jetzt wiederholt sich dieses Szenario sogar in verschärfter Form. Für die rot-rot-grüne Landesregierung, die sich bislang beschämend wegduckt, ist das ein Armutszeugnis, genauso wie für die Polizei. Im Kampf gegen die radikalen Linken ist anscheinend jedes Mittel recht.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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15 Kommentare

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  • 0G
    01022 (Profil gelöscht)

    Die Aufarbeitung des Vorfalls am Freitag wird interessant: MdA Schrader (Linke) "Schriftliche Anfrage zum Thema Einsatz der Polizei in der Rigaer 94 am 9. und 10. Juli". Angesichts Debakel vom 2016 und dem „Entscheidungsvorbehalt der Behördenleitung zum gewaltsamen Eindringen in linke Szeneobjekte“ der Polizeipräsidentin, scheint, so der Tagesspiegel "Innenverwaltung gegenüber dem Eigentümer des Hauses gewichen. Polizei und Hausverwalter arbeiten jetzt offenbar zusammen." Dass anscheinend ohne Titel und Gerichtsvollzieher eine sog. "Berliner Räumung" vollzogen wurde (Tsp. "Von den Bewohnern der Rigaer 94 verbreitete Fotos zeigen jedoch, wie Beamte Möbel in einen Sperrmüllcontainer warfen") ist jetzt schon ein Skandal. Auch wenn wider Erwarten der vermeintliche Eigentümer sein Eigentum beweisen könnte. Was angesicht des im Raum stehenden Vorwurfs von MdB Bayram (Grüne) (Geldwäsche durch „organisierte Kriminalität“) eher unwahrscheinlich ist. Beschädigt ist der Ruf der Berliner Polizei allemal; ob der Senat von der Aktion am Freitag wußte, interessiert mich doch sehr.

  • Na ja, die Richterin muss dann diesmal ihren einstündigen Vortrag, in dem alles aufgelistet war, was juristisch falsch gelaufen ist, und den sie damals Herrn Henkel von der CDU vorgetragen hat, nun halt den Dilettanten von der SPD vortragen. Hoffentlich sind die politischen Karrieren aufgrund dieser erneuten und vermeidbaren Unprofessionalität beendet und die Deppen bekommen nicht noch als Belohnung einen Posten im EU-Parlament!

  • "Und: Könnte die Polizei nicht mit demselben Ermittlungseifer den namentlich bekannten Verdächtigen der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln auf die Füße steigen?"

    Das ausgerechnet Rechtsextreme vergleichend dafür herangezogen werden, einen Zustand ohne Mietverträge zu rechtfertigen, geht gar nicht. Was soll dieser Rechts-Links Vergleich? Ist das Hufeisentheorie von links?

    • @Rudolf Fissner:

      Herr Fissner mal wieder in seiner Wirklichkeitsblase.

      Die Rechten in Neukölln beeinträchtigen und bedrohen unser friedliches Leben. Die Bewohner*innen der Rigaer nicht im Geringsten.

      Wozu war die Polizei noch mal da?

      • @tomás zerolo:

        Das sehen die Nachbarn dort aber anders.

        • @kosten rechner:

          Wieso? Fackeln die Bewohner*innen der Rigaer Autos ab? Häuser? Erschiessen sie Leute?

          Bei den Anschlägen in Neukölln haben wir es genau mit diesen Dingen zu tun!

          Die sind dringlicher als Ihr spiessiges Wohngefühl. Da hängen Menschenleben dran!

      • @tomás zerolo:

        "Die Rechten in Neukölln beeinträchtigen und bedrohen unser friedliches Leben. Die Bewohner*innen der Rigaer nicht im Geringsten."



        Na, wenn Sie das sagen, dann sollten sich ja mal alle, die das anders sehen (Justiz, betroffenen Nachbar, Polizisten und alle anderen, die sich an dem Zustand des Hauses stören, vielleicht auch der Eigentümer, der solche Moter auch nicht unbedigt wollen kann) so was von irren. Gut, dass Sie das richtiggestellt haben.

  • "Rechtsfreier Raum"

    Wikigedöns: "Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem Eigentümer bot die gemeinnützige Stiftung Edith Maryon an, das Grundstück zu kaufen und das Gebäude den Besetzern in Erbbaurecht für 99 Jahre zu überlassen. Die Bewohner entschieden sich jedoch „für die Fortsetzung des Kampfes und gegen die Befriedung“." de.wikipedia.org/w...94&oldid=199316026

    Es gibt seitens der Rigaer Straße 94 offensichtlich keine Bestrebungen, das Wohnen dort in einen legalen Zustand zu überführen

    Und das ein Mietvertrag nur der taz bekannt gemacht wird ("Wie die taz erfuhr, gibt es für die Erdgeschosswohnung einen Mietvertrag.") ist auch irgendwie kurios.

  • Auf dem Boxhagener Platz in Friedrichshain findet heute um 21 Uhr eine Demonstration in Solidarität mit der Rigaer 94 statt.

  • Hier wurden wohl durch mehrere behördliche Rechtsbrüche Fakten geschaffen. Schade, dass das inzwischen in Deutschland, einem demokratischen Rechtsstaat, so einfach möglich ist.

  • ich würde hier gerne an eine kolumne erinnern, die riesen wirbel ausgelöst hat und in der es um die polizei ging.

  • "Zuerst beim Sprecher für Verfassungsschutz der SPD-Fraktion, Tom Schreiber. Der twitterte in Richtung der Bewohner*innen: „Eure letzten Tage im Objekt. Habt ihr schon eine neue Adresse?“ Wohlgemerkt, die Mieter*innen, auch wenn sie Schreiber politisch nicht passen, haben gültige Mietverträge."



    So sehen vorgebliche Demokrat*innen und ihr angeblicher Rechtsstaat aus.

    • @Uranus:

      Tom Schreiber und die Rigaer Straße, this is not a love song. Da haben sicher eher zwei gefunden, die sich von Herzen hassen.

      Fairerweise muss man aber dazusagen, dass Schreiber auch dieses hier gefordert hat:

      "In Reaktion auf die zunehmende Gewalt durch Neonazis in Treptow-Köpenick forderte Schreiber eine Null-Toleranz-Strategie. Die Exekutive müsse mehr Bereitschaftspolizei postieren und stadtbekannte Neonaziläden öfter kontrollieren. „Der Kontrolldruck muss spürbar sein, Tag und Nacht.“

      Und er hat die Schwul-lesbische „Regenbogenbrücke“ Berlin-Tel Aviv mit ins Leben gerufen:

      de.wikipedia.org/wiki/Tom_Schreiber

      So jemand hat natürlich mehr Feinde als Freunde.

      Der Tweet zu der Polizeiaktion ist natürlich trotzdem übel.

      Btw, ich wohnte ein paar Jahre in der 96. Da gab es noch keinen "Dorfplatz" und seltener Krawalle.

      • @Jim Hawkins:

        Mag ja sein, dass er nicht nur Scheiße von sich gibt. Ehrlich gesagt interessiert mich nicht sonderlich, was der noch gemacht hat. Hier zumindest stellt er sich wissentlich in die Reihe des Kapitals, das sich gewinnbringend den Mieter*innen/Bewohner*innen entledigen will und wissentlich, dass die Eigentumsverhältnisse nicht klar sind (abgesehen davon, dass die Räumung sowieso politisch & moralisch abzulehnen ist). Aber ja ...

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Rechtsstaat" ist ein schöner Vorsatz. Was dabei nicht gesagt wird, ist, ob es um die Menschenrechte oder das Naturrecht geht. Das Staatshandeln (denn hier geht es um die Exekutive, die Legislative und die Judikative) rund um die Rigaer 94 bestätigt die Einschätzung, dass in der Bundesrepublik nach wie vor das Naturrecht über die Menschenrechte herrscht.