Räumung einer Containersiedlung: Eine Armensiedlung darf nicht sein
In Treptow will der Bezirk wegen „menschenunwürdigen“ Verhältnissen eine Containersiedlung räumen. Manche Bewohner fürchten für sich eine Verschlechterung.
Geht man durch die nur angelehnte Stahltür in den linken Hof, sieht man, dass die „Häuschen“ Garagen sind, die teils als solche oder für Gewerbe genutzt werden, teils umgebaut wurden mit Fenstern und Türen zu kleinen Wohnräumen. In Baulücken stehen Container, und Container sind auch in der Mitte des Hofs zweigeschossig gestapelt.
Janine Rothers Garagen-Wohnung ist die einzige mit Blumenampeln und Blumentöpfen vor dem Fenster. Auch drinnen ist es wohnlich eingerichtet: Das Sofa sieht neu aus, darüber an der Wand hängen gerahmte Fotos von zwei Mädchen, auf dem Flachbild-TV dudelt ein Kinderkanal. Es ist eng, vor allem in der kleinen Kochecke und dem Mini-Bad, aber Rother hält alles sauber und aufgeräumt.
Doch die 38-Jährige will nur noch weg. Seit August vorigen Jahres wohne sie hier „aufgrund von häuslicher Gewalt, schauen Sie mich an“. Sie zeigt auf ihren Mund mit schiefen Zähnen und Lücken. Rother ist Mutter zweier Töchter, die 12-Jährige lebe bei einer Pflegefamilie, „da geht es ihr gut“. Die Vierjährige klammert sich an Rothers Hand und beäugt misstrauisch die Journalistin. Nur widerwillig lässt sie sich von ihrer Mutter überreden, draußen spielen zu gehen. Rother erzählt: „Fünfeinhalb Jahre habe ich eine Wohnung gesucht, in Berlin, in Fürstenwalde, in Cottbus“ – bis sie über Ebay-Kleinanzeigen auf diese Adresse gestoßen sei.
Diese Geschichte wird der taz mehrmals an diesem Julinachmittag erzählt. Jede*r, der*die hier lebt, tut dies offenbar, weil er*sie nirgends eine Wohnung fand und sonst obdachlos wäre. 500 bis 600 Euro warm (inklusive Strom und Heizung und Nutzung der allgemeinen Waschmaschine) kostet ein Garagenappartement oder ein 22-Quadratmeter-Container.
Der Eigentümer namens Ulrich Ziegler vermietet über ein Firmengeflecht hier und an zwei weiteren Orten – Adlergestell 552, ebenfalls Treptow, sowie Hönower Wiesenweg 24-25 in Lichtenberg – an jeden, der die 1.000 Euro Kaution und die erste Miete aufbringen kann. Und bis vor Kurzem auch an solche, die eine Kostenübernahme von Sozialamt oder Jobcenter hatten. Inzwischen haben die Ämter die Mietzahlungen eingestellt, die Betroffenen, darunter auch Rother, wohnen seit Monaten kostenlos. Ziegler betont immer wieder, er werde niemanden vor die Tür setzen.
Soziales Wohnprojekt oder kriminelles Gebaren
Sein Geschäftsmodell sah bislang so aus: Ziegler nimmt solche Menschen auf, die andere Vermieter in der Regel ablehnen – Drogenabhängige, Punks, Geringverdiener, Menschen, die als Roma gelesen werden. Deshalb nennt er seine Containersiedlungen auch „soziale Wohnprojekte“.
Die Bezirksämter von Lichtenberg und Treptow-Köpenick sehen das anders. Sie werfen ihm „kriminelles Gebaren“ vor und die „Ausnutzung der Not anderer Menschen“, wie eine Mitarbeiterin der Pressestelle des Bezirksamts Treptow-Köpenick der taz schrieb.
Das Kriminelle daran: Ziegler darf auf seinen Grundstücken keinen Wohnraum vermieten. Er hat keine Baugenehmigungen, und die Garagen, Container – im Adlergestell auch Wohnwagen – erfüllen diverse Vorschriften zu Bausicherheit und Brandschutz nicht. Die Stadtentwicklungsstadträtin von Treptow-Köpenick, Claudia Leistner (Grüne), nennt die Lebensumstände in Zieglers Siedlungen zudem „menschenunwürdig“. Wegen der Ratten, die es geben soll, wegen des Mülls, der auch zu Nachbarschaftsbeschwerden führt, sowie wegen der gemeinschaftlich genutzten Sanitärcontainer. Die sind nach Einschätzung der Reporterin einfach, aber sauber – und nicht schlechter als in offiziellen Flüchtlingseinrichtungen.
Rother teilt das harte Urteil des Bezirks. „Es ist wirklich menschenunwürdig hier.“ In den Containern liefen tatsächlich „Ratten die Wände hoch“ – in ihrem „Mikroappartment“ zum Glück nicht. Aber hinter ihren Möbeln verschimmelten die Wände, der Vermieter unternehme nichts. Im Winter sei es eiskalt, im Sommer zu warm. Andauernd gebe es zwischen Mieter*innen Streit auf dem Hof, die Polizei sei so oft gerufen worden, dass sie gar nicht mehr käme. „Ich bin froh, wenn ich bald raus bin.“
Rother ist voller Zuversicht. Das Bezirksamt, erzählt sie, habe ihr geholfen, eine Wohnung „im geschützten Marktsegment“ zu bekommen. Sie warte nur noch auf den „M-Schein“, dann bekomme sie „hoffentlich“ den Vertrag. Den M-Schein erhalten von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen beim bezirklichen Sozialamt. Wenn sie viel Glück haben, ergattern sie damit eine der raren Wohnungen im „geschützten Marktsegment“. Dafür stellen die landeseigenen Wohnungsgesellschaften jährlich rund 1.400 Wohnungen zur Verfügung. Der Senat will die Quote seit Jahren erfolglos auf 2.500 Wohnungen pro Jahr erhöhen.
Doch nicht nur Rother braucht Hilfe. Das Bezirksamt hat nach juristischen Siegen gegen Ziegler für den 20. Juli die Räumung der Moosstraße 56-58 angekündigt. 35 bis 50 Menschen, so genau weiß es das Amt nicht, verlieren dann ihr Zuhause, so „menschenunwürdig“ es sein mag. Am Adlergestell, wo 100 bis 120 Menschen leben, will der Bezirk sich mehr Zeit lassen mit der Räumung, hier laufen zudem noch Gerichtsverfahren.
Die Anordnung zur Räumung wurde als „Allgemeinverfügung“ am 5. Mai im Amtsblatt veröffentlicht. Weil das keiner liest, hat das Bezirksamt zudem „Hinweisblätter“ in mehreren Sprachen auf dem Gelände verteilt, worin über die Räumung informiert wurde – sowie darüber, dass die Bewohner*innen sich an die soziale Wohnhilfe des Bezirks wenden sollen, wenn sie Hilfe bei der Wohnungssuche benötigen. Mehrfach waren Mitarbeitende der Wohnhilfe auf dem Gelände, teils mit Unterstützung von Sprachmittler*innen der Frostschutzengel, und haben Bewohner*innen angesprochen.
Ziegler und seine Mitarbeiter behaupten, der Bezirk tue nichts für die Bewohner*innen. Im Gegenteil verschrecke er sie sogar mit den Besuchen, die von vielen als bedrohlich angesehen würden. Dass Menschen „mit osteuropäischem Erscheinungsbild“ von den Sprachmittlern gezielt auf Rumänisch, Bulgarisch oder Serbokroatisch angesprochen wurden, nennt Zieglers „Bekannter“ Klaus Langer, der sich als eine Art Sozialarbeiter der Siedlungen vorstellt, „Antiziganismus“. Eine Mitarbeiterin des Bezirksamts weist dies empört zurück – es gehe um Hilfsangebote.
Ziegler wirft dem Bezirksamt Treptow-Köpenick vor, sich zum Schaden der Bewohner*innen dem Gespräch verweigert zu haben. Ganz anders als Lichtenberg: Dort habe man eine „sozialverträgliche Lösung“ für das Ende des Wohnparks bis Mai 2024 gefunden. Der Lichtenberger Sozialstadtrat Kevin Hönicke (SPD) stellt es so dar: Ziegler habe seine Klagen gegen die Nutzungsuntersagung des Geländes bei einer Gerichtsverhandlung am 17. Mai zurückgezogen. „Er hat nun Zeit, diese Nutzungsuntersagung bis Mai 2024 umzusetzen.“ Und er, Hönicke, erwarte, dass Ziegler das Jahr nutze, um seine Mieter*innen in „richtigem Wohnraum“ unterzubringen. Der Bezirk werde dabei gerne helfen, habe aber keine Wohnungen an der Hand. Betroffen sind auch hier etwa 100 Menschen.
Leere Versprechungen
Und Treptow-Köpenick? Was unternimmt der Bezirk, damit die Bewohner*innen ab dem 20. Juli nicht obdachlos sind? Laut Pressestelle ist das Bezirksamt mit 25 Personen in „ständigem“ Kontakt, zudem unterstützten die Kooperationspartner Gebewo Soziale Dienste und die Mieterberatung Asum „weitere Personen“. Das Versprechen: „Das Bezirksamt sucht für alle Bewohnerinnen und Bewohner des Objekts, die die Unterstützung des Amtes in Anspruch nehmen, Wohnraum.“
Die Sache hat nur ein paar Haken. Der erste: Nicht alle nehmen das Hilfsangebot an, die serbische Familie neben Rother etwa winkt ab. Mit dem Amt will sie nichts zu tun haben, das Misstrauen ist offenbar groß. Auch „die Drogensüchtigen“, von denen alle erzählen, die die taz bei ihrem Besuch aber nicht zu Gesicht bekommt, sind wohl kaum in der Lage, sich selbst zu kümmern. Das weiß man auch beim Bezirksamt. Für solche Fälle werde „es auch eine angemessene Begleitung nach der Räumung geben“. Was immer das heißt.
Haken zwei: Der „Wohnraum“, den das Amt verspricht, wird nicht unbedingt, womöglich sogar eher selten eine richtige Wohnung mit Mietvertrag sein – die gibt es ja kaum in Berlin. „Wohnraum“ kann laut Bezirk auch „ordnungsrechtliche Unterbringung“ bedeuten, sprich: Zuweisung ins Wohnungslosenheim. Das Bezirksamt meint, auch die Heime seien immer besser als Zieglers Containerparks, da „professionelle Unterkünfte, die die berlinweit festgelegten Mindeststandards erfüllen“. Zudem gebe es hier sozialarbeiterische Hilfe.
Manche Bewohner*innen, die Erfahrungen mit Wohnheimen haben, sehen das anders. Im Containerpark Adlergestell traf die taz im April einige, die aus Wohnheimen abgehauen waren. Bei Ziegler müssen sie kein Zimmer teilen, haben ihre Ruhe, sind ihr „eigener Herr“.
Kai Werner fühlt sich in der Moosstraße ebenfalls wohl. Am späten Nachmittag sitzt er vor seinem Container, raucht eine Zigarette und guckt den Nachbarn bei ihren Essensvorbereitungen zu. Seit vorigem Sommer wohnt der 58-jährige Gabelstablerfahrer hier. „Menschenunwürdig“ findet er die Verhältnisse überhaupt nicht. Ratten zum Beispiel gebe es überall, wo es Grün gebe – Werner weist auf das parkähnliche Gelände hinter dem Grundstück. „Ich habe bekommen, was ich bezahlt habe.“: einen Raum, über den er allein verfügen kann, gut beheizbar, nebenan der Sanitärcontainer mit Waschmaschine. Für ihn sei „der Deal in Ordnung“. Seit er 2012 nach Berlin kam, habe er trotz Arbeit nie eine bezahlbare Wohnung gefunden, immer in Wohnheimen und Arbeiterpensionen gelebt.
Werner sieht sich im Gegenteil durch die Räumung in seiner Menschenwürde verletzt. Er habe einen „ordentlichen“ Mietvertrag, immer seine Miete gezahlt, er sei ordnungsrechtlich gemeldet in der Moosstraße. Wenn man ihn nun wohnungslos mache, sei es das Mindeste, findet er, dass man ihm eine neue Wohnung besorge – „nach der Verfassung habe ich schließlich eine Menschenwürde, die der Staat schützen muss“.
Seit dem 3. Mai, als er auf einer vom Bezirksamt anberaumten Infoveranstaltung gehört hat, was ansteht, sitzt er auf heißen Kohlen, sagt Werner. Seinen Job habe er danach gleich gekündigt, um Zeit zu haben für „die Papiermühle“: die Ämtergänge für M-Schein und Hilfe bei der Wohnungssuche. Ob das klappt, weiß er nicht. „Dieser Zustand wird immer mehr zu einer geistigen Belastung. Wir erleben jetzt, was ein Flüchtling durchmacht. Dabei sind wir ganz normale Mieter.“
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