Wohnungsnot in Berlin: Letzte Zuflucht Trailerpark
Die Container- und Wohnwagensiedlung in Grünau ist für ihre Bewohner*innen ein Zuhause. Dass der Bezirk räumen lassen will, macht ihnen Angst.
Er kommt gleich zur Sache: „Ins Wohnheim möchte ich nicht mehr. Dann müsste ich den Hund abgeben, das will ich nicht, sie war ein Geschenk von mir an meine verstorbene Lebensgefährtin“, sagt der dünne 65-Jährige, seine blauen Augen füllen sich mit Tränen. Als seine Liebste vor eineinhalb Jahren starb, habe er es nicht mehr ausgehalten in ihrem Wohnheim, wo ausnahmsweise Hunde erlaubt waren. „Da habe ich den Oliver angerufen und er sagte, ich könne zurückkommen. Hatte ja schon vorher ein paar Jahre hier gewohnt.“
Der erwähnte Oliver, Nachname Seelig, ist ein Mann mittleren Alters mit glattem Babygesicht und Bierbauch. Er sitzt ein paar Meter von Francks Wohnwagen entfernt auf einer Bierbank – das Gespräch der Journalistin mit einem seiner Mieter wolle er nicht mithören, hat er erklärt. „Sie sollen ja nicht denken, ich wolle hier was beeinflussen.“ Seelig handelt mit Wohnwagen und vermietet sie, etwa 35 stehen auf dem Grundstück Adlergestell 552 am S-Bahnhof Grünau, das einem Mann namens Ulrich Ziegler gehört. Seelig hat von ihm einen Teil des Grundstücks gepachtet.
Der Trailerpark ist keine Wagenburg für Aussteiger, die vom freien Leben träumen. Die Menschen hier haben auf dem Wohnungsmarkt keine Chance. Die Gründe sind bekannt: wenig Geld, teilweise Schulden, teilweise Drogen und/oder psychische Probleme, Vorurteile von Vermietern. Hier leben Arbeiter, manche aus Rumänien und Bulgarien, teils mit Familien, Erwerbslose, Rentner, Geflüchtete.
„Unhaltbare Zustände“
Hinter einem blickdichten Zaun stehen Wohnwagen und Container älterer Bauart dicht an dicht, in der Mitte ist ein freier Sandplatz mit Sitzgelegenheiten, vor einem Wagen stehen auch drei Blumentöpfe. Außerhalb des Zauns, rechts und links vom Wagenplatz, stehen Container zweistöckig übereinander wie auf Baustellen, zu den oberen führen Holztreppen mit einer Veranda. Das Ganze befindet sich in einer wenig ansprechenden Umgebung: vorne reichlich Autoverkehr, hinten rattert die Bahn.
Der Bezirk will den Platz weghaben – ebenso einen anderen in der Moosstraße vom selben Eigentümer. Stadträtin Claudia Leistner (Grüne) spricht von „unhaltbaren Zuständen“, es gebe keine Baugenehmigung, der Brandschutz und andere Vorschriften würden nicht eingehalten, zudem beschwerten sich Anwohner wegen Vermüllung und Ratten. Dem Eigentümer Ziegler wirft das Bezirksamt „kriminelles Gebaren“ vor – und dass er an der Notlage der Menschen viel Geld verdiene.
Zu dieser Einschätzung trägt wohl der Umstand bei, dass Ziegler früher tatsächlich kriminell war. 2012 sei er zu sieben Jahren Freiheitsstrafe wegen „Bandendiebstahl und Bandenbetrug“ verurteilt worden, erzählt er freimütig. Als er 2014 aus dem Untersuchungsgefängnis Moabit ausbrach, wurde bundesweit über ihn berichtet. Vor vier Jahren „wegen günstiger Sozialprognose“ entlassen, versuche er nun, legal sein Geld zu verdienen, etwa mit Grundstücksgeschäften. In anderen Städten sei er damit auch erfolgreich.
In Berlin nicht: 450.000 Euro Bußgelder habe Treptow-Köpenick inzwischen gegen ihn verhängt, sagt Ziegler. Auch um ein drittes Grundstück in der Puschkinallee gebe es Zoff, hier soll er gegen Denkmalschutz verstoßen haben. Einen weiteren Trailerpark mit rund 200 Bewohner*innen hat er im Hönower Wiesenweg 25 in Lichtenberg, auch der soll weg. Auch hier wirft der Bezirk Ziegler einen Verstoß gegen die Bauordnung vor, dazu die illegale Nutzung eines Teils des Bürgersteigs. Auch hier hat es Bußgelder gehagelt.
Bezirke haben auch keine Wohnungen
Doch wohin mit den Menschen, wenn geräumt wird? Treptow-Köpenick verspricht zwar, sich um die laut Ziegler rund 300 Leute zu kümmern. Klar ist aber: Wohnungen für sie alle wird der Bezirk nicht finden, die meisten würden wohl in Heimen für Wohnungslose landen oder, weil auch die meist voll sind, in Pensionen der Kategorie „sehr einfach“, für die Bezirke Tagessätze von 30 bis 50 Euro pro Person zahlen.
Ziegler will jedenfalls nicht räumen. Er nennt die Siedlungen „soziale Wohnprojekte“, bei ihm kümmere man sich um die Menschen und lasse sie nicht im Stich. Um den Konflikt zu entschärfen und die Bußgelder abzuwenden, hat der 34-Jährige kürzlich beiden Bezirken angeboten, die Grundstücke samt Bewohner*innen für zehn Jahre mietfrei zu übernehmen und sie zu „safe places“ für Wohnungslose weiterzuentwickeln. Irgendwann später würde er mit dem Verkauf der Grundstücke gerne Geld machen, gibt er zu – aber derzeit sei die Marktlage ohnehin nicht günstig.
Ob Treptow-Köpenick das Angebot annimmt, ist noch nicht entschieden, am Dienstag ist ein Hintergrundgespräch für Journalist*innen angesetzt. Aus Lichtenberg erklärt Sozial- und Stadtentwicklungsstadtrat Kevin Hönicke (SPD) auf Anfrage: „Ich verhandle nicht mit Kriminellen, die ihr schäbiges Geschäft auf Kosten von Menschen betreiben.“
Derweil geht bei den Bewohnerinnen im Trailerpark Adlergestell, sofern sie von dem Konflikt wissen, die Angst um. „Ich weiß nicht, was werden soll, wenn sie den Platz räumen“, sagt Sina, eine junge Punkerin. Seit „vier, fünf Jahren“ lebe sie hier, nie habe sie eine eigene Wohnung bekommen, sie lebt von Grundsicherung. Ihr gefalle es hier, sagt sie, vor allem die Nachbarschaft. „Wenn Eier fehlen, fragen wir beim Nachbarn, ganz normal wie im Mietshaus“. Auch Frührentner Franck schwärmt vom Zusammenhalt unter den Mieter*innen. „Wir helfen einander, im Sommer sitzen wir zusammen und grillen. Und wenn einer Ärger macht, klären wir das untereinander.“
Besser als gar nichts
Andere sehen es pragmatischer. Sonia Haddouchi und ihr Mann kamen voriges Jahr aus der Ukraine als Kriegsflüchtlinge. Die beiden marrokanischen Medizinstudenten haben in der ganzen Stadt vergeblich nach Wohnraum gesucht, erzählen sie – bis sie auf Ebay Kleinanzeigen eine Annonce von Seelig gelesen haben. Nun bewohnt das Paar einen möblierten Container von etwa 25 Quadratmetern mit Duschecke und WC, Schlafkabine und Wohnbereich mit riesigem Fernseher und kleiner Kochecke. Dass sie dafür 560 Euro bezahlen, findet Haddouchi in Ordnung: „WG-Zimmer kosten ja auch so viel.“
Die Mieten sind in der Tat wie bei Wohnungen: Er nehme zwischen 350 und 560 Euro, sagt Seelig, die von der taz befragten Mieter*innen bestätigen Preise von 420 bis 560 Euro. Immerhin inklusive Strom: verdeckte Mehrkosten, etwa fürs Heizen, gibt es also nicht.
Uwe Töllies hat sich seinen Wohnwagen in den zweieinhalb Jahren, die er hier lebt, wohnlich eingerichtet, mit Teppichen an den Wänden und einem riesigen Flachbildschirm an der Stirnseite. In der Mikrowelle auf der Anrichte drehen sich Chickennuggets. Der 57-Jährige war gerade einkaufen und plumpst erschöpft auf sein Bett. Vor eineinhalb Jahren hatte er einen Schlaganfall, er kann nur undeutlich sprechen, braucht für die Strecke zum Supermarkt einen Rollator und hat einen gesetzlichen Betreuer. „Der soll eigentlich was für mich suchen, am besten betreutes Einzelwohnen, aber er findet nichts“, nuschelt er resigniert.
Ins Obdachlosenheim will Töllies auf keinen Fall: Da werde geklaut, hat er gehört, „und mit anderen auf ein Zimmer will ich auch nicht“. 420 Euro zahlt Töllies, der vor dem Schlaganfall als Postsortierer gearbeitet hat, an Seelig. Noch sei das kein Problem, sagt er, noch bekomme er 1.000 Euro Krankengeld. Aber wie lange noch?
Seelig beteuert, wenn jemand eine Zeitlang nicht zahlen könne, sei das kein Problem, er sei kein herzloser Vermieter. Auch Ziegler betont, ihm gehe es nicht ums Geld. Ohnehin habe er nichts von den Mieteinnahmen, denn er habe seine Grundstücke Pächtern wie Seelig kostenlos zur Verfügung gestellt, die eigenständig ihre Vermietungsgeschäfte machten. Neben Seelig seien das Firmen wie die Terra 4 Verwaltungs GmbH oder die Hönower Wiesenweg 25 Verwaltungs GmbH, mit denen er, Ziegler, nichts zu tun habe.
Ein Geflecht von Firmen
So ganz überzeugend ist das nicht. Bei Northdata, einer Online-Datenbank mit Firmen-Daten, wird als Geschäftsführer der beiden GmbHs ein Michael Mikota genannt, mit dem Ziegler früher gemeinsamer Geschäftsführer der M und Z Immobilienverwaltungs GmbH war. Überhaupt spinnt sich ein regelrechtes Geflecht von älteren und neueren Firmen um beide Namen – und die Postanschrift von Terra 4 ist dieselbe wie die Zieglers.
Zumindest in einer Hinsicht ist seine Beteuerung, dass es ihm nicht ums Geld gehe, aber durchaus glaubhaft: Nehmen die Bezirke sein Angebot an, hat er für die nächsten 10 Jahre keine Einnahmen durch die Grundstücke. Zudem hinterlässt der Konflikt schon jetzt finanzielle Spuren: Der taz liegen E-Mails und gescannte Briefe vor, aus denen hervorgeht, dass das Jobcenter Treptow-Köpenick seit Ende Januar Mietzahlungen für die Moosstraße eingestellt hat – offenbar auf Hinweis des Bezirksamts, dass es keine Genehmigung für den Wohnpark gibt. Und es gibt Mails, in denen Terra 4 Mietern versichert, dass sie auch ohne Mietzahlung nicht ausziehen müssten und so lange bleiben könnten, wie sie wollen; auch dem Jobcenter wurde dies mitgeteilt. Laut Ziegler betrifft dies mindestens ein Drittel der Mieter beider Treptower Siedlungen.
Auch Seelig will beim Rundgang in Grünau zeigen, dass er kein Wucherer ist und seine Mieter für ihr Geld etwas bekommen: zum Beispiel einen Sanitär-Container mit je zwei Duschen, Toiletten und Waschmaschinen, der zwar ein wenig nach Urin riecht, insgesamt aber sauber wirkt. „Wenn sich ein Mieter wegen eines verstopften Klos beschwert, ist das in einer Stunde erledigt“, beteuert er. „Und was die Ratten angeht“: Seelig zeigt auf den Aufkleber eines Schädlingsbekämpfers an der Tür zum Sanitärbereich.
Sein ganzer Stolz ist aber der riesige Feuerlöscher, etwa einen Meter hoch und sicher zentnerschwer, den er kürzlich für ein paar tausend Euro gekauft habe. Apropos Brandschutz: Neben jedem Wohnwagen hat Seelig zwei (normal große) Feuerlöscher postiert, eine ganzes Bataillon davon steht neben den Bierbänken in der Platzmitte.
Das Müllproblem scheint allerdings nicht im Griff zu sein, auch wenn es auf dem Gelände sechs Tonnen gibt, die die BSR laut Seelig einmal pro Woche leert. Draußen, zwischen Zaun und Bürgersteig, liegt ein Berg von schwarzen Müllsäcken, daneben rotten Sperrmüll, alte Gerätschaften und Grünschnitt vor sich hin. Das sei gar nicht ihr Müll, sagt Seelig. „Ehemalige Mieter, die ausgezogen sind, haben damit angefangen. Inzwischen stellen Pendler, die vorbeikommen, ihren Müll einfach dazu.“
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