Rädertierchen wieder aufgetaut: Huch, kein Mammut mehr da

24.000 Jahre haben Rädertierchen im arktischen Permafrost überdauert – und sind nun aufgetaut. Was wir Menschen von diesen Miniwesen lernen können.

Mikroskopische Aufnahme eines Rädertierchens

Nach 24.000 Jahren ins Leben zurückgeholt: das Rädertierchen Foto: Lyubov Shmakova/reuters

Es ist ja ein beliebter Filmstoff: Irgendwer wird eingefroren, überdauert ein paar Jahrzehnte im Tiefschlaf, und schließlich steht Captain America ratlos in einer neuen Welt, die sich ganz schön verändert hat. Was sollen da erst die Rädertierchen sagen, die von russischen Forschenden gerade aufgetaut worden sind?

Die nur 0,1 bis 0,5 Millimeter großen, mehrzelligen und sogar mehrorganigen Winztierchen haben 24.000 Jahre eingefroren im arktischen Permafrostboden überdauert und dürften sich ziemlich wundern, wenn sie sich jetzt umschauen. Kein Mammut mehr da und diese zweibeinigen Affen machen ziemlich seltsame Sachen.

Kryptobiose klingt zwar nach einem neumodischen Achtsamkeitsaccessoire wie Glutenunverträglichkeit, ist aber die bemerkenswerte Fähigkeit von Zellen oder ganzen Organismen, komplett eingefroren lebend zu überdauern. Nun ist es natürlich etwas anderes, ob man ein Rädertierchen frostet oder einen Menschen.

Aber am Ende ist es eher ein quantitatives als ein qualitatives Problem. Denn auch ein Rädertierchen hat einen Fuß, einen Verdauungstrakt und Vorrichtungen, um alles in der Umgebung schamlos anzutatschen und sich einzuverleiben. Und einen Fortpflanzungsapparat. Kaum aufgetaut, ging es gleich wieder zur Sache. Kein langes Geflirte, das Rädertierchen machtʼs sich lieber selbst und setzt genetisch identische Nachkommen in die Welt – mittels Parthenogenese, etwas altmodisch auch Jungfernzeugung genannt.

Wir sollten diesen sehr alten Jungfern dankbar sein, denn wir können viel von ihnen lernen. Erstens: Einfach mal Pause machen schadet nicht. Zweitens: Das Leben geht weiter! Klar, hin und wieder muss man Rückschläge einstecken, zum Beispiel ein paar Jahrtausende im Eis, aber danach gibt es dann eine ordentliche Sause. Ist das nicht für nach Corona eine wirklich tröstliche Botschaft?

Und drittens: Mögen uns die Zeiten auch noch so schnelllebig vorkommen, eigentlich ändert sich nicht viel. 24.000 Jahre geschlafen, und schon geht’s weiter mit Fressen und Fortpflanzen. Letztlich hat auch Captain America nach dem Auftauen nur kurz mit den Achseln gezuckt und dann das getan, was er früher auch schon gemacht hat, nämlich: Bösewichte verprügeln. Die wesentlichen Dinge ändern sich eben nie.

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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