Raed Saleh und die Vergesellschaftung: Plötzlich Kommunist
SPD-Fraktionschef Saleh fordert vom Senat mehr Tempo beim Rahmengesetz zur Vergesellschaftung. Die Reaktionen auf den Vorstoß fallen sarkastisch aus.
Seine Forderung: Es brauche mehr Tempo bei der im Koalitionsvertrag vereinbarten Erarbeitung eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes. Zumindest wolle er „jetzt eine Zeitschiene“ vom Senat sehen, „bis wann ein entsprechendes Gesetz als Entwurf ausgearbeitet wird“.
Falls sich der Senat dem verweigere, werde seine SPD-Fraktion „noch in der Legislaturperiode selbst parlamentarisch einen Gesetzentwurf vorlegen und unserem Koalitionspartner präsentieren“, so Saleh.
Mit dem vor eineinhalb Jahren von CDU und SPD als Regierungsziel ausgegebenen Rahmengesetz sollen eigentlich nur „Kriterien für eine Vergesellschaftung“ nach Artikel 15 Grundgesetz „definiert“ werden. Kritiker:innen sahen darin von Beginn an eine Nebelkerze, um die Umsetzung des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ von 2021 zu torpedieren.
Opposition zweifelt an Glaubwürdigkeit
Tatsächlich ist seit dem Amtsantritt des Senats im Frühjahr 2023 in der Hinsicht nichts passiert. Nicht einmal beim eigenen Kriteriendefiniergesetz. Stattdessen erklärte Senatschef Kai Wegner (CDU) im April: „Mit mir als Regierendem Bürgermeister wird es Enteignungen von Wohnungsunternehmen in dieser Stadt nicht geben. Punkt.“ Kaum anders hatte sich in der Vergangenheit die Ex-Regierende und heutige SPD-Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey geäußert.
Dementsprechend uneuphorisch fallen nun die Reaktionen auf den Vorstoß von SPD-Fraktionschef Raed Saleh aus. So erinnert die Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger daran, dass sich die „Dauerregierungspartei SPD“ seit 2021 bei allen Versuchen, „aus der Mietpreisspirale herauszukommen“, als „Bremsklotz“ erwiesen hätte.
„Es wäre daher allen Mieter:innen geholfen, wenn die SPD nicht nur schöne Sommerinterviews gibt, sondern Mieterschutz auch ernsthaft umsetzt“, sagt Schmidberger zur taz. Doch selbst hier sei die SPD-Bilanz „mehr als mau“, vom längst auf Eis gelegten Thema Vergesellschaftung ganz zu schweigen.
Niklas Schenker von der Linken nennt die Ankündigung von Saleh gegenüber der taz „geradezu zynisch und wenig glaubwürdig, nachdem die SPD drei Jahre die Umsetzung des Volksentscheids verhindert hat“. Sollte es eine ehrliche Meinungsänderung der Sozialdemokrat:innen geben, seien die Abgeordneten der Linksfraktion „die ersten, die mit größter Freude ein Vergesellschaftungsgesetz im Parlament beschließen“, so Schenker.
Achim Lindemann, Deutsche Wohnen & Co enteignen
Ähnlich sarkastisch reagiert man bei der Vergesellschaftungs-Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. „Schön, dass Raed Saleh aufgewacht ist und merkt, dass die Mieten steigen“, sagt Sprecher Achim Lindemann zur taz. Wie Katrin Schmidberger und Niklas Schenker weist dann auch Lindemann darauf hin, dass die SPD als Teil des Senats „die Vergesellschaftung seit 2021 aktiv blockiert“.
Raed Saleh selbst habe auch nie den Kontakt zu Deutsche Wohnen & Co enteignen gesucht oder im Sinne der Initiative gehandelt. Zudem sei die Forderung weder ausreichend noch zielführend, so Lindemann: „Anstelle eines sinnlosen Rahmengesetzes sollte ein echtes Vergesellschaftungsgesetz geschrieben werden.“
An einem solchen arbeitet die Initiative seit einer Weile selbst. Spätestens 2025 will man ein fertiges Vergesellschaftungsgesetz vorlegen. Lindemann sagt: „Wir kommen mit unserem Gesetz sehr gut voran.“ Wenn der Senat den Prozess, wie angenommen, weiter blockiert, will Deutsche Wohnen & Co enteignen ein neues Volksbegehren auf Grundlage dieses Gesetzes starten. Sollte der anschließende Volksentscheid erfolgreich sein, träte das Gesetz sofort in Kraft. Völlig unabhängig von der SPD.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml