Radler kollidieren mit parkenden Autos: Mit dem Kopf durch die Heckscheibe
In Hamburg krachen immer wieder Rennradfahrer in parkende Autos. Die Polizei hält mit einer Sensibilisierungskampagne dagegen.
Nicht ganz überraschend häuft sich hier eine besondere Art von Unfällen: Rennradfahrer, die mit geparkten Autos kollidieren, mit zum Teil schrecklichen Folgen. Am Samstag versucht die Polizei in Zusammenarbeit mit einschlägigen Verbänden vor Ort auf die Gefahr aufmerksam zu machen.
Allein im vergangenen Jahr krachten nach Angaben der Polizei 26 Radfahrende in Hamburg in geparkte Autos. Auch im laufenden Jahr gab es bereits mehrere, zum Teil schwere Unfälle dieser Art. Zuletzt prallte Anfang Juni eine 34-jährige Rennradfahrerin in das Heck eines abgestellten Autos. Sie zog sich so schwere Verletzungen zu, dass sie mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden musste. Im Mai übersah ein 63-Jähriger das geparkte Auto eines Pflegedienstes. Er durchbrach die Heckscheibe und kam ebenfalls schwer verletzt in ein Krankenhaus.
Beim schlimmsten Vorfall der vergangenen Jahre verunglückte im Oktober 2023 ein 30-jähriger Rennradfahrer. Zeugen zufolge war er mit hohem Tempo und beinahe ungebremst in einen stehenden Pkw gerast. Er verletzte sich so schwer, dass er noch am Unfallort starb.
Mögliche Ursache: gesenkter Kopf
Die Polizei erklärt sich die Häufung der Unfälle damit, dass die freien und gut ausgebauten Straßen dazu führten, dass die Aufmerksamkeit nachlasse. Zugleich animierten sie dazu, schnell zu fahren. „Gerne nehmen Radfahrende zudem eine aerodynamische Körperhaltung (gesenkter Kopf) ein“, schreibt die Polizei. Die Aktion, mit der sie die Radler für die Gefahr sensibilisieren will, heißt denn auch „Kopf hoch!“
Arne Naujokat vom Radsport-Verband Hamburg erinnert sich, schon vier- bis fünfmal bei einer solchen Aktion dabei gewesen zu sein, die vom Forum Verkehrssicherheit begleitet wird, in dem Vertreter von Behörden und der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. „Die wollen erst mal nicht unbedingt immer anhalten“, sagt Naujokat mit Blick auf die Radfahrer. In der Regel ergäben sich dann aber gute Gespräche.
Der Radsportler vermutet, dass die Rennradfahrer wegen der Eintönigkeit der Strecke und im „Trainingsflash“ bisweilen einen Tunnelblick bekommen, der ihre Wahrnehmung beeinträchtigt. Er könne auch nachvollziehen, „dass man mal auf den Fahrradcomputer guckt“, sagt Naujokat.
Das kann aber je nach Dauer und gefahrener Geschwindigkeit höchst gefährlich sein. Bei einer sportlichen Durchschnittsgeschwindigkeit von 35 Stundenkilometern legt ein Rad fast zehn Meter in einer Sekunde zurück. Bei zwei Sekunden ist das schon fast eine Hallenschwimmbadlänge.
Parkverbote könnten helfen
Dirk Lau vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) findet das Motto der Verkehrssicherheitsaktion „ein bisschen anmaßend“. Es unterstelle den Radfahrern, dass sie zu blöd seien, den Kopf hochzunehmen. „Da fühle ich mich spontan nicht ernst genommen“, sagt Lau.
Die Straßen in den Vier- und Marschlanden seien nun mal beliebte Trainingsstrecken, auf denen fast nirgends das Parken verboten sei. „Wenn man das Problem nicht anders in den Griff kriegt, muss man eventuell darüber nachdenken, Haltezonen auszuweisen“, sagt Lau. Schilder, Poller und Markierungen könnten dann die Radler warnen.
„Ein Parkverbot lässt sich straßenverkehrsrechtlich nicht umsetzen“, sagt dagegen Naujokat. Das sei von den Behörden schon geprüft worden. Ändern ließe sich das gegebenenfalls mit dem entsprechenden politischen Willen.
Naujokat vermutet aber in erster Linie individuelle Fehler als Ursache für die Unfälle. „Die hätten die Autos sehen müssen“, sagt der Mann vom Radsport-Verband. Deshalb halte er es erst mal für richtig, mit Aktionen wie der am Sonnabend bei den Radlern individuell das Gefahrenbewusstsein zu schärfen.
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