Radikalisierung: „Sie fühlten sich abgelehnt“
Der Bremer Kriminalwissenschaftler Daniel Heinke erforscht, wie Terroristen sich in Deutschland radikalisieren.
taz: Herr Heinke, wie wird jemand, der in Deutschland aufgewachsen ist, zum islamistischen Terroristen?
Daniel Heinke: Ich würde in aller Vereinfachung drei wesentliche Phasen ausmachen: Es beginnt mit der Unzufriedenheit, sozial nicht dazuzugehören. Das kann eingebildet, aber auch eine tatsächliche Ablehnungserfahrung sein.
So empfinden viele ...
ist Leiter des Planungsstabs beim Bremer Innensenator. An der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen und am King‘s College in London forscht er zur „Radikalisierung islamischer Terroristen im Westen“.
... und natürlich wird fast niemand von denen Terrorist. Andererseits ergeben die bisherigen Auswertungen über Terroristen, dass praktisch alle eine solche Phase durchmachten – obwohl es manchen materiell sehr gut ging. Darauf folgt die ideologische Formung: Man sucht eine Erfüllung, die nicht selten religiösen Charakter hat – ob im Islam, Christentum oder Buddhismus – um irgendwo dazuzugehören. Islamistische Gruppen nutzen das aus.
Was macht sie erfolgreich?
Das klare Schwarz-Weiß-Denken: Insbesondere beim extremistischen Salafismus wird ein Abwehrkampf gegen „die Ungläubigen“ und „den Westen“ gepredigt. Es ist kein Automatismus, aber: Wer diese extreme Überzeugung angenommen hat, kann zu Gewalttaten mobilisiert werden. Sehr häufig gibt es einen Anstoß von außen: die Ansage, dass es nun Zeit sei, sich am Kampf zu beteiligen.
Wo findet der erste Kontakt zu islamistischen Gruppen statt?
Schulen sind dafür ein beliebter Ort, weil Teenager noch beeinflussbarer sind und zu einer Risikofolgenabschätzung noch nicht so fähig sind. Aber die Radikalisierung findet auch an vielen anderen Orten statt.
Auch in den Moscheen?
In Deutschland ist das eher die Ausnahme. In Bremen haben wir allerdings am Beispiel des Kultur- und Familienvereins gesehen, dass ein solcher Ort der zentrale Nukleus für eine Radikalisierung sein kann.
Bremens Innensenator hat den Verein 2014 verboten. Was hat das gebracht?
Wir hatten davor in sehr kurzer Zeit einen starken Anstieg von Unterstützern des sogenannten „Islamischen Staates“, die nach Syrien und den Irak ausgereist sind und die wir diesem Verein zugeordnet haben. Seit dem Verbot gab es in Bremen nur noch vereinzelte Fälle.
Wie bewerten Sie die islamistische Missionierung vor Flüchtlingsheimen?
Die Menschen, vor allem aus Syrien, flüchten ja teilweise vor dem „Islamischen Staat“ und sind dann eher wenig empfänglich. Was man aber nicht unterschätzen sollte: Wenn man den Menschen nicht das Gefühl gibt, dass sie an der Gesellschaft teilhaben können, werden sie empfänglich für eine Unzufriedenheit. Die führt bei den allermeisten nicht zu extremistischem Verhalten, aber ist der Nährboden, auf dem Agitatoren versuchen, einzelne Personen heranzuziehen. Wir müssen deshalb die Integration massiv befördern, sie ist auch sicherheitspolitisch von großer Bedeutung.
Welche Gegenstrategien haben die Sicherheitsbehörden?
Es lohnt sich, extremistische Personen zu beobachten. Gleichzeitig muss man gegen allgemeine kriminelle Strukturen vorgehen – wer Leute erschießen möchte, braucht eine Schusswaffe. Extremismus-Bekämpfung ist aber auch ein Aufgabe von politischer Bildung: Es muss ein Gegennarrativ zum Islamismus etabliert werden.
Wie meinen Sie das?
Wer sich im Internet über den Islam informieren will, stößt schnell auf extremistische Inhalte. Vor allem junge Leute, die nicht übernehmen, was ihre Eltern praktizieren, suchen ihre eigene Glaubensinterpretation. Für sie gibt es kein entsprechendes Angebot, das den extremistischen Erklärungen etwas entgegensetzt.
Müssen die Schulen hier einspringen?
Lehrer müssen wachsam sein. Aber das Thema nur bei den Schulen abzugeben, wäre falsch. Auch das soziale Umfeld und etwa die Moscheegemeinden und die Islamverbände müssen sich verantwortlich fühlen. Senator Mäurer hat schon vor einem halben Jahr eine umfassende nationale Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Extremismus eingefordert.
Bremens Polizei bekommt einen neuen Panzerwagen ...
Ich muss in Prävention investieren, aber auch in die Sicherheitsbehörden. Deren Schwierigkeit ist die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit: Solange nichts passiert, sollen sie nicht erforderlich sein, wenn aber etwas passiert, haben sie versagt.
Haben sie das nicht? Die meisten Täter von Paris standen unter Beobachtung ...
Dass dies nicht immer dazu führt, dass man Anschläge verhindert, liegt in der Natur der Sache: Die extremistische Ausrichtung einer Person ist für sich genommen ja noch keine Straftat. Die Eingriffsmöglichkeiten sind daher begrenzt.
Lassen sich Islamisten überhaupt noch erreichen?
Es ist zu früh, um zu sagen, ob etwa Aussteigerprogramme funktionieren. Aber manche Rückkehrer aus Syrien sind durch das, was sie erlebt haben, sehr desillusioniert. Man sollte niemanden aufgeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“