Radikalisierte Minderjährige: Verfassungsschutz im Kinderzimmer
Überwachung unter-14-Jähriger: Die CSU möchte radikalisierte Kinder bundesweit beobachten lassen und steht damit allein da – fast.
Ungewöhnlich ist die Richtung, aus der Herrmanns Vorschlag nun unterstützt wird. Ausgerechnet der von Linken und SPD als Präsident des thüringischen Verfassungsschutzes eingesetzte Stephan Kramer stellt sich hinter die Forderung aus Bayern. „Sofern konkrete Hinweise vorliegen, müssen die Sicherheitsbehörden hier die Möglichkeit zur Beobachtung, Speicherung und Bewertung von Erkenntnissen haben“, sagte Kramer der Mitteldeutschen Zeitung.
Der Vertraute des Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow erntet dafür prompt Kritik aus der Bundespartei. „Ich habe den Eindruck, Stephan Kramer läuft in dieser Frage voll aus dem Ruder“, sagte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, der taz. Kinder seien kein Fall für den Verfassungsschutz. „In erster Linie ist Prävention wichtig“, so Jelpke weiter. „Wenn es Anhaltspunkte für die Radikalisierung von Kindern gibt, ist das eine Aufgabe für Polizei, Jugendhilfe und Schule – und nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes.“
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) sieht das ähnlich. „Bevor Kinder eventuell zu Tätern werden könnten, sind sie erst mal selbst Opfer übelsten Missbrauchs durch ihre fanatisierten, radikalisierten Eltern.“ Deshalb müsse es um die Frage gehen, wie diese Kinder geschützt werden könnten, sagte Pistorius am Mittwoch.
Schutzalter gerade erst gesenkt
Bisher ist es dem Verfassungsschutz untersagt, Informationen über Jugendliche vor Vollendung des 14. Lebensjahrs zu sammeln und zu speichern, wenn keine Anhaltspunkte für eine schwere staatsgefährdende Tat vorliegen. Der Bundestag hatte das Schutzalter 2016 allerdings bereits um zwei Jahre gesenkt.
Der von Joachim Herrmann im März im Bundesrat eingebrachte Gesetzesantrag plädiert nun für die „vollständige Aufhebung der Altersgrenzen“ bei Personen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Auch Minderjährige hätten schließlich bereits schwere Straftaten begangen. Der Gesetzesantrag verweist unter anderem auf den Messerangriff einer 15-Jährigen auf einen Bundespolizisten in Hannover, der im Februar 2016 für Aufsehen gesorgt hatte.
Ulla Jelpke, Die Linke
Herrmanns Vorschlag dürfte jedoch kaum eine Chance haben. Führende Politiker aller Bundestagsparteien lehnten die Initiative ab. Wie Bayern können die Bundesländer allerdings eigene Regelungen erlassen und die Beobachtung von Kindern durch den Verfassungsschutz erlauben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche