Grünen-Politikerin über innere Sicherheit: „Wo sind V-Leute nützlich?“
Nach dem Innenminister fordern auch die Grünen einen zentralen Verfassungsschutz. Ein Schwenk auf Law and Order? Nein, sagt Innenexpertin Mihalic.
taz: Frau Mihalic, vor einiger Zeit diskutierten die Grünen noch, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Jetzt schwenkt Ihre Partei auf die Linie des Innenministers und fordert einen zentralen Bundesverfassungsschutz sowie die Abschaffung der Landesämter. Woher kommt der Wandel?
Irene Mihalic: Das stimmt so nicht ganz. Wir Grünen haben seit dem NSU-Desaster immer gefordert, den bestehenden Verfassungsschutz aufzulösen. Anders als die Linke haben wir aber auch gesagt, dass wir ihn neu gründen müssen, weil wir in bestimmten Bereichen weiter auf nachrichtendienstliche Informationen angewiesen sind. Klar ist aber: Das jetzige System hat, auch im Fall Amri, unheimliche Schwächen bewiesen und jedes Vertrauen verspielt. Dieses unkoordinierte Nebeneinander von 17 Inlandsdiensten ist offensichtlich völlig ineffizient. Deshalb fordern wir die Neugründung des Verfassungsschutzes in einer Behörde, nur noch einer.
Ihr Parteikollege Christian Ströbele will weiter die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Dessen Arbeit sei „katastrophal“. Was gilt nun?
Die Parteiposition ist: auflösen und neugründen. Christian Ströbele hat ja recht; die jetzige Arbeitsweise des Verfassungsschutzes führt uns von einer Katastrophe in die nächste. Deshalb wollen wir ja den Neustart.
Die Grünen wollen mit einem zentralen Verfassungsschutz einen Mammutgeheimdienst schaffen?
Es geht darum, gerade angesichts der terroristischen Bedrohungen, für effektive Sicherheitsbehörden zu sorgen. Und da kann noch einiges verbessert werden. Natürlich braucht es für solch eine Behörde auch die nötige parlamentarische Kontrolle. Auch die fehlt bisher. Mit acht Mitgliedern im Parlamentarischen Kontrollgremium können sie herzlich wenig machen. Wenn da kräftig aufgestockt wird, auch in den Kontrollbefugnissen, habe ich aber wenig Sorge vor einem Mammutgeheimdienst.
Die Gründung der Landesämter für Verfassungsschutz sollte auch einer niedrigschwelligen Kontrolle dienen. Sie wollen diesen Föderalismus ad acta legen?
Nein. Wir wollen den Föderalismus verbessern. Die reine Berlin-Zentralisierung, wie sie de Maizière vorschlägt, macht natürlich keinen Sinn. Daher plädieren wir für vier bis sechs Außenstellen in der Fläche. Aber wir brauchen sicher keine 17 Nachrichtendienste, auch für Regionen, wo praktisch niemand wohnt und nichts passiert.
Ob Großbehörde oder Landesämter: Ist nicht letztlich die Arbeitsweise entscheidend?
41, war früher Polizistin und ist jetzt innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.
Natürlich. Deshalb wollen wir ja auch den Aufgabenzuschnitt des Verfassungsschutzes völlig neu fassen. Heute macht er ja alles: von der Zeitungslektüre bis zur Führung von V-Leuten. Wir wollen, dass der Verfassungsschutz nur noch für einen ganz engen Bereich zuständig ist, für das Erkennen von tatsächlich gewaltbereiten Bestrebungen und für Spionageabwehr. Nur dafür braucht es nachrichtendienstliche Mittel. Alles andere wollen wir in ein unabhängiges Institut auslagern, das extremistische Gefahren wissenschaftlich analysiert, für alle zugänglich.
Daraus entsteht kein Sicherheitsverlust?
Nein. Wo es wirklich unumgänglich ist, dürfte der Verfassungsschutz ja weiter nachrichtendienstliche Mittel nutzen. Aber das Zeitungslesen und die Auswertung öffentlicher Erkenntnisse, das können Wissenschaftler wirklich besser.
Ihre Partei forderte im letzten Wahlprogramm noch, V-Leute abzuschaffen. Jetzt ist nur noch von einem „stark begrenzten“ Einsatz die Rede. Warum wurde die Position aufgeweicht?
Wir haben im NSU-Komplex gesehen, dass sich V-Leute im Rechtsextremismus überhaupt nicht bewährt und die Szene gar noch gestärkt haben. Wo ich aber skeptisch bin, ob wir auf das Instrument verzichten können, ist der Bereich Islamismus. Hier ist es teilweise viel schwieriger, an Informationen zu kommen oder verdeckte Ermittler einzuschleusen. Deshalb sind wir erst mal für eine Evaluation: Wo liegen die Defizite, wo sind V-Leute doch nützlich?
Die Parteibasis wollte keine Evaluation, sondern einen harten Schnitt.
Es geht um eine Frage, die wir immer wieder neu diskutieren müssen. Wir werden sehen, was der Parteitag am Wochenende dazu beschließt. Ich wäre froh, wenn wir auf V-Leute verzichten können und der Staat nicht mit Rechtsbrechern zusammenarbeiten müsste. Aber wir müssen am Ende schauen, ob sich in bestimmten Bereichen damit doch Gefahren verhindern lassen.
Sind die grünen Vorstöße gerade auch Wahltaktik, um ein Fundament für Schwarz-Grün oder Jamaika zu schaffen?
Unser Konzept ist sicher nicht das schwarz-grüne Brautkleid. Während alle anderen dauernd über Sicherheitsverschärfungen reden, stellen wir die Strukturfrage und treten für den Rechtsstaat ein.
Man könnte auch sagen: Weil alle gerade über Sicherheit diskutieren, springen die Grünen auf den Zug auf?
Wir haben uns als Grüne immer wieder zu Fragen der inneren Sicherheit positioniert und diese Fragen beschäftigten auch unsere Wähler. Wir ducken uns hier nicht weg, aber wir sind bei diesem Thema traditionell in der Defensive. Dabei müssen wir uns mit unseren Vorschlägen nicht verstecken. Wenn ich höre, wie die britische Premierministerin nach den Anschlägen in London und Manchester ankündigt, Menschenrechte kippen zu wollen im Kampf gegen den Terror – das ist doch der helle Wahnsinn! Wir sagen, wir brauchen beides: Wir müssen für Bürgerrechte einstehen, aber auch dafür sorgen, dass die Bürger hier sicher leben können.
Und wenn Sie am Ende auf Linie mit dem Innenminister der CDU landen, stört Sie das nicht?
Was soll mich daran stören? Ich will Herrn de Maizière ja durchaus zugestehen, auch mal eine gute Idee zu haben.
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