Radaktivistin über die Berlin-Wahl: „Wir powern auf jeden Fall weiter“
Schwarz-Rot ist für die Mobilitätswende eine Katastrophe, sagt Ragnhild Sørensen. Für Aktivist*innen könnte es aber einen Motivationsschub geben.
taz: Frau Sørensen, in einer Mitteilung von Changing Cities nach dem jüngsten Unfalltod eines Radfahrenden hieß es: „Wir trauern, aber wir sind auch wütend.“ Die Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmender spiele im Bewusstsein der PolitikerInnen „kaum eine Rolle“. Werden Sie bald noch viel mehr Gründe haben, wütend zu sein – und sich dann zurücksehnen nach einer grünen Verkehrssenatorin?
Ragnild Sørensen: Ja, mag sein. Wobei die Ergebnisse der Verkehrspolitik unter der amtierenden Senatorin und ihrer Vorgängerin leider auch nicht überwältigend waren.
Jetzt kann es aus Ihrer Sicht aber eigentlich nur schlimmer werden.
Absurderweise hat die SPD ja das Mobilitätsgesetz mit verabschiedet. Sie müsste also eigentlich dazu stehen, tut es aber nicht. Es gibt in der SPD durchaus Menschen, die für die Verkehrswende aufgeschlossen sind – die Basis der Partei ist da weit weniger konservativ als Frau Giffey, die sich für das Gesetz nie wirklich interessiert hat. Auch die Politik, die die SPD in den Bezirken betreibt, ist verwirrend. Es fehlt eine klare Linie: Hier ist sie progressiv, dort verhindert sie zusammen mit CDU und FDP Fahrradstraßen – beispielsweise im Fall der Handjerystraße in Tempelhof-Schöneberg.
Und die CDU?
Da sieht es ähnlich aus: Das Wahlprogramm ist im Verkehrsbereich bei Weitem nicht so konservativ wie der von Spitzenkandidat Kai Wegner geführte extrem populistische Wahlkampf nach dem Motto: Wir wollen zwar Radverkehr, lassen aber den Autofahrenden den Raum, den sie heute einnehmen. Das kann nicht funktionieren. Ich denke, es gibt auch bei der CDU Spielräume. Aber hohe Erwartungen haben wir nicht.
Den Weiterbau der A100 wird ein schwarz-roter Senat wohl auch nicht mehr verhindern wollen.
Wahrscheinlich nicht. Die SPD hat zwar nach viel verwirrendem Hin und Her auf ihrem Parteitag dagegen gestimmt. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass sie am Ende sagt: Wir wollen sie eigentlich nicht, aber dagegen können wir ja nichts tun, weil hierfür der Bund zuständig ist.
Eine deprimierende Aussicht, wenn es zu dieser Koalition kommt?
Das kann man so sagen.
Aber Sie werden weiterpowern?
58, ist Sprecherin des Vereins Changing Cities. Zu dessen ersten großen Aktionen gehörte der Volksentscheid Fahrrad 2016.
Wir powern auf jeden Fall weiter. Eine solche politische Konstellation kann den AktivistInnen sogar einen Schub geben, noch mehr Druck auf die Straße zu bringen – aber für die Stadt ist es trotzdem eine Katastrophe. Schwarz-Rot wird den Klimawandel nicht zurückdrehen, wir werden weitere noch heißere Sommer haben, im Verkehr wird die Zahl der Toten und Schwerverletzten steigen. SPD und CDU sind zwar offiziell keine KlimawandelleugnerInnen. Aber wenn es um konkrete Maßnahmen geht, kneifen sie. Ihnen fehlt das Bewusstsein, dass Klimaschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Sie tun immer noch so, als läge er nur im Zuständigkeitsbereich der Grünen.
Sehen Sie das Berliner Mobilitätsgesetz in Gefahr? Schwarz-Rot im Parlament könnte anfangen, es zu entschärfen.
Die Gefahr sehen wir. Aber das wird die Zivilgesellschaft nicht hinnehmen: Dafür haben wir gekämpft, das soll jetzt nicht im stillen Kämmerlein umgeschrieben werden. Und ganz objektiv betrachtet müssen die CO2-Emissionen aus dem Verkehrsbereich ja auch in Berlin runter. Schwarz-Rot würde sich ein Riesenproblem einhandeln, wenn sie an den gesetzlichen Grundlagen rumschrauben, die das erst ermöglichen.
Die These ist provokant, aber könnte der in Teilen sehr polarisierende Klima- und Verkehrsaktivismus zu dem konservativen Backlash bei der Wahl am 12. Februar beigetragen haben?
Das glaube ich nicht. Ich sehe für den Verkehrsbereich folgendes Problem: Wir haben ein Gesetz, das enorm zögerlich umgesetzt wird. Deshalb sind FußgängerInnen und Radfahrende frustriert. Auf der anderen Seite sehen die Autofahrenden das wenige, was schon auf der Straße ankommt, und das macht ihnen offenbar Angst vor dem, was noch kommen könnte. Im Ergebnis sind alle frustriert, und dann kommt so eine Protestwahl heraus. Die Politik in Berlin unterschätzt, dass eine Mobilitätswende eine gewisse Geschwindigkeit braucht. Man muss Ergebnisse sehen. In Paris ist zum Beispiel richtig Schwung drin: Da erleben die Leute echte Verbesserungen, und das wiederum bringt eine Begeisterung mit sich. Die Langsamkeit in Berlin, diese endlosen Gutachten und verstreuten kleinen Maßnahmen – das bringt viel Unsicherheit.
Müssen Sie dann vielleicht doch noch mal im Sinne direkter Demokratie mobilisieren? Den Volksentscheid Fahrrad haben Sie ja 2016 zurückgezogen, weil Rot-Rot-Grün ganz schnell darauf eingestiegen ist.
Wir haben im Moment diesbezüglich keine Pläne, aber wir reden darüber, klar. So viele andere Möglichkeiten haben wir ja nicht, wir können ja nicht die Straßen umbauen. Andererseits gibt es die Kiezblockbewegung, und auch beim Thema Schulwegsicherheit versuchen wir voranzukommen. Wir setzen erst einmal bei den „low hanging fruits“ an – da, wo die Leute unzufrieden sind und Veränderung wollen.
Jedenfalls ist bei einem Wegner-Giffey-Senat schwer vorstellbar, dass das Radwegenetz wie im Gesetz festgelegt bis 2030 fertig wird – ein Netz, von dem bislang erst 4,2 Prozent auf der Straße angekommen sind, wie Changing Cities im Wahlkampf vorgerechnet hat.
Ja, das kann ich mir auch nicht vorstellen. Die Bezirke werden natürlich weitermachen, da haben ja durchaus weiter Leute die Verantwortung, die den Radnetzausbau vorantreiben. Aber der Senat trägt nun mal beim Ausbau einen großen Teil. Wenn drei Jahre lang gar nichts passiert, dann wird’s wirklich kritisch.
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