Racial Profiling vor Gericht: In der Kontrollschleife

Ständige Kontrollen: Als schwarzer Mensch in Hamburg-St. Pauli zu leben ist kein Spaß. Ein Anwohner verklagt die Stadt wegen Racial Profiling.

Ein Polizist guckt sich einen Pass an

Haben wir da etwa einen nicht deutschen Staatsbürger? Sofort kontrollieren! Foto: Felix Kästle/dpa

HAMBURG taz | Manchmal sprechen ihn die Beamt*innen auf der Straße sogar mit seinem Namen an. Viele Streifen- und Task-Force-Polizist*innen kennen Barakat H. Seit 2016 wohnt er in Hamburg-St. Pauli – und die Polizei ist eigentlich auch immer da. Die Task Force Drogen macht hier seit 2015 fast täglich Jagd auf Kleindealer und Geflüchtete, die sie für Kleindealer hält. Aber unter den Beamt*innen gibt es viel Fluktuation, einige kennen Barakat H. nicht oder können sich sein Gesicht nicht merken – was dazu führt, dass der gebürtige Togoer ständig kon­trolliert wird.

Im Februar 2017 hat H. beschlossen, dass das zu weit geht – und Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Die Beklagte: die Stadt Hamburg, der Vorwurf: Racial Profiling. Der Prozess wurde am heutigen Mittwoch eröffnet. „Es ist ja nicht nur drei- oder viermal vorgekommen, dass die Polizei mich kontrolliert“, sagt H., „sondern immer und immer wieder.“ Ob er auf dem Rückweg vom Sport sei oder vom Deutschkurs, beim Essen in der Hafenvolxküche oder unterwegs mit Freund*innen – ständig werde er angehalten und sehr unhöflich aufgefordert, sich auszuweisen. „Das ist so respektlos“, sagt H.

Der südliche Teil von St. Pauli gilt als „gefährlicher Ort“ – das heißt, dass die Polizei hier mehr Rechte hat, während die Bürger*innenrechte eingeschränkt sind. Unter anderem sind verdachtsunabhängige Kon­trollen erlaubt, allerdings nicht aufgrund einer Hautfarbe; die verbietet das Grundgesetz: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Heimat und Herkunft (...) benachteiligt werden“, heißt es da. Doch die Polizei hält sich oft nicht daran.

Das Gremium des Europarats gegen Rassismus und Intoleranz hat der Bundesregierung deshalb empfohlen, eine Studie über Racial Profiling bei der Polizei zu erstellen. Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte rät Bund und Ländern dringend, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) verhindert das.

Polizei hatte Fehler schon 2017 anerkannt

Den Weg, seine Rechte einzuklagen, hatte der Wahl-St.-Paulianer Barakat H. bereits 2017 gewählt. Vor dem Verwaltungsgericht hatte er die Stadt wegen einer rassistischen Kontrolle verklagt – und Recht bekommen. H. war im Januar 2017 zusammen mit einem Freund auf dem Weg nach Hause gewesen und mal wieder ohne Anlass von der Polizei kontrolliert worden. Weil keine Auffälligkeiten vorgelegen hatten, die eine Kontrolle rechtfertigten, hatte die Polizei ihren Fehler eingeräumt.

Laut H.s Anwalt Carsten Gericke, der das Urteil erstritten hat, passte die Polizei daraufhin eine interne Dienstanweisung an. Personen, die erkennbar Anwohner*innen sind, sollen demnach nicht kontrolliert werden. Nur setzen die Polizist*innen diese Anweisung offensichtlich nicht um.

Deshalb erweiterten Gericke und H. die Klage von damals um drei Fälle und brachten sie erneut vor Gericht. Dabei ist es nicht so, dass H. seit 2017 lediglich dreimal kontrolliert worden wäre. Sein Anwalt und er haben nur irgendwann entschieden, dass das Verfahren zu unübersichtlich würde, wenn sie jede weitere ungerechtfertigte Kontrolle zur Anklage brächten.

Am Mittwoch nun läuft die Verhandlung zäh: Bei rund 30 Grad Raumtemperatur schwitzen 20 Personen im Gerichtssaal, obwohl die Infektionszahlen in Hamburg längst wieder eine bedenkliche Höhe erreicht haben. Sieben Zeug*innen sind geladen, von denen zwei am Mittag nach Hause geschickt werden. Dass heute kein Urteil fallen wird, ist längst klar.

Zuerst geht es um eine Situation im November 2016. H. war mit dem Fahrrad auf dem Rückweg vom Deutschkurs gewesen, schildert er dem Gericht. Es sei kalt gewesen und er habe Hunger gehabt, deshalb habe er schnell nach Hause gewollt. An der Ecke Reeperbahn habe ein Polizist ihn aufgehalten. Plötzlich hätten ihn Zivilpolizist*innen umzingelt und seine Papiere verlangt.

Von der Ordnungswidrigkeit zum Aufenthaltsdelikt

H. verweigerte die Herausgabe. „Sie dürfen mich nicht grundlos kontrollieren, ich komme von der Schule und will nach Hause“, habe er gesagt. Nach einigem Hin und Her habe er dann doch seine Fiktions­bescheinigung, ein vorläufiges Aufenthaltsdokument, aus dem Portemonnaie gezogen und vorgezeigt. „Wenn du ein falsches Wort sagst, nehmen wir dich mit“, habe ein Polizist erwidert. „Warum, ich habe nichts getan“, habe H. protestiert. Daraufhin fesselte der Beamte H. die Hände auf dem Rücken und brachte ihn zur Davidwache.

Der Polizist Michael J., der als Zeuge aussagt, schildert die Situation anders. Er sei im Rahmen einer Kontrolle von Betäubungsmittelhändlern im Einsatz gewesen, als H. an der Reeperbahn mit dem Fahrrad auf dem Fußweg gefahren sei. „Eine Ordnungswidrigkeit“, sagt J. Deshalb habe er H. angehalten. „Mit seiner Hautfarbe hatte das nichts zu tun.“

Dann allerdings, nachdem H. aufgebracht reagiert und sich geweigert habe, seine Personalien vorzuzeigen, habe J. „das Rechtsgebiet gewechselt“ – von der Ordnungswidrigkeit, auf dem Gehweg zu fahren, hin zum Verdacht des Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz.

In dem Einsatzbericht, den J. nach der Kontrolle anfertigte, steht: „Aufgrund der Tatsache, dass H. offensichtlich kein deutscher Staatsbürger war (Schwarzafrikaner mit schlechten Deutschkenntnissen)“, und weil H. sich nicht ausweisen wollte, habe sich der Verdacht ergeben, dass H. sich illegal im Land aufhalte. Die Fiktionsbescheinigung habe er erst im Polizeikommissariat zu sehen bekommen.

H. sagt: Selbst wenn es wirklich um das Radfahren auf dem Gehweg gegangen wäre, sei es rassistisch gewesen, ausgerechnet ihn zu kontrollieren. „Jeder fährt dort auf dem Bürgersteig, auf der Straße ist die Ecke für Radfahrer sehr gefährlich“, sagt er. Der Prozess soll in den kommenden Wochen fortgesetzt werden.

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