„Querdenken“-Bewegung: Wenn Nazis linke Parolen rufen
Coronaleugner:innen skandieren auf ihren Demos Fridays for Future-Parolen. Die Aneignung linker Symbole ist Strategie.
W ir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“: Die Parole ist bekannt und eindeutig der Fridays-for-Future-Bewegung zuzuordnen – oder etwa nicht? Am Montag war sie in Goslar bei einer Demonstration fast identisch zu hören. Doch nicht die Klimaschutzbewegung war dort auf der Straße, sondern „Querdenken“ und Corona-Leugner:innen. Sie änderten nur das letzte Wort und riefen „raubt“ statt „klaut“.
Bei anderen Protesten der Bewegung wurde der leicht abgewandelte Spruch ebenso skandiert, weiß Lilly Kleinkauf von Fridays for Future (FFF) aus Goslar. Ein „Missbrauch“, sagte sie jüngst bei goslarsche.de. Die FFF-Bewegung distanziert sich immer wieder von „Querdenken“ und Corona-Leugner:innen. Beim Gegenprotest in Hamburg am Samstag erklärte die FFF-Aktivistin Elisa Bas, die Wissenschaftsfeindlichkeit, die Klima- und Corona-Leugner:innen gemein hätten, seien für sie untragbar.
Die Strategie, dass Rechte sich linke Codes, Symbole, Parolen und auch Aktionsformen aneignen, betrifft aber nicht nur FFF. In Hannover konnte kürzlich bei einer Demo gegen die Pandemie-Maßnahmen von einem Infotisch ein Button mit der Botschaft „Gib Gates keine Chance“ mitgenommen werden. Das Design erinnerte an „Gib Nazis keine Chance“, war aber mit dem Zusatz „Freier Impfentscheid!“ versehen. In Hamburg erklang bei einer „Querdenken“- Demo über einen Lautsprecher die Internationale, gesungen von Hannes Wader.
Diskurs-Piraterie
Diese Strategie der Aneignung nennen Regina Wamper, Helmut Kellershohn und Martin Dietzsch „rechte Diskurspiraterien“. In ihrem gleichnamigen Band führen sie aus, dass „in den letzten Jahren“ ein „verstärktes Bemühen auf Seiten der extreme Rechten“ zu beobachten sei, Strategien, Themen, Aktionsformen und „ästhetische Ausdrucksmittel linker Bewegungen zu adaptieren und für ihren Kampf um die kulturelle Hegemonie zu nutzen“. Die Intention dahinter sei, an Diskurse in der gesellschaftlichen Mitte anzudocken und die eigenen Positionen zu verharmlosen. Die Strategie solle auch bewusst die Rechts-links-Dichotomie aufbrechen. Das gelinge am besten, wenn linke Codes, Symbole und Parolen nur noch floskelhaft verwendet werden, substanzlos werden oder Teil der Popkultur sind.
Das ist kein neues Phänomen. Schon vor Jahrzehnten liefen Rechtsextreme mit Che-Guevara-T-Shirts auf. Das Symbol „Che“ wurde neu für einen „Befreiungsnationalismus“ umgedeutet – der Internationalismus verschwand. Wamper, Kellershohn und Dietzsch weisen auch auf die Piraterie hin, die einst die NSDAP betrieben hat. Die Piraterie bei den Protesten gegen Masken und Corona-Impfung dürfte aber auch den teilnehmenden Personen geschuldet sein: Einzelne kommen aus dem links-alternativen Milieu.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links