Queere Sonnenfinsternis: Sonne, Mond und Gender
Bei der Sonnenfinsternis 1999 waren Bücher, die Frauen und Männer als kosmische Körper erklären, angesagt. Das ist bei dieser zum Glück anders.
I rgendwie waren die letzten Tage alle auf Kratz gebürstet. Beim Papierkram, der anstand, überall nur „nein, das geht nicht“. Schön stolz von oben herab. In dieser Sprechhaltung mit ihrem protofaschistischen Verschanzen hinter Regeln also, die der deutschen Bürokratie so eigen ist und mir immer eine Gänsehaut verpasst.
So wie ich jeden Monat von Neuem den Vollmond vergesse und mich wundere, warum ich tagsüber aufgeregt bin und nachts nicht schlafen kann, fiel mir viel zu spät ein, dass am 8. April über Mexiko, Kanada und den USA eine Sonnenfinsternis im Gange war.
Der Mond schob sich also vor die Sonne und die Menschen sich Schutzbrillen vors Gesicht, damit sie dabei mit eigenen Augen zusehen konnten.
Nasa-Bilder des Tages dokumentieren, wie die Sonne als orange gleißender Viertelmond erscheint. Der Mond wiederum wirft lange Schatten über die Erde. Manchmal ist in diesem Moment auch ein besonderer Wind spürbar. Gänsehaut kann auch schön sein.
Ereignis mit kosmischem Ausmaß
Ein heller Ring umgibt den komplett dunklen Mond, dazu Lichttöne in tiefem Lila; und schließlich – bei totalen Eklipsen ganz besonders – ist eine „Sonnenkorona“ zu sehen, bei der das heiße Plasma der Sonne wie eine wunderschöne Zerstäubung hinter dem Mond schwebt.
Warum das mit der Sonnenfinsternis „Sonnenfinsternis“ heißt und nicht „Der große Auftritt des Mondes mit Heiligenschein“ weiß ich nicht. Ein Ereignis von solch kosmischem Ausmaß bringt aber mit Sicherheit weltweit die Dinge zum Vibrieren und muss sich, was die Stimmung in der Luft angeht, wohl schon ein paar Tage angebahnt haben. Da kann Berlin auch schon mal kollektiv kratzig werden bei so viel Schönheit. Also nicht kratzbürstig charmant wie sonst, sondern latent gereizt.
Ich kann mich noch erinnern, wie wir am 11. August 1999 in der Stadt der Frohnaturen aka Köln von der Schule abgeholt und mit dem Bus zu einem Feld geschippert wurden, um das astronomische Event, das damals in diesem Erdteil eintrat, mitzuerleben.
Männer und Frauen als Himmelskörper
So saßen wir dann mit den weißen Brillen aus Pappe und ihren dünnen schwarzen Kunststoffgläsern auf dem Acker, vielleicht waren dort auch ein paar Heuballen, hakten uns unter und fieberten der Sonne entgegen.
Das war auch die Zeit, in der in unserer Clique Selbsthilfebücher für heterosexuelle Beziehungskonstellationen kursierten, die Frauen und Männer mit noch ganz anderen Himmelskörpern verglichen, den Planeten Venus und Mars nämlich.
Deren metaphorische Abkömmlinge tickten eben fundamental konträr, so hieß es in solchen Büchern, weswegen Männer lernen müssten, Frauen öfter Blumen zu schenken, und Frauen Männer eben öfter mal loben sollten.
Queerness in deutscher Sprache
Über toxische Beziehungsdynamiken, Rape Culture oder die ungleich verteilte Erziehung zum People-Pleasing war dort nichts zu lesen. Geschweige denn, in der Schule zu lernen.
Das mit dem Mond und seinem Nimbus fanden wir zum Glück eine Zeit lang viel interessanter als diese Planeten-Konditionierung.
Heute muss ich lachen, wenn ich daran denke, dass das Deutsch sich erdreistet, von „die Sonne“ und „der Mond“ zu sprechen, sie also im Vergleich zu anderen Sprachen einfach umgekehrt gendert.
Da heißt es dann plötzlich nicht mehr, „nein, das geht nicht“. Die berühmte Sprache mit ihren drei Artikeln hat vielleicht doch mehr Queerness zu bieten, als wir ihr zutrauen.
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