Queere Demonstrationen in Sachsen 2024: Mehr Demos, mehr Teilnehmende und viel mehr Angriffe
Die Straftaten rund um Demonstrationen zum Christopher Street Day haben sich vervielfacht. Die Täter sind großteils rechte Gegendemonstrant*innen
Eine genaue Bilanz, wie die Lage für Queers 2024 in Sachsen aussah, hat die taz nun zusammen mit Aktivist*innen der Queer Pride Dresden ausgewertet. Grundlage dafür waren unter anderem Zahlen des sächsischen Innenministeriums, die Linken-Abgeordnete wie Juliane Nagel und Sarah Buddeberg seit Jahren abfragen.
Dabei zeigt sich: Insgesamt demonstrierten dieses Jahr landesweit rund 38.000 Menschen für die Rechte von Queers. Das war fast ein Viertel mehr als 2023. Besonders im ländlichen Raum gibt es immer mehr Christopher Street Days (CSD), queere Jugendtreffs, Veranstaltungsreihen und Netzwerke.
Bei 13 der 23 queeren Demonstrationen kündigten Rechte im Voraus Gegenproteste an, darüber hinaus kam es zu spontanen Störaktionen. Insgesamt versammelten sich in diesem Jahr circa 2.600 Nazis zum queerfeindlichen Protest. Beim größten Zusammentreffen im August waren 700 Rechte aus dem ganzen Bundesgebiet dem Aufruf zu Störaktionen nach Bautzen gefolgt. Teils kamen sie dem CSD brenzlig nahe.
In den Antworten auf die Kleinen Anfragen der Linken erkennt nun auch das Innenministerium an, dass Queers vermehrt in den Fokus Rechtsextremer gerieten. Homo- und transfeindliche Straftaten seien deshalb bei rechten Gegenprotesten im Kontext von CSDs einzukalkulieren. Gleichzeitig geht aus den Anfragen hervor, dass die Polizei fast immer von einem „grundsätzlich friedlichen Verlauf“ ausgeht, auch wenn Störungen absehbar sind.
Aus Bautzen gelernt
In einer Pressemitteilung im September kritisierte Nagel das Vorgehen der Einsatzkräfte in Bautzen sowie die Vorabprognosen aus dem Ministerium scharf. „Es ist unbegreiflich, dass die Polizei angesichts einer martialischen, deutschlandweiten Mobilisierung der Neonaziszene einen ‚grundsätzlich friedlichen Verlauf‘ prognostizierte“, hieß es darin.
Die Versammlungsbehörde hätte mit ihrer Route eine symbolische Verfolgungsjagd der CSD-Demonstrierenden durch die Nazis ermöglicht. „Rein einsatztaktisch wurde aus Bautzen gelernt“, bemerkt Nagel jetzt im Gespräch mit der taz. Das habe die veränderte Polizeistrategie beim CSD Leipzig eine Woche später gezeigt. So hatten die Einsatzkräfte die rund 400 mit dem Zug angereisten Neonazis noch im Hauptbahnhof festgehalten.
„Ob aber Queerfeindlichkeit als zentrales Mobilisierungsthema bei Neonazis wirklich nachhaltig politisch ernst genommen wird, da würde ich ein Fragezeichen hinter setzen“, fügt sie hinzu.
Während es dieses Jahr drei Demos mehr gab als im Vorjahr, hat sich die Zahl der Einsatzkräfte, die bei CSDs eingesetzt wurden, fast verfünffacht. Rund zwölfmal mehr Straftaten und Ordnungswidrigkeiten wurden festgestellt, 245 im Jahr 2024 im Vergleich zu 22 im Jahr 2023, wobei das Innenministerium teilweise nicht nach links und rechts aufschlüsselt und mitunter auch Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmende der CSDs eingeleitet wurden. Bei drei der Strafanzeigen 2023 ging es etwa um Plakate mit dem Spruch „Björn Höcke ist ein Nazi“ beim CSD in Frankenberg.
Mehr Straftaten bei den Rechten
In diesem Jahr wurde die deutliche Mehrheit der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bei den rechten Gegendemonstrierenden verzeichnet. Sie reichen von versammlungsrechtlichen Verstößen über Beleidigungen, verfassungswidrige Gesten und Symbole, volksverhetzende Parolen bis hin zu Körperverletzung, wie am 15. Mai beim ersten CSD in Wurzen. Die Journalistin Kili Weber berichtete auf X, wie sie und ihr Begleitschutz dort angegriffen wurden.
Für Lea Kamp von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Queeres Netzwerk Sachsen ist die akute Bedrohung, die aus den Zahlen des Innenministeriums hervorgeht, keine Überraschung. „Queerfeindlichkeit ist dem Rechtsextremismus inhärent“, hält die Bildungsreferentin fest. Auch dass rechte Gewalt gegenüber Queers steigt, beobachtet sie im Rahmen ihrer Arbeit schon länger.
Ein Großteil der Straftaten gegen Queers werden laut Kamp nicht angezeigt – aus mangelndem Vertrauen in die Polizei und aus Sorge vor weiterer Diskriminierung seitens der Polizei. Darauf wurde auch in einer Studie zu Lebenslagen von LSBTIQ* Personen in Sachsen aus dem Jahr 2022 hingewiesen. Beinahe jede zweite queere Person in Sachsen hat seit 2017 Übergriffe erfahren, davon haben nur 7 Prozent mindestens einen Vorfall bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft gemeldet.
Spätestens seit dem Wahljahr in Sachsen sei die Diskriminierung von queeren Lebensweisen zudem explizit in der Parteipolitik verankert worden, so Lea Kamp. „Genderwahn raus aus dem Stundenplan!“ war zum Beispiel ein Leitspruch der sächsischen AfD im Wahlkampf. Das habe laut Kamp die Hemmschwelle für rechte Aggression zusätzlich gesenkt sowie Vorurteile und Fehlinformation geschürt. Gleichzeitig nehme, so Kamp, die Sichtbarkeit von queerem Leben zu, gerade auch im ländlichen Raum, was die Communitys empowere.
Mehr Maßnahmen gefordert
Politikerin Nagel fordert angesichts der Gewalt wirksame Schutzmaßnahmen, die über ein zielgenaues Einsatzkonzept der Polizei hinausreichen. Die Linken-Abgeordnete bezieht sich dabei etwa auf die geplante Neufassung des Landesaktionsplans Vielfalt. Diese wurde von der amtierenden Regierung versprochen, aber letztlich nie beschlossen. Außerdem fordern die LAG sowie die Linksfraktion eine zentrale Beratungs- und Meldestelle für Opfer von Queerfeindlichkeit nach Vorbild des Anti-Gewalt-Projekts Maneo in Berlin.
Bei der Erarbeitung des Gesamtkonzepts zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im letzten Koalitionsvertrag habe die Linksfraktion auf eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft gedrängt, erläutert Nagel. Teil der Koalitionsverhandlungen waren sie nicht. „Das Ergebnis mag auf dem Papier gut aussehen. Aber wenn daraus nichts folgt und die Netzwerke und Träger, die sich im Alltag gegen rechte Strukturen engagieren, nicht finanziert werden, nützt das Gesamtkonzept nicht viel“, bilanziert die Abgeordnete.
Das fehlende Demokratiefördergesetz und die schwierige Regierungsbildung in Sachsen verschärften laut Nagel die ohnehin prekäre und unsichere Situation. Von der kommenden Regierung fordert sie deshalb, den neuen Landesaktionsplan Vielfalt erstens zu beschließen und zweitens mit der notwendigen Finanzierung zu untermauern.
Das sieht auch Kamp so. „Zu kleine Fördertöpfe haben zur Folge, dass queere Vereinsstrukturen miteinander um Geld konkurrieren müssen – das ist frustrierend“, erklärt sie. Das Ziel der LAG, die Professionalisierung queerer Strukturen an verschiedenen Orten in Sachsen voranzutreiben, werde dadurch erschwert.
Die LAG selbst habe eine Förderzusage bis Ende 2025. Ob und wie es dann weitergeht, wissen sie noch nicht. Der Dachverband vernetzt queere Strukturen, bündelt Sorgen und Bedarfe von Initiativen und trägt diese an die Politik heran. Zudem setzt die LAG auf Sensibilisierungsmaßnahmen und Schulungen über queerfeindliche Hasskriminalität für Polizei und Justiz.
Noch größere Sorgen mache Kamp sich aber um ihre Mitgliedsvereine, die an der Basis mit queeren Menschen arbeiten und beispielsweise Kulturprogramm oder Beratung anbieten. „Das ist unglaublich wichtige Arbeit. Kürzungen in der Förderung dieser Strukturen wären desaströs.“
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