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Punk-Protest auf SyltLieber Nachtschlaf als Demo

Das Protestcamp der Punks auf Sylt soll nicht weiter genehmigt werden. Anwohner hatten sich über Lärm und In-die-Büsche-Kacken beschwert.

Wohlstandsverteilung infrage gestellt: Demo auf Sylt Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Vier Wochen lang haben Punks im Rathauspark von Westerland auf Sylt campiert. Vier Wochen lang haben sie gezeigt, dass nicht nur Reiche und Schöne ein Recht auf die Insel haben – eine Insel, die inzwischen so teuer ist, dass die Kellner und Zimmermädchen hier nicht wohnen können, sondern jeden Tag vom Festland herüberfahren müssen.

Die Sehnsucht der Punks nach Westerland war vom 9-Euro-Ticket befeuert worden und von Schlagzeilen wie „Sylt in Angst vor dem Ansturm“. Zuvor hatten Inselvertreter die Befürchtung geäußert, Sylt könnte von Billigbahnreisenden überschwemmt werden.

Das Camp wurde als Demonstration genehmigt, weil auch die Kreisverwaltung Nordfriesland es nachvollziehbar fand, dass man die Gentrifizierung der Insel problematisch finden kann. Doch nun soll Schluss sein: Ein Antrag auf Verlängerung wurde abgelehnt.

Interessant ist die Begründung. „Wir mussten sorgsam abwägen zwischen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und den Grundrechten der Anwohner, der Einwohner und der Urlaubsgäste, die durch das Protestcamp beeinträchtigt wurden“, sagte Kai Mintrop von der Kreisverwaltung. Anwohner und Gäste hätten sich beschwert. Damit hängt die Kreisverwaltung das Recht auf einen ungestörten Urlaub höher als das Demonstrationsrecht – ein starkes Stück, auch wenn sich die Leiden der Gäste bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen lassen.

„Grölen, singen, schreien, streiten“

Ein Gast schilderte das so: „Meine Ferienwohnung befindet sich direkt neben dem Rathauspark, wo die Punks campieren. Im Alltag sieht das so aus, dass ich äußerst schlecht schlafe, weil es de facto überhaupt keine Nachtruhe gibt. Nie. Selbst bei geschlossenen Fenstern hört man jede Nacht die Punks grölen, singen, schreien, streiten.“ Der Schlafmangel sei zermürbend.

Aus Sicht der Kreisverwaltung wird damit „das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, Artikel 2 des Grundgesetzes, verletzt. Ebenfalls verletzt werde das Recht auf Eigentum (Artikel 14) durch Störung der Nachtruhe und indem die benachbarten Grundstücke als Klo benutzt worden seien. Beides habe die Auflagen verletzt, unter denen das Camp genehmigt worden sei.

Wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe, gebe es Grenzen dessen, was Anwohner an Beeinträchtigungen dulden müssten, sagte Mintrop. Die Punks hätten „ihre Anliegen vier Wochen lang in der Öffentlichkeit vertreten“, viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und damit ihr Grundrecht verwirklicht. Den Anwohnern und Urlaubern seien keine weiteren Eingriffe in ihre Grundrechte mehr zuzumuten.

FaulenzA, eine der Camp-Teilnehmerinnen vermutet etwas anderes: „Sie haben hier nicht mehr ihren Reichen-Safe-Space, an dem sie die Armen nicht sehen müssen“, sagte sie der taz. „Ich könnte mir vorstellen, dass sich mehr normale Leute hierher trauen, dass es bunter und gemischter wird.“

Ob die Verwaltung damit durchkommt, den Nachtschlaf höher zu bewerten als die Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung, ist noch nicht ausgemacht. Denn die Punks haben Widerspruch eingelegt und damit den Rechtsweg beschritten – der steht jedem offen und ist auch ein Grundrecht.

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7 Kommentare

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  • "Selbst bei geschlossenen Fenstern hört man jede Nacht die Punks grölen, singen, schreien, streiten.“ Versammlungen, Meinungsäußerungen und Demonstrationen sind auch ohne all dies möglich, und auch ohne nächtliches Kacken in die Gärten anderer Leute. Es trifft im übrigen offensichtlich nicht zu, dass die Verwaltung das Recht auf ungestörten Urlaub höher bewertet hätte als die Demonstrationsfreiheit. Vielmehr geht es um den Schutz der Grundrechte von Anwohnern und Gästen. Ich kann nicht erkennen, dass das ein "starkes Stück" sein soll. Dass Sylt als reichlich versnobter Ort gilt, steht auf einem anderen Blatt - jedenfalls sind auch Snobs Träger von Grundrechten.

    • @Jochen Laun:

      "singen, schreien, streiten.“ Versammlungen, Meinungsäußerungen und Demonstrationen sind auch ohne all dies möglich"



      Laut geht es aber auch bei Gewerkschaftsdemos, Karnevalsumzügen, WM-Partys oder Kirchentagen zu. Also alles verbieten oder nach jwd an die Peripherie verbannen? Öffentlich ausgetragener Streit gehört zur Demokratie dazu und was den politischen Gehalt der artikulierten Anliegen angeht haben die Sylter Punks allemal mehr zu melden als die mittlerweile bundesweit üblichen Oktoberfeste, bei denen besoffene Deppen ebenfalls dazu gehören, nur dass sie dort als Tradition und Brauchtumspflege gelten und nicht als widerständiger Akt gegen die sich immer weiter öffnende Kluft von Arm und Reich.

      • @Ingo Bernable:

        die wenigstens Gewerkschaftsdemos oder WM-Parties oder Karnevalsumzüge dauern Wochen oder gar - wie hier angestrebt - Monate.

  • Wer schon mal ein paar Nächte nicht schlafen konnte weiß, warum Schlafentzug ne beliebte Foltermethode ist. Und Fäkalien auf fremden Grundstücken zu entsorgen ist auch kein Grundrecht.

    • @Luftfahrer:

      Danke!

  • "Das Camp wurde als Demonstration genehmigt"



    Seit wann müssen Demonstrationen denn nicht nur angemeldet, sondern auch genehmigt werden?

    • @Ingo Bernable:

      Demonstrationen müssen nur angemeldet werden, für wildes Campen braucht man aber ein Ausnahmegenehmigung.