Publikumsbesichtigung im Musiktheater: Extase im Sitzen
Das Bremer Theater widmet Punk-Ikone Patti Smith einen vom Schauspiel gerahmten „Liederabend“. Und der lädt sehr dezent auch zum Tanzen ein.
D en Hund zum Jagen tragen oder den Punk zum Tanzen: Beides meint das Gleiche, speist sich aber aus doch sehr unterschiedlichen Erfahrungswelten. Und damit ist eigentlich das Wesentliche bereits gesagt über diesen Liederabend mit Patti Smith und „Because the Night“ am Bremer Theater. Na ja, aber wahrscheinlich muss man doch noch ein kleines bisschen weiter ausholen.
Sängerin, Dichterin, Malerin und Punk-Urahnin Patti Smith selbst ist zum Beispiel gar nicht da. Das ist immer so bei den „Liederabenden“, die zu den erfolgreichsten Programmpunkten im Spielplan des Bremer Stadttheaters gehören. Die Idee geht so: Band und Sänger:innen geben Hits auserwählter Stars (wie Leonard Cohen, Madonna oder John Lennon) zum Besten, während Schauspielfragmente diese Konzerte zum Künstlerinnenporträts verdichten.
Bei Patti Smith ist das nun gar nicht so einfach, weil sie im Gegensatz zu ihren Vorgänger:innen ja gar kein Hitrepertoire mitbringt, sondern mit „Because the Night“ exakt einen wirklich erfolgreichen Song anzubieten hat. Außerdem ist ihre Vita schwierig, weil sie teils zur Legende verschwimmt – und in anderen Teilen wieder sonderbar abgeleitet wirkt von all den Dylans, Warhols oder Burroughsens, mit denen sie so abhing, damals in New York.
Ein Umweg, der sich lohnt
Gelöst hat diese Problemlage nun auch gar nicht das Bremer Theater, sondern Schriftstellerin Helene Hegemann. Die hatte vergangenes Jahr ein spektakulär leichtfüßiges Essay über Patti Smith geschrieben, das ihren Mythos kurz referiert, sich dann aber vielmehr um persönliche Beziehungen kümmert. Und diesen Text inszeniert Anne Sophie Domenz als Rahmen des Konzerts.
Der Patti-Smith-Liederabend „Because the Night“ ist im Theater Bremen zu sehen. Termine, Besetzung und weitere Infos gibt es hier.
Jetzt aber endlich tanzen. Einige wenige tun das schon von Anfang an: heimlich im Sitzen. Die Übrigen werden ein bisschen überredet, als kurz vorm Höhepunkt Theatermitarbeiterinnen durch die hinteren Reihen schleichen und die Leute auf die Bühne einladen: „Haben Sie keine Angst, das ist kein Mitmachtheater! Die Wahrheit ist: Wir brauchen diese Reihe hier gleich leer.“ Weil gleich von hinten monologisiert wird.
Im Bühnenraum kann man dann auf Hockern sitzen oder zwischen Schauspieler:innen auf einem Fell herumlümmeln. Na ja, und eben tanzen, wenn man denn will.
Auch sonst herrscht hier eine sonderbare Involviertheit ins Programm. Von der Bühne angesprochen wird ein langjähriges Patti-Smith-Publikum. Ob man sich erinnere an die wilden Zeiten, an den „Sommer der Liebe“, an Bob Dylan und so weiter. Und tatsächlich wallt daraufhin ein vielstimmiges und warm kratzendes Raunen auf. Denn die meisten hier waren tatsächlich dabei, also in Gedanken jedenfalls, oder zumindest waren sie '68 schon auf der Welt.
Und darum geht’s hier vor allem: sich zu erinnern und das für alle sichtbar zum Ausdruck zu bringen. Man kennt diese Publikumsemphase sonst weniger aus dem Theater, sondern eher von Folkkonzerten, oder wenn Konstantin Wecker in der Stadt ist: wenn sich Mitwippen, heftiges Nicken und Lacher an den richtigen Stellen zu einer Art Sitztanz verdichten, wogegen das Brutalpogo zeitgenössischer Untergrundmusik als reinster Kindergarten daherkommt.
Die Musik in Unruhe lassen
Kurz gesagt: Die Stimmung der Ü-60-Fraktion ist gut, womit wir auch bei den unterschiedlichen Erfahrungswelten angekommen wären. Denn tatsächlich ist die von Maartje Teussink angeleitete Musik zwar wunderschön und dem Original teils gespenstisch nahe – aber Helene Hegemanns Text weit davon entfernt, sich in Früher-Geschichten zu ergehen.
Ihr Zugang ist ihre tote Mutter, die krank war und bei der laute Musik ein schlechtes Zeichen war. Erst als sie stirbt, tritt Vater Carl Hegemann auf, von dem man in Theaterkreisen gehört haben wird, zu dem sie zieht und mit Christoph Schlingensief die Theaterwelt aufmischt … aber das führt hier alles zu weit. Jedenfalls trifft die junge Hegemann auf Patti Smith und setzt sich mit deren Werk und Biographie auseinander.
Auf diesem Umweg findet der Liederabend dann eben auch inhaltlich zum Theater, über das er unterm Strich vielleicht sogar mehr zu erzählen weiß als über Rockmusik. Das ist kein Vorwurf, sondern die große Stärke dieser Veranstaltung: weil die Musik für sich stehen darf.
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