Comeback der Liederabende: Gesungene Lockerungsübungen

Liederabende haben Konjunktur: In Hannover besingen „Hel­d*in­nen“ Gender-Identitäten, in Bremen erklingt eine Hommage an Madonna.

Schauspieler in androgyner Kleidung in Rockstar-Posen auf einer Bühne

Aufgetakelt abgrooven: In Hannover dienen die Songs als Spielwiese für Crossgender-Besetzungen Foto: Kerstin Schomburg

BREMEN taz | Popmusik auf Theaterbühnen, Schauspieler in Gesangsrollen mal ganz anders erleben, da strömt das Publikum frohlockend herbei. Unverminderter Beliebtheit erfreut sich dabei, das Leben verwitterter Stars in Biografiedramen nachzuerzählen. Ausgereizt schien hingegen der szenische Liederabend. In Bremen und Hannover wird ihm nun aber ein Comeback beschert, allerdings entscheidend anders, als Franz Wittenbrink das Genre begründet hat.

Seit Mitte der 1990er-Jahre haben er und seine Epigonen für mehr als eine Dekade einen Publikumshit nach dem anderen herausgebracht. Stellvertreterfiguren für bestimmte politische Einstellungen zu zugespitzten Themen verorten sie in einer alltäglichen Situation, stricken mit kabarettistischem Geist ein bisschen Handlung drumherum und implantieren als Kommentare einige deutsch- oder englischsprachige Schlager. Nicht wie bei klassischen Liederabenden­ wird beim Singen ansatzweise auch gespielt, sondern während des Spielens einfach mal gesungen. In einen Schwebezustand zwischen Spaß und Ernst – egal ob es um die Sorgen, Nöte und Lustbarkeiten von Männern, Sekretärinnen, Müttern, Flugreisenden geht, um Zigarren, Vatertag, den Tod oder die Liebe. So einige Sujets der Produktionen.

Bei den Neuansätzen wird nun nicht mehr mithilfe konventioneller Komödienszenen­ aus Liedern ein dramaturgischer Zusammenhang kreiert, sondern beinahe vollständig auf Sprechtext verzichtet: Handlung und Dialog findet über Songs statt.

In Hannover hat Friederike Schubert „Hel­d*in­nen“-­Songs zusammengestellt, ein Potpourri aus Ohrwürmern, deren Inszenierung locker machen soll, für diverse Möglichkeiten von Gender-Identitäten. Entsprechend aufgetakelt grooven sich die Darsteller ein. Schultern zucken, Hüften schlenkern, Knie wippen, Köpfe wackeln, bis Nina Simones „Sinnerman“ entspannt von vier Schau­spie­le­r*in­nen-­Lip­pen kommt. Ein glamouröser Typ gibt anschließend Britney Spears „Womanizer“, eine entsprechende Dame entledigt sich Justin­ Timberlakes „Sexy black“ mit cool verruchtem Gesang, woraufhin eine Chanteuse­ hinreißend „Big balls“ von AC/DC anstimmt, als wäre es eine Ballade­ der Tiger Lillies.

Crossgender, nett gemeint

Die Interpreten sind meist gegen das biologische Geschlecht des Originals besetzt, dazu hat Tobias Vethake allen Liedern ähnlich süffige Arrangements verpasst, die popkuschelweich erblühen und sanft melancholisch durch die Takte schwelgen. Gesanglich setzen die Schauspieler kaum Eigensinniges gegen die aus Funk und Internet bekannten Versionen. Nur Caroline Junghans' Darbietungen sind stets prachtvolle Interpretationen. Darstellerisch­ ist Torben­ Kessler herausragend, herrlich schlurfig unterläuft er jedwedes Pathos und deutet die Attitüden der Stars nur an.

Inszenatorisch hat Schubert allerdings kaum Ideen. Prince' „I would die 4 U“ ist Anlass für die Balgerei zweier Sän­ge­r*in­nen um die Aufmerksamkeit im Parkett, zu David Bowies „Heroes“ darf ein Zuschauerdarsteller auf der Bühne sein Ballett-Coming-out leben, mal wird Soul-Shouter-Gehabe in die Parodie getrieben, und Liebeslieder illustriert die Regie mit Pärchenanbahnungsspielchen. Liebevolles Schmunzeln allüberall. Letztlich sind die Songs nur für die glitter-flitterig servierten Crossgender-Besetzungen inklusive dem nett gemeinten Hinweis da: Lebe wie du bist.

Also genau das, was Exegeten auch aus Madonnas Œuvre als Botschaft herauslesen­. Anne Sophie Domenz will in Bremen aber mehr mit ihrer Produktion „In bed with Madonna“ erzählen. Die Fokussierte soll anhand ihrer Hits als Star des Postfeminismus gefeiert werden. Erst mal erscheint sie in Gestalt von Annemaaike Bakker, die sich in den letzten Jahren zu einer formidablen Sängerin entwickelt hat. Stücktitelgemäß­ beginnt sie ihre Performance im Bett eines Jugendzimmers und singt Madonnas ersten Hit „Holiday“, eine harmlose Fantasie von ein bisschen Liebe, die die Welt ein bisschen besser machen könnte.

Das ist den Darstellern ihrer schwerst katholischen Eltern schon zu viel. Sie fesseln die Tochter auf der Matratze, legen ihr ein Püppchen in den Arm, Bekreuzigungen­ folgen und die Verabreichung von Pillen zum Ruhigstellen, vielleicht sind es auch Drogen. Dumpfer­ wird jedenfalls der Soundtrack, für den Multiinstrumentalistin Maartje Teussink die Hits live skelettiert und mit reizvoll sparsamen Klangkreationen zu neuem Leben verhilft.

Die Inszenierung träumt sich derweil in die Popstarkunstwelt hinein. Der anbetungswürdig zur christkindlichen Madonna hergerichtete Alexander Angeletta schwebt auf die nun nebulöse Bühne herab und stimmt „Like a virgin“ an, während die bunt tapezierte Stellwand und Accessoires des erzkonservativen Elternhauses der Protagonistin beiseite geschafft werden. Künstlerische­ Erweckung, persönliche Befreiung, Aufbruch nach New York.

„Hel­d*in­nen. Eine musikalische Hommage jenseits der Norm“: Fr, 31. 1., 19.30 Uhr, Hannover, Schauspielhaus; weitere Termine: 16. 2., 23. 2.

„In bed with Madonna. Ein Liederabend zum 61. Geburtstag von Madonna Louise Veronica Ciccone“: Mi, 5.2., 20 Uhr, Theater Bremen/Kleines Haus; weitere Termine: 7. 3., 12. 3., 18. 4.

In Hannover steht der Song ebenfalls auf der Setlist, kommt auch dort im Nebel zu Gehör. In schlapper Körperhaltung, mit beiläufigen Sexyness-Gesten, kokett angedeuteten Starposen und zeitlupig stolzierendem Schreiten dargeboten von einem übernächtigt wirkenden Glamrocker. Prima ironische Show. In Bremen ist hingegen eine songdramatische Erzählung zu erleben. Das Konzept funktioniert anfangs bestens,­ ist zunehmend aber schwer nachvollziehbar, da die Lyrics, politischen und biografischen Kontexte, Video- und Konzertbühneninszenierungen Madonnas bekannt sein müssen, um im Abgleich mit der Darbietung deren­ Subtexte zu verstehen.

Beispielsweise weht Marilyn Monroes trunkenes „Happy birthday“ für Präsident Kennedy verfremdet vorüber, wohl als Hinweis, das Madonna als Nachahmerin dieses Blondinen-Images­ durchgestartet ist – und sich im Laufe der Karriere stets neuer Frauenklischees bediente. Auf der Bühne erscheinen ihre Dar­stel­le­r*in­nen in schwarzem Leder, als Strapsen-Diva, Haute-Couture-Party- oder Bad-Girl, Bakker wälzt sich in einer Rotlichtorgie zu „Erotica“ auch lasziv auf dem Boden herum. Deutlich wird allerdings nicht, dass diese Rollenspiele auch pompöse Marketingaktionen und teilweise billige­ Provokationen sind.

Der Mensch Madonna Louise Veronica Ciccone, die Mutter von sechs Kindern und Managerin ihres Imperiums,­ kommt in der Bremer Performance nicht vor. Warum sie Vorbild des Empowerments­ und der sexuellen Selbstbestimmung für so viele Frauen zu sein scheint, ist nicht deutlich herausgearbeitet. Unhinterfragt bleibt zudem das Popphänomen Madonna, die als Projektionsfläche für so vieles genutzt wird. Zu fragen, warum diese Madonna, die reine Oberfläche, die pure Präsenz, die Antizipation des Mainstreams, so erfolgreich wurde, das hätte ein spannender Theaterabend werden können. Als szenische Analyse der Wirkungsmechanismen des Pop-Stars – als Ikone. Die Arbeit wurde in Bremen anderswo geleistet. Wie Ikonen funktionieren, darüber ist überwältigend viel in der gleichnamigen Ausstellung der Kunsthalle zu erfahren – Madonna dort natürlich auch präsent.

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