Public Viewing im Privaten: Rudelgucken im 5. Bezirk
Von Österreich aus lässt sich mit wohltuendem Abstand die Fußball-WM in Katar ganz gut verfolgen. Also im Fernsehen.
N eulich in Wien-Margareten: Freunde der Freundin hatten zum Rudelgucken geladen, als sei noch 2018. Zwar stand die Dauerveranstaltung tatsächlich unter dem Stern des Winters, es fielen immer mal wieder Gäste wegen diverser Erkältungskrankheiten aus, im Wesentlichen aber war es urgemütlich und fast so wie früher. Es gab Bier, es gab Chili con Carne, es gab Knabbereien, es gab erstaunlich nüchterne Fernsehexperten beim ORF (natürlich nur Frauen, äh, nein, Männer). Es gab viel unnützes Fachwissen, und in den Weiten des Privatmuseums des Mieters und Einladenden eine Bunte Österreich von 1978, die das „Wunder von Cordoba“ feierte (für Spätgeborene: der letzte Sieg Österreichs gegen Deutschland bei einem Bewerber).
Es war also schön und seltsam zugleich. Ich nehme an, dass es hierzulande kaum Public Viewing gab, schon gar nicht im Privaten. In Wien aber trotzte man Wien und Wetter und der vorherrschenden Moral; „boykottiert“ hatte die ÖFB-Auswahl die WM ja allein schon wegen Wales.
Häme für die Deutschen gab es natürlich trotzdem. Es war nicht so einfach, sich das Spiel gegen Spanien anzugucken unter lauter Deutschsprachigen, aber als einziger Deutscher; aber es war auch sehr lehrreich. Man wurde noch mal zusätzlich in Bescheidenheit geübt: Lektionen in Demut, auch wenn das eigentliche Desaster ja noch kommen sollte. Und es war sehr angenehm, das Deutschland-Bohei rund um die ehemalig sogenannte Mannschaft mal nicht ständig um die Ohren gehauen zu bekommen. Stattdessen war die DFB-Auswahl auch nur eine Mannschaft unter vielen, wenn auch eine, die distanziert bewundert wurde.
Lehrreich war auch die Begriffskunde: In Österreich heißt es Eckstoß oder Corner statt Ecke; Bälle waren „out“ oder „im Out“ statt einfach aus; eine Zeitlupe war auch mal „eine Lupe“; die Leute tragen „Dressen“ statt „Trikots“, und so weiter. Als Experte sitzt dann Herbert Prohaska im Studio, der aussieht wie ein Politiker oder einfach irgendwer sein könnte und nicht einer der legendären 78er-Auswahl.
Es tat gut, der deutschen Aufladung des Ereignisses ein wenig aus dem Weg zu gehen. Wie überhaupt die Fußball-WM 2022 in Katar vom österreichischen Wohnzimmer aus wirkte wie ein Fußballfest, das nur alle vier Jahre stattfindet – nur diesmal im Winter. Es war sogar so, dass gerade das das Ganze so kuschelig machte: Der Fernseher das heimatliche Feuer, um das sich alle sammelten, um Fußball zu sehen. So, wie es der weise McLuhan schon immer sah.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben