Psychiatrisch auffällige Rechtsextreme: Zwischen Wahn und Weltanschauung
Manche Rechte haben ein so abstruses Weltbild, dass sie als Fall für die Psychiatrie gelten. Es wäre zu einfach, diese Fälle damit ad acta zu legen.
![Der Angeklagte steht vor Prozessbeginn mit seinem Anwalt Tobias Pohl im Gerichtssaal. Der Angeklagte steht vor Prozessbeginn mit seinem Anwalt Tobias Pohl im Gerichtssaal.](https://taz.de/picture/6245074/14/311270324-2--1.jpeg)
E r fühlte sich zum Herrn über Leben und Tod berufen: In den sozialen Medien verhängte der selbsternannte „SHAEF-Commander“ Thorsten Jansen Todesurteile und rief zum Mord auf. Von dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump sah sich der Reichsbürger aus dem niedersächsischen Bad Zwischenahn als „Commander“ der US-Streitkräfte eingesetzt – mit weitreichenden Kompetenzen. Bis zu seiner Verurteilung mobilisierte der angebliche Befehlshaber des sogenannten „Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force“ – kurz SHAEF – seine Anhänger*innen.
Der Fall wirft eine lange Zeit wenig beachtete Kritik auf: Mit der Pathologisierung von politischen Täter*innen geht häufig die Relativierung der ideologischen Motive einher.
In einer seiner Nachrichten sprach Jansen eine Todesdrohung gegen den Bürgermeister von Bad Doberan, Jochen Arenz, aus: Er schlug vor, „mit einer kleinen Gruppe diesen Menschen aufzusuchen und ihn an der nächsten Laterne aufzuknüpfen und dementsprechend zu zeigen, wo wir stehen“. Das Erhängen solle „langsam“ erfolgen, „damit er lange leidet und es möglichst viele mitbekommen“. Dem Bürgermeister musste Polizeischutz angeboten werden. „Das war eine schlimme Zeit“, sagte Arenz damals der Ostsee-Zeitung.
Die Staatsanwaltschaft klagte Jansen voriges Jahr vor dem Oldenburger Landgericht in insgesamt 33 Fällen an. Im September 2022 sprach das Landgericht Jansen, der bis zu 25.000 Abonent*innen in den sozialen Medien hatte, von mehreren Vorwürfen, er habe zum Mord aufgerufen, wegen Schuldunfähigkeit frei. Das Gericht folgte aber der Forderung der Staatsanwaltschaft nach einer psychiatrischen Unterbringung.
Vor Gericht führte der psychiatrische Gutachter aus, dass bei Jansen eine Wahnerkrankung vorläge. Der falsche Major sei wirklich davon überzeugt, in Deutschland vom früheren US-Präsident mit der entsprechenden Befehlsgewalt eingesetzt worden zu sein. Der Gutachter stellte zudem fest, dass vergleichbare Taten zu erwarten seien. Für die Allgemeinheit sei Jansen eine Gefahr.
Auch der Bundesgerichtshof entschied mittlerweile, dass die Anordnung des Landgerichts zur Unterbringung des Reichsbürgers in der Psychiatrie rechtens war. Jansens Anwalt hatte zuvor Revision eingelegt.
Über Jahrzehnte nahmen die Sicherheitsbehörden Reichsbürger*innen vor allem als „Irre“ oder „Spinner“ war. Die Gefahr nahmen die Behörden bundesweit erst stärker wahr, als im Oktober 2016 ein Reichsbürger im bayrischen Georgensgmünd einen Polizisten erschoss.
Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Berliner Universitätsklinikum Charité, fordert, dass eine mögliche Ambivalenz zwischen Wahn und Weltanschauung mehr beachtet werden müsse. Man dürfe solchen Täter*innen nicht die Verantwortung für ihre Taten absprechen, indem man sagt, sie handelten wahnhaft. Die individuelle politische Überzeugung sei vom gesellschaftlichem Diskurs abhängig, das Handeln finde innerhalb dessen statt. Die daraus gewonnene Überzeugung bestimme folglich das Tatmotiv und die Opferauswahl.
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