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Psychiater über Amokläufer„Mit einem Knall aus dem Leben“

Um Taten wie die in München zu vermeiden, muss das Umfeld aufmerksam sein, sagt der Psychiater Jörg Fegert. Häufig deuteten Täter ihr Vorhaben an.

Am Wochenende nach dem Amoklauf erinnern Blumen an die Ereignisse von Freitagabend Foto: dpa
Patrick Guyton
Interview von Patrick Guyton

taz: Herr Fegert, was bringt einen Menschen zum Amoklauf?

Jörg Fegert: Dafür gibt es keine monokausalen Erklärungen. Die Tätermuster sind unterschiedlich. Einige wenige sind psychotisch. Die allermeisten Täter sind männlich. Bei vielen wird ein sozialer Rückzug beschrieben, bei manchen auch eine narzisstische Persönlichkeit – die Menschen sind sehr von sich überzeugt, zugleich aber extrem kränkbar. Sie leiden unter Leistungsversagen, entwickeln Gewaltfantasien und den Drang, diese auszuleben.

Der Münchner Täter soll schwer depressiv gewesen sein.

Es gibt sehr viele depressive Jugendliche. Gerade zu dieser Erkrankung passt Gewalttätigkeit überhaupt nicht. Da muss sehr viel mehr dazukommen.

Ist ein Amokläufer ein zutiefst kranker Mensch?

Ein zutiefst besonderer Mensch. Amokläufer haben eine sehr spezielle Persönlichkeitsentwicklung. Man muss immer den Einzelfall sehr genau betrachten. Häufig fällt eine Vorplanung auf, immer wieder deuten die Täter ihr Vorhaben an.

Universitätsklinikum Ulm
Im Interview: Jörg Fegert

59, ist Leiter der Klinik für ­Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Ulm. Nach dem Amoklauf in Winnenden im Jahr 2009 war er Mitglied im „Expertenkreis Amok“.

Wie hoch ist die Gefahr von Nachahmungstätern?

Presseberichterstattung, jede mediale Aufmerksamkeit motiviert andere Menschen zur Nachahmung. Seit dem Massaker in der Schule von Columbine in den USA 1999 gibt es eine Szene, die so etwas idealisiert. Verschweigen oder verheimlichen kann man das natürlich nicht, es sollte aber sehr zurückhaltend und differenziert berichtet werden. Mir ist in diesem Zusammenhang ganz wichtig, an die Opfer, deren Angehörige, die Betroffenen zu denken.

Amokläufe in Deutschland

In ihrer Doktorarbeit zählte die Psychologin Eileen Peter zwischen 1990 und 2010 97 pressewirksame Amokläufe. Seit 1991 habe es in dieser Spanne kein Jahr ohne Amoklauf gegeben.

44 Prozent der Taten ereigneten sich innerhalb von 10 Tagen nach Berichten über einen vorherigen Amoklauf.

Eine Zunahme sieht Peter nicht. Von 1990 bis 1999 zählte sie 50 Fälle, durchschnittlich fünf pro Jahr. Im folgenden Jahrzehnt waren es 45 Fälle, durchschnittlich 4,5 jährlich. Auch für die Jahre bis 2010 stellt Peter keine signifikante Zunahme fest. (dir)

Man hat den Eindruck, dass solche Dinge immer häufiger passieren.

Amokläufe sind extrem seltene Ereignisse. Eine Zunahme in jüngster Zeit kann ich nicht feststellen, es wird aber wohl viel mehr darüber berichtet.

Wie unterscheiden sich Amoklauf und terroristisch motiviertes Selbstmordattentat?

Der Amoklauf ist ein innerpsychisch motiviertes „Euch zeige ich es“, das sich nicht auf eine allgemeine Ideologie bezieht, auf kein Heilsversprechen. Amoklauf und Selbstmordattentat sind sehr unterschiedlich, auch wenn die psychische Entwicklung eines Attentäters oft ursächlich mit seinem Handeln in Verbindung steht.

Sind Amokläufer in erster Linie Selbstmörder, denen es um den eigenen Tod geht?

Nein, ihnen geht es primär um den Tod von anderen. Sie nehmen aber den Suizid als Teil des ganzen Ablaufs in Kauf oder planen ihn ein. Sie wollen mit einem riesigen Knall, mit maximaler Aufmerksamkeit aus dem Leben gehen.

Welche Gefahr geht von Ego­shooter-Spielen aus?

Die Effekte solcher Computerspiele auf Gewaltausübung sind gar nicht so deutlich durch die Forschung belegt. Allerdings führt das Training zu Abstumpfung. Je größer der Bildschirm ist, desto einfacher werden Widerstände auch im wirklichen Leben überwunden. Grundlegend für einen Amokläufer ist aber dessen spezifische Persönlichkeitsentwicklung.

Der Begriff Amok bezieht sich eigentlich auf spontane Handlungen. Die Amokläufe, von denen wir sprechen, sind aber oft über lange Zeit hinweg geplant.

Der klassische Amokbegriff kommt aus dem indonesischen Kulturkreis und meint eine Spontantat. Bei psychotischen Tätern gibt es tatsächlich spontane Amokläufe. Mittlerweile hat sich der Begriff aber auch für geplante Taten eingebürgert, da kann man sprachlich nicht puristisch sein.

Lassen sich Amokläufe überhaupt verhindern?

Ganz wichtig ist, dass das Umfeld genau auf alles hört. Auf Aussagen, Andeutungen oder Fantasien. Ganz charakteristisch ist, dass sich solche Täter sozial isolieren und in ihre Welt abdriften. Man sollte das Gespräch suchen, sollte Lehrer und Schulpsychologen ansprechen, zu Beratungsstellen gehen, zu Kinder- und Jugendpsychiatern. Nach dem Münchner Amoklauf werden sich viel mehr Menschen als sonst mit Fällen bei uns melden, an denen nichts dran ist. Das war nach der Tat von Winnenden im Jahr 2009 genauso. Aber es ist besser, sich um zehn Fälle zu viel zu kümmern als um einen zu wenig.

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4 Kommentare

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  • 7G
    7648 (Profil gelöscht)

    (Teil 2)

     

    Und das ist die totale Höhe:

    "Nach dem Münchner Amoklauf will das Land Brandenburg die Bevölkerung stärker über solche Taten aufklären. "Wir werden mit unserem Verfassungsschutz verstärkt auch in die Prävention gehen, um Menschen zu erklären, woran man erkennen kann, wenn jemand eine Tat vorbereitet", sagte Innenminister Schröter im rbb. Nach seinen Worten gibt es Hinweise, wenn sich Menschen verändern oder radikalisieren: "Selbst ein sehr zurückgezogener Mensch, der möglicherweise einen Amoklauf plant, kann erkannt werden, wenn man die Signale zu lesen versteht." (moz/ detuschlandfunk.)

    Der Verfassungsschutz ersetzt jetzt auch noch die Sozialpädagogen.

  • 7G
    7648 (Profil gelöscht)

    Eigentlich wollte ich auf einen anderen Artikel zum Amoklauf in München antworten, auf "Binsenweisheit Achtsamkeit" (27.6.). Der ist aber bisher nicht online gestellt worden, oder ich finde ihn nicht.

     

    Nach "Binsenweisheit Achtsamkeit" würde ich auch gerne "Binsenweisheit soziale Arbeit" lesen. Also spreche ich es an.

     

    "Binsenweisheit Psychiatrie" schreib ich dann schnell selbst noch:

    Schon sehr degoutant von der taz, einen Psychiater und nicht einen Sozialpädagogen zum Thema zu interviewen, dafür darf man die taz (fast) mal kurz als *** beschimpfen wollen.

    Psychiatrie (1) demütigt strukturell qua setting, (2) erpresst strukturell qua Methodik, jeder ihre Methoden, (2b) lässt die Menschen nicht mehr gehen, (3) Psychopharmaka richten ein gewisses Chaos in jugendlichen Gehirnen an, (3b) stürzen diese um sozusagen, stürzen sie in Verzeiflung und Abhängigkeit, (3c) verschlimmern manchmal den Zustand, (3d) erpressen auch, lassen die Menschen nicht mehr gehen. (4) Erhöht die Perspektivlosigkeit, (4b) zumindest die subjektiv empfundene.

    Dass erpresste Menschen, ob psychisch krank oder nicht, in signifikantem Umfang suizidal werden, beziehungsweise insgesamt eine erhöhte Fehlerquote in diese Richtung haben, und ähnliche Richtungen haben, gilt für mich auch als Binsenweisheit.

     

    Von jeglicher Selbstkritik sieht der Lümmelclub, der der deutsche Psychiater qua Körperschaft irgendwie ist, selbstverständlich wieder total ab.

    ...

  • Wie wäre es, wenn wir aus den "Jetzt zeig ich es Euch"-Tätern, die überall irgendwelche Bewunderer finden können, das machen würden, was sie in der künftigen Vergangenheit sein werden und was sie ganz sicher nicht sein wollen, nämlich: bedauernswerte, armselige "Opfer".

     

    Wobei wir den unschuldigen tragischen Opfern der Umstände noch viel weniger gerecht werden in den Rollen, die wir ihnen zuteilen...

  • Ich bin mir ziemlich sicher, dass die "Euch zeige ich es jetzt!"-Stimmung auch sehr gut mit religiösen, politischen oder sonstig extremistischem Dekor zusammenpasst. Der Unterschied zwischen Amok und Terror liegt im Auge des Betrachters.

     

    Hat die AfD eigentlich schon die Verantwortung für München übernommen? Wenn der Kerl nicht AfD- sondern IS-Fan gewesen und Biodeutsche anstatt Ausländer getötet hätte, würde man nicht lange über Amoklauf oder nicht reden, dann wäre das islamistischer Terror, der mit Bomben beantwortet gehört...