Prüfungsstau bei Fahrschulen: Im Schrittempo
In ganz Berlin warten FahrschülerInnen schon Monate darauf, ihre Prüfungen absolvieren zu können. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Es war im Spätsommer, als mich nach drei sehr schönen und unproduktiven Monaten das Gefühl überkam, ich müsse jetzt mal einen Schritt weiterkommen im Leben. Also ging ich zur Fahrschule um die Ecke, um mich für Fahrstunden anzumelden. Als die Empfangsdame sagte, dass ich frühestens in 10 Monaten anfangen könne, dachte ich erst, das sei ein Witz. Es war aber keiner. Die nächste Fahrschule nahm zu der Zeit überhaupt keine neuen Schüler an. Seitdem habe ich die Sache erst einmal ruhen lassen. So sehr eilt es nicht.
Bei anderen Jugendlichen sieht das anders aus. Manche sind aufs Autofahren angewiesen. Für viele andere bedeutet ein Führerschein ein wertvolles Stück Unabhängigkeit. Da kommt es ungelegen, dass es zurzeit gerne mal mehr als anderthalb Jahre dauern kann, seinen Führerschein zu machen.
Seit die Berliner Fahrschulen im letzten Winter coronabedingt schließen mussten, befinden sie sich im Prüfungsstau. Denn bei den zuständigen Prüfbehörden TÜV und Dekra ist das Personal knapp. Zum anderen müssen die Prüfer seit diesem Jahr jedes Mal ein elektronisches Protokoll anfertigen. Durch die 10 Minuten mehr Zeitaufwand, die jetzt anfallen, gibt es weniger Prüfungen pro Tag.
In der Kreuzberger Filiale der Fahrschule Orange warten zurzeit über 80 SchülerInnen auf ihren Prüfungstermin, sagt die Filialleiterin Ayşegül Bilek-Özyurt. Denn während die Praxisprüfungen im Lockdown ausfielen, hätten viele SchülerInnen endlich Zeit gehabt, um den theoretischen Teil zu absolvieren.
Die Frist für die Prüfungen läuft Ende des Jahres ab
Doch genau die müssen jetzt immer weitere Übungsstunden buchen, um Gelerntes nicht zu vergessen. „Das ist Stress, das ist Zeit, das ist Geld“, so die Filialleiterin. Denn normalerweise haben sie nach Abschluss der Theorieprüfung nur ein Jahr Zeit, um die Praxisprüfung zu absolvieren. Deshalb hat die Senatsverwaltung für Verkehr die Fristen der SchülerInnen, die von den Schließungen betroffen waren, verlängert – jüngst bis zum 31. Dezember.
Die Verlängerung beseitige das eigentliche Problem aber nicht, da die Fahrschule ja stetig neue Prüflinge hervorbringe, sagt Bilek-Özyurt. So verlagere sich der Stau einfach immer weiter nach hinten. Ob sich der Knoten bis Ende des Jahres löse, lasse sich kaum abschätzen. Wenn nicht, müssten die Betroffenen die Theorieprüfung, in der schlappe 1.771 Fragen drankommen können, noch einmal machen.
Und ich warte vielleicht lieber, bis die Autos von selbst fahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?