Detail eines Fahrschulautos aus der Vogelperspektive

Am Anfang des Fahrens die Schule Foto: jérome Gerull/plainpicture

Die Fahrschule der Nation:Wo die alten weißen Männer wohnen

Das Fahrschulwesen ist eine Männerdomäne, Anzüglichkeiten sind keine Seltenheit. Auch sonst gehört das Gewerbe nicht zu den fortschrittlichsten.

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25.8.2022, 10:49  Uhr

In gleich zwei Fällen mussten sich Göttinger Gerichte in diesem Jahr mit grabschenden Fahrlehrern befassen. Einer hatte vor dem Verwaltungsgericht Göttingen dagegen geklagt, dass die Stadt ihm die Lizenz entzogen hatte. 2017 hatten ihn zwei Fahrschülerinnen angezeigt, weil er während der Fahrt ihre Oberschenkel betatscht hatte. Schon 2012 hatte es ähnliche Vorwürfe gegen ihn gegeben. Strafrechtlich verurteilt wurde er nicht, die Verfahren wurden – zum Teil unter Auflagen – eingestellt.

Die Stadt hatte ihm die Lizenz 2019 trotzdem entzogen – wegen „persönlicher Unzuverlässigkeit“. Zu Recht, befand das Verwaltungsgericht nun, das auch noch einmal die Ex-Fahrschülerinnen anhörte.

Erst im Januar hatte ein ähnlicher Fall vor dem Amtsgericht Göttingen für Kopfschütteln gesorgt. Er sei sich „gar keiner Schuld bewusst“, hatte der 57-jährige Fahrlehrer aus Göttingen zu Beginn seines Prozesses noch getönt. Er habe immer ein total freundschaftliches Verhältnis zu seinen Fahrschülern gehabt, und „Mäuschen“ nenne er seine Enkelkinder ja schließlich auch.

Erst als die Staatsanwaltschaft immer mehr ehemalige Fahrschülerinnen als Zeuginnen aufmarschieren ließ, die davon erzählten, wie unangenehm es gewesen sei, wenn er den Sitz richtig eingestellt oder mit der Hand auf dem Oberschenkel beim Gasgeben „nachgeholfen“ hat, als außerdem auch noch zwei seiner ehemaligen Arbeitgeber zur Aussage geladen wurden, da dämmerte dem Mann, das er mit dieser Wahrnehmung ziemlich allein dasteht. Und dass es vielleicht nicht die beste Idee war, dem Strafbefehl zu ­widersprechen und es auf einen öffentlichen Prozess ankommen zu lassen.

Das Urteil: zehn Monate auf Bewährung und 4.000 Euro Geldstrafe, zu zahlen an das Göttinger Frauenhaus. Für insgesamt 33 Fälle von sexueller Belästigung im Fahrschulwagen zwischen März 2018 und September 2020. Außerdem kassierte die Stadt Göttingen auch hier die Fahrlehrerlizenz.

Ist es das? Die nun wirklich letzte Branche, die auch noch ihren #MeToo-Moment erlebt, die letzte Bastion, die fällt?

Das sind sicherlich extreme Einzelfälle. 44.203 „registrierte Fahrlehr­erlaubnishalter“ wie es im Amtsdeutsch heißt, verzeichnet das Statistische Bundesamt für 2019. Nirgendwo erfasst ist, wie viele davon sich schon solchen Vorwürfen stellen mussten. Und trotzdem beschleicht einen kurz dieses dumpfe Gefühl: Ist es das? Die nun wirklich letzte Branche, die auch noch ihren #MeToo-Moment erlebt, die letzte Bastion, die fällt?

Schon ein spezielles Geschäft

Es ist jedenfalls ein schon sehr spezielles Geschäft, dieses Fahrschulbusiness. Wem auch immer ich von den kuriosen Göttinger Einzelfällen berichte, der spuckt umgehend eigene Anekdoten zu diesem Thema aus. Und zwar erstaunlich unabhängig von Alter und Geschlecht. Und in zwei von drei Fällen sehen die Fahrlehrer dabei nicht gut aus. Ganz oben auf der Liste: sexistische und rassistische Sprücheklopferei wie „Frau am Steuer, das wird teuer“, „Die Kopftuchmutti mache ich nicht, Kollege, die musst du nehmen“, „Vor dem Asylantenheim nie bremsen, immer Gas geben“.

Nun könnte es sein, dass unter Fahrlehrern das gleiche Phänomen auftritt wie unter sonstigen Lehrern: Jeder hat etwas dazu zu sagen, und natürlich werden eher die gruseligen Anekdoten weitergetragen als die positiven.

Frauenfahrschulen

Stressige Situationen im noch unbekannten ­Straßenverkehr, dazu ein ruppiger Umgangston und chauvinistische Sprüche: Die Fahrschule ist nicht immer ein Wohlfühlort – vor allem für Frauen. Den Fahrschulunterricht von Frauen statt von Männern leiten zu lassen, scheint da eine naheliegende Antwort. Wie viele Frauenfahrschulen es in Deutschland genau gibt, ist nicht erfasst. Bei der Recherche im Internet finden sich insgesamt drei: in Berlin, München und Köln.

Marktlücke

„Viele Fahrschülerinnen wollen explizit zu Frauen“, sagt Nina Kandlbinder. In ihrer Münchener Fahrschule, die sie seit zwölf Jahren betreibt, werden nur Frauen unterrichtet. Ihre drei Mitarbeiterinnen seien in Entspannungspädagogik fortgebildet, ein Gruppenseminar mit einer Verkehrspsychologin hilft bei Angst vor dem Autofahren. „Unsere Ausbildung ist mehr auf Frauenverständnis ausgelegt“, sagt Kandlbinder. Seit 2005 betreibt Ursula Georg die Kölner Frauenfahrschule. „Es ist eine Marktlücke“, sagt sie. Schätzungsweise die Hälfte ihrer Fahr­schü­le­r*in­nen wechseln aus anderen Fahrschulen zu ihr, weil sie woanders schlechte Er­fahrungen gemacht hätten, erzählt Georg.

Anders als im Schuldienst liegt der Frauenanteil in der Fahrschulbranche allerdings erst seit Kurzem knapp über 10 Prozent. Und noch etwas hat die Tonart dort sehr geprägt: Bis in die 2000er Jahre hinein rekrutierten sich weite Teile der Fahrlehrerschaft aus ehemaligen Bundeswehrsoldaten.

Hände am Lenkrad beim Autofahren

Autofahren, schließlich auch eine Kulturtechnik Foto: Felix Jason/imago

Das liegt unter anderem daran, dass der Einstieg in diesen Beruf ziemlich kostspielig ist. Bis zur Reform des Fahrlehrergesetzes 2018 musste man alle Führerscheinklassen – Pkw, Motorrad und Lkw – schon vorweisen, um mit der Ausbildung überhaupt anfangen zu dürfen. Die Ausbildung an einer der zugelassenen „Fahrlehrerausbildungsstätten“ kostet auch noch einmal mehrere Tausend Euro – mit 10.000 bis 15.000 Euro insgesamt rechnen die meisten, wobei die Preise je nach Region etwas variieren.

Keine Großverdiener

Dabei gehörte man auch danach nicht unbedingt zu den Großverdienern: Auf 2.837 Euro brutto im Monat beziffert der Branchenverband Moving das Mediangehalt für Fahrlehrer im Jahr 2019 – das mittlere Einkommen von Vollzeitangestellten quer durch alle Berufsgruppen lag dagegen bei 3.401 Euro brutto.

Gleichzeitig sind die Arbeitszeiten alles andere als familienfreundlich: Die ersten Fahrten finden oft schon morgens um 7 Uhr vor der Schule statt, ansonsten aber lieber nachmittags und am Wochenende, Theorieunterricht am Abend, dazu das vorgeschriebene Kontingent an Nachtfahrten. Kein Wunder also, dass die Branche eher hartgesottene Kerle anzieht, bei denen die Work-Life-Balance nicht ganz oben auf der Liste steht und die Liebe zu Motoren oft größer ist als die zur Pädagogik.

„Meine Methode heißt LDS – lernen durch Schmerzen“, röhrte einer meiner Fahrlehrer gern. Im Theorieunterricht erzählte er bevorzugt Anek­do­ten aus seiner Bundeswehrzeit. Die ganzen 17-Jährigen vor mir fanden das super und wendeten einfach weiter eine Strategie an, die sie aus der Schule kannten: Bring den Alten zum Labern, dann kannst du dich zurücklehnen. Mich störten die verlorene Zeit und das verschwendete Geld; den Lernstoff musste man sich dann ja zu Hause selbst noch reinprügeln.

Ich war deutlich älter als die anderen und stand unter Druck: Ich brauchte den verdammten Lappen für einen Job, den ich demnächst antreten sollte – im Vorstellungsgespräch hatte ich verschwiegen, dass ich den in der Stellenausschreibung ausdrücklich geforderten Führerschein (noch) gar nicht besaß. Es hatte auch niemand nachgefragt. Wer hat denn schon mit Ende 20 keinen Führerschein?

Mittlerweile hat sich der Beginn der Fahrausbildung nach hinten verschoben. Doch damals fanden die Fahrlehrer (ich hatte insgesamt drei) mich seltsam und brüllten einfach noch ein bisschen lauter. Irgendwann bekam ich die Magenschmerzen, Schweiß- und manchmal auch Tränenausbrüche schon, wenn ich einen Fahrschulwagen von Weitem sah.

Es gab aber auch Missverständnisse, die – mit Abstand betrachtet – zum Brüllen komisch waren. Ich erinnere mich, wie Fahrlehrer Nummer eins neben mir puterrot anlief und spuckte, als er immer wieder brüllte: „Motor bremst mit! Motor bremst mit! Motor bremst mit!“, während ich verzweifelt das Lenkrad umklammerte, mit dem rechten Fuß noch härter auf die Bremse latschte und mich fragte, was zum Teufel ich nun schon wieder falsch machte.

Er hätte mir ja auch einfach sagen können, dass ich den linken Fuß von der Kupplung nehmen soll. Aber er kam gar nicht auf die Idee, dass er zu viel technisches Verständnis voraussetzte. Er glaubte ja auch, dass eigentlich jeder schon mit zwölf heimlich auf dem Feldweg fahren übt.

Es ist aber nicht so einfach, auf die alten Haudegen in einer ­Branche zu verzichten, die schon lange vor ­Corona über Fachkräftemangel klagte: 34,6 Prozent der Fahrlehrer sind über 60.

Anders machen

Zu denen, die es anders machen wollen, gehört Daniela „Dani“ Facius. Die 33-Jährige ist seit elf Jahren Fahrlehrerin, weil sie das schon als Schülerin unbedingt wollte. Da man dazu aber schon eine Ausbildung vorweisen muss, jedenfalls wenn man einen Realschulabschluss hat, lernte sie erst einmal Zahnarzthelferin und machte nebenbei ein Praktikum in der Fahrschule, wo sie selbst das Fahren gelernt hatte.

Jetzt arbeitet sie für eine Fahrschule im Speckgürtel Hannovers, aber in den ersten Jahren hat sie fast jedes Jahr den Arbeitgeber gewechselt, erzählt sie: „Es gab da halt immer mal wieder ein besseres Angebot. Und manchmal hat es auch mit den Chefs nicht gepasst.“

Die Sollbruchstellen: Streit wegen Überstunden und Dauerverfügbarkeit und unterschiedlicher Vorstellungen vom Theorieunterricht. „Ich will, dass Leute mitdenken und verstehen und nicht bloß auswendig lernen – viele Kollegen der alten Schule bewerfen die Schüler mit Paragrafen und technischen Details und wundern sich dann, dass nix hängen bleibt.“

Ein Stop-Schild steht an der Straße

Die Bedeutung dieses Schildes müssen Fahrlehrer ­kennen Foto: Nitzschke/imageBROKER/imago

Es hat viele Veränderungen gegeben in den letzten Jahren: Simulatoren und Apps halten Einzug, die Umrüstung auf E-Fahrzeuge ist ein großes Thema. Doch jeder einzelne Fortschritt ist ein zäher Prozess in einer Branche, die aus zahlreichen, störrischen Einzelunternehmern besteht und über mehrere untereinander zerstrittene Branchenverbände gern in verschiedene Richtungen lobbyiert.

So gab es in der Coronapandemie Sonderverordnungen, mit denen der Theorieunterricht auch digital möglich gemacht werden sollte. Einige fanden Gefallen daran, die Fahrschüler sparen sich weite Anfahrten, der Personaleinsatz lässt sich flexibler gestalten.

Das Verkehrsministerium unter Volker Wissing glaubte prompt, man könnte diesen Digitalschub doch verstetigen. Doch die Branche wehrte sich.

Der Branchenverband Moving, die Deutsche Fahrlehrer Akademie und die Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände gaben ein Gutachten bei Manfred Spitzer in Auftrag. Das ist ungefähr so, als würde man beim Papst ein Gutachten zur Homo-Ehe in Auftrag geben. Spitzer, Neurowissenschaftler und Psychiater, tingelt seit Jahren mit wissenschaftlich umstrittenen Thesen aus seinen Bestsellern „Digitale Demenz“ und „Cyberkrank“ durch die Talkshows.

Er kam wie erwartet zu dem Schluss, dass digitaler Theorieunterricht die Verkehrssicherheit auf deutschen Straßen massiv gefährden würde. Da nutzte es auch nichts, dass Umfragen unter Fahrschülern ergaben, dass diese sich am ehesten eine Mischung aus digitalem und Präsenzunterricht wünschten. Die neue Prüfungsverordnung sieht jetzt wieder Präsenzunterricht als Normalfall vor und erlaubt digitalen Unterricht nur in absoluten Ausnahmefällen.

Dieses Auseinanderklaffen der Wünsche und Mentalitäten zwischen Fahrlehrenden und Fahrlernenden ist auch an anderen Stellen zu beobachten: Die Fahrzeuge in den Fahrschulen werden immer größer und moderner, doch die Führerscheinneulinge fahren dann doch eher den gebrauchten, zehn Jahre alten VW Polo ohne Einparkhilfe.

„Ja, da haben manche schon Pro­ble­me, sich umzustellen. Aber bei den Fahrschulautos geht es halt eher nach den Wünschen der Fahrlehrer. Wenn ich acht Stunden am Tag in der Kiste sitze, möchte ich eben auch Platz haben und bequem sitzen. Und natürlich ist das irgendwie Werbung für die Fahrschule“, sagt Facius achselzuckend.

Wie die älteren Kollegen hängt auch sie am guten alten Verbrennermotor. Über Elektroautos spricht sie zuallererst davon, unter was für grässlichen Bedingungen die Batterien produziert würden, und dann davon, dass die Ladezeiten nicht in den Fahrschulalltag passten und die Reichweite für jede Fahrt in den Urlaub zu gering wäre.

Im Branchenmonitor von Moving geben 71 Prozent der Fahrschulinhaber an, weiterhin in Dieselfahrzeuge investieren zu wollen, lediglich 3 Prozent auch in E-Fahrzeuge.

Auch in der Haltung zur Fahrausbildung ist ein wachsendes Fremdeln zwischen Lehrenden und Lernenden spürbar. „Diese Jugendlichen haben heutzutage tausend andere Dinge im Kopf, ständig sagen sie Termine ab, die Fahrausbildung dauert immer länger, die lernen nix, beschweren sich nachher aber, wenn sie durchfallen“, schimpft ein Fahrschulinhaber, der seinen Namen lieber nicht genannt haben möchte.

Keine große Freiheit mehr

Auch Daniela Facius stellt fest: „Die wollen das nicht mehr so unbedingt wie ich damals. Das ist nicht mehr so, dass der Führerschein die große Freiheit bedeutet. Die werden ja überall hingefahren. Die machen das, weil die Eltern sagen: Du machst das jetzt.“

Zeitweise habe sie sogar mit den Müttern über die Terminvereinbarungen verhandeln müssen. „Ich verweigere das mittlerweile. Ich sage denen: Wenn Ihr Kind damit überfordert ist, seine Termine selbst zu koordinieren, dann darf es auch keinen Waffenschein machen. Das ist ein Auto nämlich auch: eine tödliche Waffe. Ich möchte, dass Sie das ernst nehmen.“

Oder bekommt der Fahrunterricht allmählich den gleichen Stellenwert wie Konfirmationsunterricht oder Tanzstunden? Etwas, das man in einem bestimmten Alter macht, eines dieser Rituale am Übergang ins Erwachsenenalter, aber wenn man es lässt, ist es auch nicht schlimm?

Die Anmeldezahlen deuten nicht darauf hin. Dabei ist ein Führerschein alles andere als billig: Derzeit kostet er inklusive aller Gebühren im Durchschnitt 2.182 Euro.

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