Prozess zum Anschlag in Halle: Das Schweigen der Familie
Die Familie des Attentäters von Halle schweigt vor Gericht. Die Aussage eines Bekannten zeigt: Alle sahen weg, als der Angeklagte sich radikalisierte.
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Der vierte Verhandlungstag im Halle-Prozess beginnt also mit Schweigen. Dabei wären gerade die Aussagen der Familie für die Nebenkläger:innen von Interesse. Laut Anwältin Kristin Pietrzyk wollen diese erfahren, in welchen Strukturen sich der Täter bewegt hat, ob und wie sich seine rechtsextreme Ideologie geäußert hat, die schlussendlich in den Angriff auf eine Synagoge und einen Imbiss mündete. Nach bisherigen Erkenntnissen war das soziale Leben des Angeklagten größtenteils auf seinen Familienkreis beschränkt.
Der vierte Zeuge dieses Verhandlungstages ist dann der ehemalige Partner der Schwester des Angeklagten. Zu fern verwandt, um die Aussage zu verweigern, und nah genug, um einen Einblick in die Familie zu haben, stellt er sich fast vier Stunden den Fragen der Richterin und der Anwaltschaft. Über das Verhältnis zur Mutter, über das zum Vater, in dessen Schuppen er die beim Attentat eingesetzten Waffen herstellte. Über die Schwester, die nie so viel Aufmerksamkeit bekommen habe wie der Angeklagte.
Ruhig und zurückhaltend sei er gewesen, sagt der Zeuge und bestätigt das vorherrschende Bild. Er zeigt jedoch auch eine andere Seite auf. Am Mittagstisch bei der Mutter habe es regelmäßig „Gerede“ gegeben. 2015 über die „Flüchtlingskrise“, darüber, ob Bundeskanzlerin Merkel regierungsfähig sei. Es erscheint dem Zeugen oft schwer, konkrete Aussagen wiederzugeben. An eine Aussage des Angeklagten aber erinnert er sich: „Die Juden sind schuld.“ Er habe sich „rausgehalten“, sagt der Zeuge.
Auch nach „der Sache“ wird geschwiegen
Rausgehalten habe er sich auch, als der Angeklagte in einem Supermarkt zwei Menschen lautstark anging, weil diese sich nicht auf Deutsch unterhielten. Rausgehalten habe er sich auch beim Thema Arbeitslosigkeit. Er habe nichts dazu gesagt, dass ein Messer, ein Helm, ein Schwert, leere Patronenhülsen und ein Modellpanzer das Kinderzimmer des Angeklagten dekorierten. Er fragte nicht nach, warum der Angeklagte paranoid gegenüber Ortungssystemen und dem Anlegen von Accounts war. Er begutachtete eine vom Angeklagten gefertigte Metallpresse und beantwortete fachliche Fragen zur Metallverarbeitung, hielt sich aber raus, als es darum ging, was der Angeklagte im Schuppen seines Vaters machte.
Auch heute, nach „der Sache“, werde in der Familie geschwiegen. „Keiner will es ansprechen.“ Die Mutter sei nach einem Selbsttötungsversuch zu labil, der Vater am Verdrängen. In all seinen Schilderungen wirkt der Zeuge passiv. Auch als es um seine eigene Einbindung in die rechtsextreme Szene geht, die „sehr lange“ zurückliege und auch „nur ein halbes Jahr oder bestimmt noch weniger“ gedauert habe.
Doch eben eine solche Passivität hat das Attentat erst ermöglicht. Dies betonen mehrere Anwält:innen der Nebenklage. Eine Nebenklägerin richtet selbst das Wort an den Zeugen: „In der Szene im Supermarkt zeigte sich doch schon, dass aus dem Täter der würde, der er wurde. Vor dem Hintergrund, dass das ein Prozess ist: Wie würden Sie Ihren Sohn davon abhalten, so zu werden, wie der Angeklagte ist?“ Seine Antwort: Er wisse es nicht.
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