Prozess wegen versuchten Mordes: Ein Nazi knallt durch
In Hamburg steht ab Dienstag ein Mann vor Gericht: Er soll auf seine schwangere, muslimische Nachbarin geschossen haben.
Die „Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ – kurz: Empower – befürchtet, dass die politische Dimension der Tat eine zu geringe Beachtung finden könnte. Die Befürchtung kommt nicht ohne Grund: Einige Medien stellten anfänglich den Angriff als Nachbarschaftsstreit dar. Mit einigen Nachbarn soll Ulf M. auch öfters Streit gesucht haben.
Nicht alleine mit der damals 24-Jährigen, mit der der Täter in dem Mehrparteienhaus am Tibarg im Stadtteil Niendorf wohnt. Die Betroffene berichtete jedoch nicht alleine von anhaltenden rassistischen Beleidigungen und Bedrohungen, sagt Nissar Gardi von Empower. Weitere Nachbarn erzählten Medien später ebenso, dass der Angeklagte immer wieder lautstark durch rassistische und rechtsextreme Äußerungen auffiel. Der 48-Jährige soll nicht nur die Frau bedrängt haben.
Empower begleitet die 24-Jährige. Über Jahre tyrannisierte Ulf M. seine Nachbarin. Sie informierte ohne Erfolg den Vermieter. Sie soll auch Ulf M. wegen Nötigung angezeigt haben. An dem Samstagabend schoss Ulf M. mehrmals durch die Tür der Erdgeschosswohnung. Mit ihrer Schwiegermutter war das Opfer in der Wohnung. Auch die Schwiegermutter hatte Glück. Sie blieb unverletzt.
Hitler-Bild und Dolch mit SS-Gravur
Malik wählte den Notruf. Mehrere Polizeiwagenbesatzungen als auch Spezialeinsatzkräfte eilten zu dem Haus in der zweiten Reihe des vermeintlich ruhigen Quartiers. Ohne Auseinandersetzung konnte die Polizei den Täter festnehmen. Malik wurde vorsorglich ins Krankenhaus gebracht.
Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung von Ulf M. stellten die Polizeikräfte nicht bloß die mutmaßliche Tatwaffe und weitere Schusswaffen und ein Messer sicher. Sie entdeckten auch rechte Utensilien. Ein Bild von Adolf Hitler und einen Dolch mit eingravierten SS-Runen fanden sie. NPD- und AfD-Material soll zudem entdeckt worden sein, ebenso Unterlagen zum Ku-Klux-Klan.
Vor zehn Jahren bestellte Ulf M. beim rechtsextremen Versand „Hatecore Lüneburg“, berichtet das Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR). Die Funde und Hinweise deuten auf ein rechtsextremes Weltbild hin, das sich lange bildete und festigte.
Mit der Festnahme von Ulf M., der in Untersuchungshaft kam, erfolgte aber keine Erleichterung für Malik. „Sie leidet an Belastungsstörungen“, sagt Gardi der taz.
Ähnliche Fälle finden kaum Beachtung
Die Polizei gab ihr zwar die Kontaktdaten zu Empower, aber schnelle weitere Hilfe von staatlicher Seite erfolgte nicht. „Es kann nicht sein, dass wiederholt die Unterstützung bei den gesundheitlichen und materiellen Folgen solcher Taten im Wesentlichen von Betroffenen selbst erkämpft werden müssen“, sagt Gardi. Die Referentin weist zudem darauf hin, dass es „ein beunruhigendes Signal an Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ sei, „wenn in der Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft und Politik diese Vorfälle kaum Beachtung finden“.
Unterstützung bedeute, die Vorfälle ernst zu nehmen, so Gardi. Das HBgR ruft deshalb zu einer „solidarischen Prozessbegleitung“ auf. „Wir vermissen bis heute den öffentlichen Aufschrei, dass es einen rechten Mordversuch in Hamburg gab“, sagt Kim Uhrig vom Bündnis und schiebt nach: „Wir fragen uns, warum 2023 ein eindeutig rechtes Tatmotiv nicht sofort als solches erkannt wird.“
Neun Verhandlungstage bis ins kommende Jahr hat das Gericht angesetzt. Malik ist – trotz der Belastung – Nebenklägerin.
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid