Prozess um gekürzte Betriebsratsgehälter: Einmal Chefetage und zurück
Vattenfall will vier Betriebsräten ihre vergleichsweise hohen Gehälter kürzen. Der Betriebsratsvorsitzende klagt dagegen, ist aber gesprächsbereit.
Rainer Kruppa ist Betriebsratsvorsitzender von Vattenfall und Vize des European Work Council, dem Betriebsrat von Vattenfall auf europäischer Ebene. Damit vertritt er rund 6.000 Angestellte. Im September 2020 hatte der Energieversorger ihm das Gehalt massiv gekürzt. Von ehemals rund 160.000 Euro brutto im Jahr auf Tarifniveau K1. Das liegt bei etwa 5.500 im Monat und entspricht seinem Gehalt von 2002.
Kruppa hatte 1983 eine Ausbildung zum Maschinenschlosser begonnen, damals noch bei den Hamburgischen Elektrizitätswerken (HEW). Nach dem Abschluss arbeitete er im Kernkraftwerk in Brunsbüttel, zuletzt als Anlagentechniker. Dort wählte die Belegschaft ihn 2002 in den Betriebsrat, 2006 stieg Kruppa zum Vorsitzenden auf. Von da an war er von betrieblichen Aufgaben freigestellt und konnte sich um Belange der Arbeitnehmer:innen kümmern, ein Vollzeitjob.
Fast 20 Jahre arbeitet Kruppa als Betriebsrat, bis ihn Vattenfall im September 2020 schriftlich über die Gehaltskürzung informiert. Anlass war eine interne Prüfung bei Vattenfall gewesen. Der Leasingvertrag für den Firmenwagen eines anderen Betriebsrates war ausgelaufen und Vattenfall wollte urteilen, wie die Konditionen für eine Verlängerung aussähen. Dabei wurde das Unternehmen auf die üppigen Gehälter der Betriebsräte aufmerksam und befand, dass diese nicht zu den Qualifikationen der Arbeitnehmer gepasst hätten. Viel zu viel Gehalt, für viel zu wenig Diplome.
Petra Kriens, Vorsitzende Richterin am Arbeitsgericht Hamburg
Drei andere Betriebsräte sind jetzt noch von Kürzungen betroffen. Kruppa sagt: „Das sind Verfahren, in denen Vattenfall versucht, Betriebsräte kleinzuhalten.“
Kruppa und seine Anwältin zeigen sich vor Gericht am Dienstag gesprächsbereit. Zumindest die 97.000 Euro jährlich, die ein Ingenieur als Anlagenleiter in einem Atomkraftwerk verdient seien angemessen. Dahin hätte sich Kruppa in den vergangenen 20 Jahren hypothetisch hocharbeiten können, wäre er nicht in Vollzeit als Betriebsrat eingespannt gewesen.
Dass Kruppa gut verdient hat, ist ihm durchaus bewusst. Der etwas gedrungene Mann hat die kräftigen Hände eines Schlossers auch nach Jahren der Büroarbeit behalten. Vor Gericht ist er zurückhaltend. „Klar, das war ein hohes Gehalt. Da war ich auch stolz drauf“, sagt er. Und seine Anwältin Marlene Schmidt pflichtet bei. „Herr Kruppa ist kein 08/15 Arbeitnehmer, er hat eine ganze Menge Qualifikationen, die er in den Job eingebracht hat.“
Ina Morgenroth, Geschäftsführerin von IG Metall Hamburg, gibt ein Beispiel: „Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 hat Kruppa auf höchster Ebene mit der Politik verhandelt, wie man einen Atomausstieg organisieren kann, ohne Arbeitsplätze in Gefahr zu bringen.“ Doch Vattenfall lehnt ab, ohne Ingenieursstudium kein Ingenieursgehalt.
Die Anwältin sieht Vattenfall in der Pflicht, zu zeigen, dass Kruppa eben keinen Anspruch auf sein Gehalt hätte. „Es gab eine Vereinbarung. Und nach 20 Jahren sagt der Arbeitgeber, er habe sich all die Jahre geirrt und Kruppa irrtümlich bevorzugt. Jetzt muss der Arbeitgeber auch zeigen, dass Kruppa sich nicht so weit entwickelt hätte, wenn er nicht Betriebsrat geworden wäre.“
Auch die vorsitzende Richterin Petra Kriens ist über das Gehalt erstaunt: „Der Kläger verdient hier genauso viel, wie ein Kernkraftwerksleiter. Ich denke, das würde in der Öffentlichkeit doch zumindest ein ungutes Gefühl hervorrufen.“
Wie weit hätte Kruppa aufsteigen können?
Gewerkschafterin Morgenroth hält das für überzogen. „Ohne sein politisches Wirken hätten viele energiepolitische Entscheidung nicht getroffen werden können. Beschäftigte wären nicht abgesichert gewesen. Und dafür braucht es keinen Hochschulabschluss.“
Allerdings mahnt sie Vattenfall auch zu einer raschen Einigung im Fall. Schließlich hat der Energieversorger den Streit selbst entfacht, in dem er jetzt steckt. „In 2020 bemerken Sie: Was haben wir denn da die letzten 20 Jahre lang gemacht?“, fragt die Richterin in Richtung der Anwältinnen von Vattenfall.
Diese feilschen lieber um Posten. Anlagenleiter sei deutlich zu hoch. Technischer Fachgebietsleiter, das ließe sich gut argumentieren. Der Konzern will Rechtssicherheit und lehnt eine Einigung ab. Alles andere wäre mit der Compliance des Unternehmens nicht vereinbar. Das bloße Potential eines Arbeitnehmers reiche nicht aus, um daran sein Gehalt festzumachen. Stattdessen hätte der Kläger sich aktiv auf Posten im Unternehmen bewerben müssen. Während einer solchen Bewerbungsphase hätte man dann tatsächliche Qualifikationen klären können.
Noch immer staunt Kruppa über die Kürzungen. Immerhin hatte er beinahe den Kredit zum Hausbau unterschrieben. „Ich hätte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass geschäftlich Abgesichertes nicht gilt.“
Das Urteil steht noch aus. Im nächsten Termin, voraussichtlich in sechs bis acht Wochen, will das Gericht zunächst die Beweisaufnahme fortsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Zoff zwischen SPD und Grünen
Die Ampel? Das waren wir nicht!
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär