piwik no script img

Prozess um Messerattacke in ChemnitzZeuge gegen Staatsanwalt

Neue Wendung im Chemnitz-Prozess: Ein Zeuge will den Staatsanwalt auswechseln lassen. Der Iraker saß zuvor ohne triftige Beweise in Haft.

Der Angeklagte Alaa S. im Gericht in Dresden Foto: dpa

Berlin taz | Der Prozess zur tödlichen Messerattacke in Chemnitz ist um eine Volte reicher: Am Freitag verweigerte dort ein Zeuge die Aussage – weil er sich vom Staatsanwalt bedroht fühle. Erst nach einer Auswechslung des Staatsanwalts würde er aussagen, ließ der Iraker über seinen Anwalt erklären.

Seit Mitte März wird in Dresden über die tödliche Messerattacke von Chemnitz verhandelt, angeklagt ist der Syrer Alaa S. Im August 2018 soll er mit einem bis heute flüchtigen Iraker den 35-jährigen Daniel H. erstochen haben. Die Tat löste in Chemnitz wochenlange rechte Aufzüge und Unruhen aus.

Am Freitag nun sollte der Iraker Yousif A. als Zeuge im Prozess aussagen. Er selbst galt einmal als Beschuldigter: Unmittelbar nach der Tat war er mit Alaa S. festgenommen worden und saß drei Wochen in U-Haft – auf Antrag des jetzt auch im Prozess vertretenen Staatsanwalts Stephan Butzkies. Dann aber wurde Yousif A. freigelassen und sein Verfahren eingestellt – mangels Beweisen, dass er etwas mit der Messerattacke zu tun hatte.

Vor Gericht ließ Yousif A. nun seinen Anwalt Ulrich Dost-Roxin eine Erklärung verlesen, die später auch verbreitet wurde: Er fühle sich „erheblich eingeschüchtert“ von Butzkies, da dieser ihm „großes Unrecht angetan“ habe. Der Staatsanwalt sei ihm gegenüber „straffällig“ geworden, da er ihn damals „völlig grundlos, willkürlich und rechtswidrig“ in Haft genommen habe, so Yousif A. Eine ungezwungene Aussage sei so nicht möglich. Erst wenn Butzkies ausgewechselt werde, werde er eine Aussage machen.

Gericht prüft

Bereits Anfang März hatte Yousif A. Anzeige wegen Rechtsbeugung gegen Butzkies und einen Haftrichter gestellt. Der Staatsanwalt vertritt dennoch die Anklageseite im Prozess und hat seit Prozesseröffnung an den Sitzungsterminen teilgenommen.

Das Gericht wollte die Einlassung von Yousif A. prüfen. Eine Gerichtssprecherin erklärte, es sei grundsätzlich zumindest möglich, einen Staatsanwalt vertretungsweise an einem Prozesstag auszutauschen. „Es gibt darauf aber keinen Anspruch.“

Yousif A. stellte in seiner Erklärung indes auch die Vorwürfe gegen den Angeklagten Alaa S. infrage: Auch gegen den Syrer sei „völlig willkürlich ein Haftbefehl erlassen“ worden. Tatsächlich ist die Beweislage gegen Alaa S. dünn. DNA-Spuren von ihm am Tatort gibt es nicht. Und nur ein Zeuge will gesehen haben, dass es der Syrer war, der mit zustach.

Am Freitagnachmittag sagte dieser Zeuge, Younis al-N., ein Koch aus einem Döner-Imbiss nahe des Tatorts, im Prozess aus und berichtete von Morddrohungen. Er sei von mehreren Personen mit dem Tod bedroht worden. Eine Gruppe von sieben bis acht Männern habe ihm bei einem Treffen in einer Shisha-Bar gesagt, sie würden ihn umbringen und niemand würde das erfahren, übersetzte eine Dolmetscherin die Aussagedes Libanesen. Die Namen der Personen kenne er nicht. Seine Vernehmung wurde aus zeitlichen Gründen bis zum 20. Mai unterbrochen.

Bereits Anfang April war er dort ein erstes Mal vorgeladen worden. Damals aber verweigerte Younis al-N. weitgehend die Aussage – um sich nicht selbst in Bedrängnis zu bringen. Denn der Libanese hatte bei Vernehmungen zuerst von Messerstichen durch Alaa S. gesprochen, später nur noch von Schlägen. Eine der Aussagen könnte damit als Falschaussage gewertet werden.

Das Gericht hatte dennoch auf eine Aussage von Younis al-N. beharrt – und ein Ordnungsgeld von 300 Euro gegen ihn verhängt. Das Oberlandesgericht Dresden hatte am Donnerstag nun entschieden, dass Younis al-N. tatsächlich aussagen muss. Das Ordnungsgeld hob es indes auf: Der Zeuge habe sich bei seiner ersten Aussageverweigerung darauf verlassen, dass die Beratung durch seinen Anwalt richtig sei, befanden die Richter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Ein Zeuge (!) fordert für seine Aussage einen anderen Staatsanwalt, -und bekommt ihn! Demnächst wird dann wohl auch der Angeklagte einen anderen Richter fordern oder gleich die Einstellung des Verfahrens. . Das Gericht hätte hier mit Zwangsmitteln reagieren müssen, anstatt sich auf der Nase herumtanzen zu lassen. Im Übrigen: Untersuchungshaft anzuordnen bei einem Tötungsdelikt, wenn Flucht-- und Verdunklungs-gefahr offensichtlich gegeben sind, -ist völlig korrekt!

    • @Maschor:

      Aus welchem Abschnitt des vergangenen Jahrhunderts ist Ihre Auffassung zu rechtsstaatlich sauberer Prozeßführung? Was Sie als "auf der Nase herumtanzen" bezeichnen, ist ganz klar z.B. im §24 StPO geregelt. Selbstverständlich kann der Angeklagte einen Richter wegen Befangenheit ablehnen, und das ist auch gut so.

  • Warum lässt man ein Verfahren dieser Bedeutung in einem juristischen Entwicklungs(bundes)land stattfinden? Es wird Zeit, in Ostdeutschland endlich ein funktionierendes Justizsystem aufzustellen.

    • @Dorian Müller:

      ich glaube, Ihnene sind die Pferde durchgegangen. Besser-Wessi oder was sind Sie?

  • Volksweisheit : Wer auch sonst nix kann wird Jurist ...

    Einwirkung auf einen Zeugen zum Zwecke der Abgabe einer dem Einwirkenden günstigen Aussage, kann als Anstiftung o. als Beihilfe zum Falscheid, Falschaussage, als Verleitung zum Falscheid o. als erfolglose Anstiftung zur Falschaussage od. des Falscheides strafbar sein.

    de.wikipedia.org/wiki/Disziplinarrecht



    de.wikipedia.org/wiki/Dienstvergehen



    de.wikipedia.org/w...ufsichtsbeschwerde



    de.wikipedia.org/w...sziplinarverfahren



    de.wikipedia.org/wiki/Disziplinarstrafe



    de.wikipedia.org/w...enstlicher_Verweis

    • @Mr. Fawkes:

      Hervorragend. Erst Witze über Juristen reißen und dann juristische Sachverhalte mit Wikipedia Artikeln aufklären.

      Um beim Volksmund zu bleiben:

      Hätte er geschwiegen, er wäre Philosoph geblieben.

  • Und wer jetzt noch sagt, daß wir hier nicht in einem Rechtsstaat leben, soll diesen Prozeß ganz aufmerksam verfolgen. Daß ein Zeuge dafür sorgen darf, daß ein Staatsanwalt ausgewechselt werden soll, ist auf dieser Welt beispiellos. Die Frage ist, wie entscheidet der Richter, und genauso muß ein Rechtsstaat funktionieren. Und die Bürger eines Rechtsstaates sollten auch akzeptieren, wenn der Richter entscheidet: dieser Staatsanwalt bleibt.

    • @schoenerrhein:

      Der Staatsanwalt im Gericht ist doch sowieso willkürlich gewählt. Und es ist selten der gleiche, der auch die Untersuchungen geführt hat. Einer bekommt die Akte und geht los. Meistens der mit dem größten Geltungsbedürfniss.

      Und ist es nicht selten, dass (für einen Termin) eine anderer Staatsanwalt kommt - z.B. weil ein weiblicher Zeuge Angst hat von einem Mann befragt zu werden. Wenn das Gericht die Gründe für stichhaltig hält, wird es diesen folgen. Die Staatsanwaltschaft könnte übrigens auch von sich aus jemand anderes schicken. Was auch regelmäßig passiert, wenn z.B. irgendwer krank ist.

      Hier werden (auch in der Diskussion) unnötig Fronten verhärtet.

      Aber "Wenns der Wahrheitsfindung dient ..."

    • @schoenerrhein:

      Hallo oh Du schöner Rhein ...

      Ja - wir leben offensichtlich in einem Rechts-Staat ... Aber ( Retorische Frage ) leben wir tatsächlich in einem Funktionierender Rechtsstaat wenn in diesem Recht nach Gutdünkel Einzelner Beteiligter gebeugt und jeder noch so Verfassungs- & Menschenrechtswidrige , Fachlich & Sozial Komplette Unsinn den Unsere sogenannte Möchtegern-`Obrigkeit` ( obwohl nach dem GG jeder vor dem Gesetz gleich zu sein hat ) verzapft , typischdeutsch Obrigkeitsliebend , nach dem Motto `Jawoll moin Führa`, unreflektiert & feixend abgenickt wird ?..

      Errare Humanum est - Heißt : Auch Richter , Staatsanwälte & Beamte können irren ...

      & Auch ein Richter kann wegen Befangenheit seines Vorsitzes enthoben werden - Gerade DAS macht einen Rechtsstaat & Gerechtigkeit ( wobei Recht & Gerechtigkeit ja bekanntlich zwei komplett verschiedene Paar Schuhe sind ) aus ...

      MfG