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Prozess um Holocaust-Forscher in PolenSie müssen sich entschuldigen

Zwei renommierte Pro­fes­so­r:in­nen hätten das Ansehen ihres Onkels beschädigt, so die Klägerin. Das Urteil ist wegweisend für die Holocaustforschung in Polen.

Die Professorin Barbara Engelking (l.) und ihr Kollege Jan Grabowski (r.) Foto: Yad Vashem/ap/picture alliance, Kacper Pempel/reuters

Warschau ap | In einem aufsehenerregenden Verleumdungsprozess gegen zwei prominente Ge­schichts­pro­fes­so­r:in­nen hat ein Gericht in Warschau die beiden Holocaust-Forscher zu einer Entschuldigung gegenüber der Klägerin verurteilt.

Die Professorin Barbara Engelking und ihr Kollege Jan Grabowski waren von der 81-jährigen Nichte eines damaligen Vorstehers im ostpolnischen Dorf Malinowo verklagt worden. Die von den Anwälten der Klägerin geforderte Entschädigung von 100.000 Zloty verhängte das Gericht nicht. Gegen das Urteil können noch Rechtsmittel eingelegt werden.

Das Urteil war mit Spannung erwartet worden, da es für die Zukunft der unabhängigen Holocaust-Forschung in Polen wegweisend sein könnte. Die beiden Wis­sen­schaft­le­r:in­nen haben sich intensiv mit der Beteiligung von Polen an der Ermordung von Juden im Zweiten Weltkrieg befasst.

Der verstorbene Onkel der Klägerin, Edward Malinowski, wird in dem 1.600-seitigen Werk, das die beiden Historiker mit herausgaben, kurz erwähnt. Klägerin Filomena Leszczynska machte geltend, das Andenken ihres Onkels werde beschädigt, indem ihm eine Rolle beim Tod von Juden zugeschrieben werde. In dem Werk heißt es unter anderem, dass Malinowski geholfen habe, eine jüdische Frau zu retten. Aber zugleich wird die Überlebende mit der Angabe zitiert, dass Malinowski am Tod von Dutzenden anderen Juden mitschuldig gewesen sei.

Von der polnischen Regierung gestützt

Leszczynska wirft den Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Forschungsfehler vor und forderte neben 100.000 Zloty (etwa 22.300 Euro) Entschädigung eine öffentliche Entschuldigung. Hinter der Klägerin steht die Polnischen Liga gegen Diffamierung, die von der Regierung finanziell unterstützt wird.

Die beklagten His­to­ri­ke­r:in­nen sehen in dem Fall einen Versuch, ihre Forschungsergebnisse zu diskreditieren und andere Wissenschaftler daran zu hindern, zur Wahrheit über polnische Beteiligung am deutschen Massenmord an Juden während der NS-Zeit zu forschen. Grabowski, ein polnisch-kanadischer Geschichtsprofessor an der Universität Ottawa, und Engelking, Gründerin und Direktorin des Polnischen Zentrum für Holocaust-Forschung in Warschau, zählen zu den prominentesten Holocaust-Forschern Polens.

Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist seit 2015 an der Macht und versucht seitdem, Untersuchungen polnischer Kollaboration während der deutschen Besatzung zu unterbinden. Stattdessen verlegt sie sich fast ausschließlich darauf, polnisches Heldentum und Leid hervorzuheben. Das zielt darauf ab, Nationalstolz zu fördern, aber Kritiker werfen der Regierung vor, die Tatsache zu übertünchen, dass manche Polen bei der Ermordung von Juden geholfen haben.

Die Klage ist auf Grundlage eines 2018 verabschiedeten Gesetzes eingereicht worden, das es unter Strafe stellt, dem polnischen Staat oder Volk fälschlicherweise eine Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen der Nazis zuzuschreiben. Das Gesetz hat Polens Beziehungen zu Israel schwer belastet.

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14 Kommentare

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  • hmm, ihrer Meinung nach sollten wir uns sehr zurückhalten – ok, aber wer sollte oder besser, wer



    bräuchte es nicht zu tun ? Und müssten nicht gerade wir (!) die dieses unmenschliche Grauen erst ermöglicht haben, andere davor nachdrücklich warnen ?



    Davor zu warnen, wie leicht das eigene Volk zu manipulieren ist und wie leicht es ist, das eigene Versagen anderen zuzuschreiben.



    Es heißt nicht umsonst – wehret den Anfängen. Und wie man das am Besten macht, das sollte



    sich jeder selbst überlegen; hier sollten wir uns sehr zurückhalten.

    • 9G
      91655 (Profil gelöscht)
      @Torsten Pauleit:

      Sorry, das ist genau das - m.E. zu Recht kritisierte - Argumentationsmuster zu Vieler im Land der Täter*innen.

      Statt Demut und noch mehr Demut angesichts der "zweiten Schuld" wollen zu viele Deutscher nicht nur "Meister im Tod" sein, sondern auch "Meister bei der 'Aufarbeitung'".

      Die 'Aufarbeitung' (noch schrecklicher und so entlarvend: Vergangenheitsbewältigung) ist nur leider überhaupt kein Erfolg, angesichts der Masse der Persilscheine oder dieser lächerlich-peinlichen Ergebnisse aus Umfragen, in denen tatsächlich die meisten deutschen Familien ganz sicher sind, dass es in "IHRER" Familie keine Nazis gab und Widerstand geleistet wurde ...

      Die Wahrheit in unserem Lande ist, dass es jeden Tag (auch in der TAZ) Beispiele nur für eins gibt:

      "Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen!"

      Gerade "wir" in den den linken Szenen haben fast durchgängig (Ausnahmen: Bestimmte ANTIFA-Gruppen, BAK Shalom usw.) nie verstanden, dass "Nie wieder Opfer" für Jüd*innen weltweit gilt und "Nie wieder Täter*innen" statt "Sind wir nicht super bei der Vergangenheitsbewältigung" uns besser anstehen würde; insbesondere der peinliche Umgang mit den Antisemiten des BDS zeigt mir, dass wir noch weit entfernt sind, von dem Punkt, an dem wir andere belehren können.

      Demut und täglich nicht aufgeben im Kampf gegen JEDEN Antisemitismus. Das ist Arbeit und Auftrag genug!

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    In einem anderen TAZ-Artikel wurde - wenn ich es richtig verstanden habe - dargelegt, dass der Forscherin eine Verwechslung passiert ist, weil es mehrere gleichnamige Personen in dem Ort gab.

    Dies dürfte wohl der Grund für das Urteil sein: Entschuldigung, aber keine Geldstrafe/Zahlung an die Klägerin.

    Das ist also doof gelaufen!

    Durch solche Fehler wird es den Gegnern von Aufklärung über den Faschismus natürlich "leichter" gemacht.

    Zuletzt: Aus dem Land der Täter*innen während der Shoah sollte die polnische Nation besonders rücksichtsvoll kritisiert werden: Fast 7.000 Pol*innen wurden bereits zu Gerechten unter den Völkern erklärt ... dort war die Strafandrohung für Judenhelfer besonders hart und die Besatzung besonders rassistisch. Dass der christlich-katholische Antisemitismus ein Problem war und ist, sollte bekannt sein, ist aber eben kein Persilschein für Arroganz und erst recht nicht für die Infragestellung der Deutschen Hauptschuld an der Shoah!

  • Wäre es nicht ein Wunder, wenn auch in Polen Kollaborateure den Nazis bei ihren Verbrechen geholfen hätten? In allen anderen von deutschen Gewalttätern besetzten Ländern gab es dies. Meint die polnische Regierung, dass es bei ihnen keine geldgierigen, unmoralischen, egoistischen Leute gibt und gegeben hat? Dann wäre es eine Gesellschaft von Heiligen, aber eine solche gibt es (leider) nicht. Ein Beweis für die Existenz von Schlechtem in der polnischen Gesellschaft ist die undemokratische derzeitige Regierung dort - wie auch willfährige Kaczynski-hörige Richter oder diese Klägerin.

    Wenn seriöse Wissenschaftler Fakten erheben und diese begründen, ja beweisen können, dann gibt es keinen Grund, solche Tatsachen zu leugnen. Noch weniger gerechtfertigt ist es, einzelne Fakten einer solchen wissenschaftlichen Arbeit zu bezweifeln. Richter sind nun einmal vom Fache der Jurisprudenz, das ist ihr Fachgebiet. Sie sollten sich nie verleiten lassen, wissenschaftliche Arbeiten ohne eigene ebenbürtige Recherchen zu bezweifeln. Was sind das für Richter - wären sie auch fähig, die Relativitätstheorie in einem Urteil zu verneinen, wenn eine nationalistische Regierung dies fordern würde?

    Wenn ein Herr Edward Malinowski sich mitschuldig am Tod vieler Juden gemacht hat, dann sollte man das demütig zur Kenntnis nehmen. Leugner des Holocausts oder anderer Nazi-Verbrechen machen man sich mitschuldig! Wie müssen sich Juden heute fühlen, wenn sie von der Klage von Frau Filomena Leszczynsk lesen müssen?

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    War es nicht so, dass sie die Person verwechselt haben? Das es zwei Personen mit dem gleichen Namen gab und der hier betreffende Mann tatsächlich unschuldig ist? Sollte dem so sein, ist das Urteil nur folgerichtig.

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Nicht vergessen sollte folgender Anklagepunkt werden: "Durch die Verleumdung ihrer Onkels sei aber auch die polnische Nation als Ganzes beleidigt worden, heißt es in der Klageschrift weiter. Sie selbst, Filomena Leszczynska, wie auch die gesamte polnische Nation hätten ein „Recht auf ihre nationale Identität und ihren Nationalstolz“, die unter anderem darin bestünden, „Mitglied einer Nation zu sein, die im Zweiten Weltkrieg Juden gerettet habe“."



      taz.de/Polen-und-d...olocaust/!5746521/



      ... wie auch die Grundlage für das Gesetzesurteil:



      "Die Klage ist auf Grundlage eines 2018 verabschiedeten Gesetzes eingereicht worden, das es unter Strafe stellt, dem polnischen Staat oder Volk fälschlicherweise eine Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen der Nazis zuzuschreiben. Das Gesetz hat Polens Beziehungen zu Israel schwer belastet."

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Wenn hier tatsächlich eine Verwechslung der Personen durch die Holocaust-Forscher vorliegen sollte, haben Sie zweifellos recht.



      Und wenn nicht, wie würden Sie den Vorgang dann bewerten?

  • Ich werde den Eindruck nicht los, dass Polen irgendwann mal falsch abgebogen ist.



    Mann stelle sich den gleichen Vorgang in Deutschland vor; der Aufschrei wäre, völlig zu Recht, ohrenbetäubend.



    Muss man sich also Sorgen machen?

    • @Hugo Rune:

      Ich würde da noch einiges erwähnen. Allgemein lässt sich in vielen Ländern ein Zulauf bei rechte Parteien beobachten. In Polen ist die PiS seit 2005 an Regierungen beteiligt bzw. bildet sie. Auch hierzulande wird rechts geblinkt und sich rechts eingeordnet. Dafür braucht es nicht einmal eine Nazipartei - wobei die AFD ja zuletzt in Wahlkreisen durchaus viele Stimmen erhalten hat bspw. in Sachsen vereinzelt bis zu 40 % - in der Regierung. Rechte Politik kriegen andere Parteien auch so hin. Bspw. wurde nicht vor allzu langer Zeit der ehemalige Nazirichter und Ministerpräsident Filbinger von Ministerpräsident Öttinger als lupenreiner Demokrat dargestellt. Asylrecht wird mit Füßen getreten. Rassismus wird geleugnet, heruntergespielt. Exportwirtschaft, Lohndumping auf Kosten anderer Gesellschaften betrieben ...



      Dann noch zum Aufschrei - über diese Betroffenheitspolitik regen sich Deutsche of Color zurecht auf und demaskieren diese als Symbolpolitik.

    • @Hugo Rune:

      Man muss sich eher fragen, ob man im ehemaligen Ostblock mal auf den richtigen Weg eingebogen ist. Antisemitismus und Antiziganismus haben in Osteuropa eine sehr lange, hässliche Tradition. Sie schwelten auch nach dem Zweiten Weltkrieg während der kommunistischen Zeit und dem verordneten Antifaschismus weiter. Nach der Wende brachen sie sofort wieder offen auf.



      In Polen gab es m. W. 1946 das grösste Juden-Progrom nach dem Zweiten Weltkrieg und zahlreiche weitere Übergriffe gegen Juden, die möglicherweise bis zu 1500 Tote forderten.



      Es ist schon seit langem so, dass man in Polen als Nestbeschmutzer gilt, wenn man darüber schreibt, dass es Polen gab, die den Deutschen halfen, Juden zu massakrieren. Das Gesetz von 2018 ist nur die logische Folge dieser Haltung.

    • @Hugo Rune:

      Da kann ich Ihnen nur Recht geben: Die Kurve, die Polen gekratzt hat, hinterlässt bleibende Ein- & Abdrücke in jeder Gesellschaft.

      Dass mehr Wissen und mehr Zusammenhänge verfügbar sind, scheint der Bildungsferne und Verklärtheit keinenAbbruch zu tun. Vor allem, dass sich noch immer so viele Menschen erdreisten, so unverfroren und unverhohlen über andere bestimmen zu können (nicht bloß dürfen zu wollen), ist erschreckend.

      • @Alexander Tschirk:

        Ich denke, dass gerade wir (Deutschen) sehr zurückhaltend mit Kritik und Mutmaßungen über die (Polen) sein sollten. Ich habe bei solchen Diskussionen immer das ungute Gefühl, dass die Entrüstung über deren Taten (z.B.Pogrom 1946) die eigene Geschichte willkommen in den Hintergrund drückt.

        • @Nansen:

          Gut, als Österreicher bin ich nicht soo weit vom gleichen Standpunkt entfernt und ich gebe Ihnen Recht, dass es nach Ablenkung und „kuckt, die auch“ aussieht.

          Wenn wir allerdings davon ausgehen, dass wir (Deutsche, Österreicher) unsere Geschichte vernünftig und lehrreich aufarbeiten, wir uns durchaus eine kritische Stimme gegenüber denen, die nicht nur nicht aufarbeiten, sondern sich keinen Meter von dieser Haltung wegbewegen, leisten können, ja fast schon müssen, damit „nie mehr wieder“ kein hohler Satz bleibt.

          • @Alexander Tschirk:

            Antisemitismus ist ein Thema, das ganz Europa betrifft, nicht nur Deutschland oder Österreich. Die Geschichte Deutschlands und Polens ist eng miteinander verwoben und für die Polen mit viel Leid verbunden, das Deutsche diesem Land zugefügt haben. Das sollte nie vergessen werden.



            Gleichwohl muss überall kritisch hingesehen werden, wo in Europa der Antisemitismus wieder sein Haupt erhebt und, wie in Ungarn oder Polen, Regierungsparteien in geschichtsrevisionistischer Art und Weise nationalistische Propaganda betreiben und somit ihrer europäischen Verantwortung nicht gerecht werden, alles dafür zu tun, um Europa als demokratische, friedliebende und tolerante Gemeinschaft zu erhalten und zu fördern.