Prozess um Brandstiftung in Neukölln: Ex-NGO-Mitarbeiter freigesprochen
Ein Ex-Mitarbeiter der Amadeu-Antonio-Stiftung wurde vor Gericht freigesprochen. Er war wegen Brandstiftung an dem Auto eines Neonazis angeklagt.
Die Brandstiftung war einer von zwei Anklagepunkten gegen den nun freigesprochenen Mann: Wegen mutmaßlicher Widerstandshandlungen bei seiner Festnahme in der Brandnacht wird allerdings noch weiterverhandelt. Ein Folgetermin ist für den 5. November angesetzt.
Besondere Brisanz hatte der Fall, weil die Brandstiftung unter anderem von der AfD politisch instrumentalisiert worden war. Der nun Freigesprochene hatte in der Vergangenheit bei antirassistischen NGOs gearbeitet. Medien hatten breit darüber berichtet, dass ein Autor der Bundeszentrale für politische Bildung und ehemaliger freier Mitarbeiter der Amadeu-Antonio-Stiftung und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus mutmaßlich das Auto eines AfDlers angezündet habe.
Nach anderthalb Jahren offenkundig halbherzig geführter Ermittlungen gegen den Mann durch Staatsschutz und Staatsanwaltschaft blieb von dem Vorwurf allerdings nicht mehr viel übrig.
Anklage fiel in sich zusammen
Denn vor Gericht stellte sich heraus, dass die Anklage wegen Brandstiftung wenig mehr als heiße Luft war. Die Staatsanwaltschaft stützte sich darauf, dass einige Zivilbeamte den Freigesprochenen mit zwei Unbekannten am 30. Januar spätabends auf Fahrrädern in der Nähe des Tatorts gesehen hatten.
Die drei Männer seien ihnen verdächtig vorgekommen, weswegen sie ihnen gefolgt seien. Die drei Männer hätten sich daraufhin zu dritt in der Nähe eines Autos in der Straße vor der Wohnung von P. aufgehalten. Eine Brandstiftung habe ein im Busch lauernder Polizist allerdings nicht beobachtet. Auch fanden sie bei der anschließenden Festnahme nach kurzer Verfolgung eines der Männer keine Tatmittel.
Weil aber kurz darauf der rote Ford Focus von Tilo P. brannte, wurde der Festgenommene sowie die geflohenen Unbekannten als Verdächtige gehandelt. Vor Gericht stellte sich allerdings anhand von Fotos heraus, dass der Zivilpolizist den Angeklagten vor einem anderen Fahrzeug als dem von P. beobachtet hatte. Auch hat das Auto, vor dem der Angeklagte sich laut dem Polizisten aufgehalten habe, an einem anderen Ort gestanden und sei „dunkel“ statt rot gewesen.
Die Staatsanwaltschaft Den Überblick in den Entwicklungen um die rechtsextreme Neuköllner Anschlagsserie zu behalten, ist gar nicht so einfach: Zuletzt ist in Berlins Exekutive einiges ins Rollen gekommen: Der mutmaßlich AfD-nahe Oberstaatsanwalt F., zuständig für alle politischen Delikte im Land Berlin, wurde wegen möglicher Befangenheit versetzt. Der in der rechten Anschlagsserie ermittelnde Staatsanwalt bat im Zuge dessen um seine Versetzung. Der geschasste Oberstaatsanwalt soll schon mal vor angehenden Jurist:innen rechte Verschwörungstheorien ausgebreitet haben und sein Amt offenbar auch politisch gedeutet haben – in linken Kreisen ist er schon länger als Scharfmacher bekannt, wie auch ein Prozess kürzlich verdeutlichte.
Viele Fragezeichen Auch schon länger bekannte Missständen in der Neuköllner Anschlagsserie können fast ein Buch füllen. Das Gröbste: Anfang Juni stellte sich heraus, dass ein Neuköllner Polizist Interna in einer AfD-Chatgruppe geteilt hatte, in der mit Tilo P. auch einer der Hauptangeklagten der Anschlagsserie war. Zudem hatte er in Mails 2016 AfDlern davon abgeraten, eine Veranstaltung eines gegen Rechts engagierten Buchhändlers zu besuchen. Dessen Auto brannte wenige Tage später. Desweiteren soll sich in dem Komplex ein LKA-Beamter mit dem Hauptverdächtigen Sebastian T. in einer rechten Szenekneipe getroffen haben. Ermittlungen dazu soll wiederum der mittlerweile versetzte Staatsanwalt eingestellt haben. Ebenso wenig wurde Ferat Kocak vor einem Brandanschlag auf sein Auto gewarnt – obwohl sowohl Verfassungsschutz als auch Polizei von konkreten Planungen gewusst hatten.
Selbst die Staatsanwaltschaft plädierte nach den Zeugenvernehmungen auf Freispruch. Die Richterin sprach den Angeklagten frei, weil er an einem anderen Fahrzeug beobachtet worden sei und die Spurenlage unzureichend sei.
Die Verteidigung kritisierte die Ermittlungen
Die Verteidigung des Angeklagten kritisierte die schlampigen Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei, aber auch Vorverurteilungen in der Presse. Ihr Mandat sei gebrandmarkt worden und NGOs wie die Antonio-Amadeu-Stiftung gleich mit. Es sei übel, wie die AfD versuche, zivigesellschaftliche Initiativen zu diskreditieren, sagte die Anwältin Martina Arndt.
Im November sollen noch Zeugen zur Festnahme und dem anderen Anklagepunkt Widerstand gehört werden. Aber auch hier deutete sich bereits an, dass die Beweislage eher dünn ist: Wahrscheinlich erscheint, dass der Angeklagte davon ausging, dass es sich bei den Zivilbeamten um Neonazis handele. So habe er laut nach der Polizei gerufen, während diese ihn festnehmen wollte.
Selbst ein befragter Polizist räumte ein, dass er sich vorstellen könne, dass der Verfolgte sie für Nazis gehalten hätte. Die seien in Südneukölln ja schließlich sehr aktiv. Nachdem ihm bei der Festnahme schließlich Handschellen angelegt wurden und ihm ein Dienstausweis gezeigt wurde, gab es keinen Widerstand mehr. Verletzt wurde bei der Festnahme niemand.
Offen bleibt die Frage, warum das Auto von Tilo P. brannte. Im Zuschauerraum wurde bereits darüber spekuliert, ob es sich um Versicherungsbetrug gehandelt habe. Während der Verhandlung wurde klar, dass der ältere Ford Focus für 2.500 Euro bei der DEVK versichert war.
Auch ließ aufhorchen, dass P. bei seiner Vernehmung als Geschädigter davon berichtete, dass er mit einer Brandstiftung bereits gerechnet hätte und normalerweise woanders parke. Emotional besonders betroffen sei er von der Brandstiftung nicht gewesen, wie ein Polizist berichtete, der ihn noch in derselben Nacht vernahm.
Zudem habe P. erzählt, dass ihn das LKA vor einen möglichen Anschlag auf sein Auto gewarnt habe – als einen möglichen linksextremistischen Racheakt – nachdem ein Jahr zuvor unter anderem das Auto vom Linken-Politiker Ferat Kocak gebrannt hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen