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Prozess um Alexej NawalnyVollzug fordert drei Jahre Haft

Begleitet von Festnahmen hat die Anhörung im Fall des Kreml-Kritikers Nawalny begonnen. Die russische Justiz fordert dreieinhalb Jahre Haft.

Alexej Nawalny am Dienstagvormittag vor dem Stadtgericht in Moskau Foto: dpa

Moskau (dpa) | Der russische Strafvollzug hat gegen den Kremlgegner Alexej Nawalny eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren gefordert. Der 44-Jährige habe gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen und insgesamt sieben Mal die Meldepflicht bei den russischen Behörden verletzt, hieß es vor Gericht. Nawalny wies dies zurück: „Ich war in Deutschland in Behandlung!“

Zudem forderte der Strafvollzug eine Geldstrafe von 500.000 Rubel (5.400 Euro), wie russische Agenturen aus dem Gerichtssaal am Dienstag meldeten. Der Strafvollzug hatte bereits zuvor erklärt, dass er die Bewährungsstrafe gegen Nawalny aus dem umstrittenen Verfahren von 2014 in echte Haft umwandeln lassen wolle.

Das Vorgehen steht als politisch motiviert in der Kritik. Die Staatsmacht rüste sich gegen Proteste von Nawalnys Unterstützern. Es gab mehr als 230 Festnahmen, wie das unabhängige Portal ovdinfo.org berichtete. Auch viele Journalisten kamen in Gewahrsam.

Die Verhandlung am Moskauer Stadtgericht lief unter einem beispiellosen Polizeiaufgebot ab. Das Moskauer Stadtgericht wurde von Hundertschaften der auf Anti-Terror-Einsätze spezialisierten Sonderpolizei OMON bewacht und weiträumig mit Metallgittern abgesperrt, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichtete.

Nawalny überlebte einen Mordanschlag

Nawalny überlebte im August nur knapp einen Mordanschlag mit dem international geächteten chemischen Kampfstoff Nowitschok. Der 44-Jährige macht für das Attentat Putin und Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB verantwortlich. Nawalny sieht den Prozess als Strafe des Kreml dafür, dass er nicht gestorben ist. Putin und der FSB hatten die Vorwürfe des Anschlags zurückgewiesen.

In seiner Zeit in Deutschland, als er sich von dem Attentat erholte, soll Nawalny sich nicht – wie in dem früheren Verfahren vorgeschrieben – bei den russischen Behörden gemeldet haben. Der Strafvollzug warf ihm nun vor Gericht vor, in Deutschland Sport getrieben und sich frei bewegt zu haben, ohne seinen Meldepflichten in Moskau nachzukommen.

Das Vorgehen der russischen Justiz hatte international Entsetzen ausgelöst. Die Bundesregierung forderte mehrfach die Freilassung Nawalnys. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe das frühere Strafverfahren gegen Nawalny als „grob willkürlich“ beurteilt.

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5 Kommentare

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  • @Galgenstein

    Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung,



    freie, geheime Wahlen und Korruptionsbekämpfung sind elementar



    wichtige Errungenschaften einer Zivilisation, die übrigens auch in den westlichen Demokratien gefährdet ist.

    Die Methode, die Nawalny aber wählt, ist dumm, wenn dies alles auch ohne Blutvergießen oder Knast, Gewalt und Repression umsetzbar ist. Es erinnert auch etwas an Don Quichotte.

    Wenn Nawalny gewinnen will braucht er



    diplomatische Immunität, mediale Präsenz, positive Referenzen, finanzielle Unterstützer.



    Er müsste immerzu auf der internationalen Weltbühne, meinetwegen per Videokonferenz,



    auf die Regierung Russlands einwirken und eben jemand sein, den man nicht liquidieren, wegsperren



    oder korrumpieren, der aber ständig



    mit den Bürgern Russlands + Regierung kommuniziert.



    Anstatt den großen unbeugsamen Helden zu mimen, hätte er im Ausland Geld sammeln sollen für seine Partei, für seine Familie und jene Leute, die noch inhaftiert werden.



    Leider spielt er letztlich das Spiel Putins mit und lässt sich im Knast



    zum Märtyrer malträtieren.

    Ich bin auch nicht der Meinung, dass beispielsweise die SPD-Leute in der Vorkriegszeit mit ihren Straßenschlachten und vielen Toten gegen die Rechten Paramilitärs richtig handelten. Auch sie haben den Konflikt auf eine Ebene verschoben, in denen sie nur verlieren konnten und erst recht die Ex-Militärs ihre volle Stärke ausspielen können. Damit haben sie die Gewaltspiralen angefacht, anstatt die Argumentationsketten und das Gedankengebäude der Rechten zu bloßzustellen und zu zerstören.

    Nawalny hat auch vielfach nicht gesagt, WIE er was erreichen will.



    In ganz vielen Fällen war er wenig konkret. Wo soll dann Putin und so seine Truppe denn dann Kompromisse aushandeln, wenn Nawalny letztlich



    seine politische, wirtschaftliche und



    soziale Existenz vernichten will.



    Natürlich läuft es dann auf eine Zerstörung Putins hinaus. Wird dadurch Russland besser?



    Nein, Nawalny müßte mehr liefern



    als nur eine Antiputin-Agitation.

  • @ Friderike Graebert



    Es geht um Machterhalt, innenpolitische Stabilität und die Zukunft Ihrer Familien sowie ihr politisches Erbe, sowie last but not least um ihr Leben in Wohlstand, Freiheit und Sicherheit.



    Natürlich wird die Obrigkeit sich nicht



    kampflos von Anständigkeitsappellen um ihre Existenz bringen lassen.

    Das ist auch von Seiten Nawalny wirklich blöd dies anzunehmen.



    Spätestens nach Syrien sollte klar sein,



    was so alles nicht möglich ist, wenn



    man schon die Kriegsgreuel in Tschetschenien vergessen hat, wobei der Tschetschenienkrieg notwendig war, um ein Auseinanderbrechen Russlands zu verhindern mit all den Gefahren für deren nationale und internationale Sicherheit.

    Ich halte von Nawalnys Eskalationsstrategie auch nichts, weil



    diese Destablisierung seine Anhänger, seine Familie und sich selbst ernstlich bedroht. Das ist auch politisch betrachtet ein dummer Weg.

    Schlauer wäre das Florett gewesen. Dafür hätte es aber auch in Europa Politiker*innen in Brüssel oder Genf oder Berlin, Paris, Oslo, Helsinki, Stockholm ... geben müssen, welche



    ihm eine Chance in Würde gegeben hätten politisch tätig zu sein (Sonderbotschafter) ohne



    seine Mitstreiter und sich selbst in Lebensgefahr zu bringen.







    Ob Nawalny wirklich konsequent auf



    Zurechnungsfähigkeit kontrolliert worden ist, weiß ich nicht.



    Vielleicht hat er dezente Hirnschädigungen durch den Anschlag erlitten, die sich in verminderter Urteilsfähigkeit äußern und in diesen Situationen existentiell bedrohlich sein könnten.

    Herr Nawalny hätte einen Kuraufenthalt angeboten bekommen sollen, um die erlittenen Schocks auch psychologisch zu verdauen mit samt



    seiner Familie.

    Die galanteste Antwort auf den Giftanschlag wären monatliche Pressekonferenzen des EU-Diplomaten Nawalny mit Putin Live im Fernsehen gewesen.

    • @Weltkauz:

      Nawalny kämpft für eine Sache deretwegen er Ihrer Meinung nach auf Unzurechnungsfähigkeit untersucht werden sollte: faire, freie und geheime Wahlen, Rechtsstaatsprinzip, Gewaltenteilung und gegen die endemische Korruption.



      "Normale" Menschen würden das natürlich niemals tun...+Da freut man sich doch, dass es ein paar Menschen gibt die nicht ganz so normal sind.

  • dreieinhalb Jahre Haft wegen des zuerst fahrlässigen dann aber mutwilligen sich Entziehens der Anordnung des staatlichen Frühablebens.



    Das ist doch eine milde Strafe im Gegensatz zur Todesstrafe.

    Und dann ist er auch noch freiwillig dahin zurückgekehrt.



    Was soll also das Gejammere.

    Puh, dass sie das so offensichtlich durchziehen zeigt einerseits die Skrupellosigkeit und andereseits die gegenwärtige Machtfülle des Pokerfaces und seiner Umgebeung.

    Ich glaube sie haben wirklich den Bezug zum normalen ethischen Empfinden verloren.



    Die merken das nicht mehr.

    • @Friderike Graebert:

      Es ist nur was die Staatsanwaltschaft fordert. Hierzulande kommen die Rechten aber glimpflicher davon.