Prozess nach Pick-Up-Amokfahrt: AfD-Funktionär im Zeugenstand
Der mutmaßliche Attentäter von Henstedt-Ulzburg war in der AfD. Im Prozess sagte nun ein Parteimitglied aus. Er blieb nicht immer bei der Wahrheit.
Es geht um eine Fahrt mit einem Pick-Up, bei der mehrere Personen verletzt wurden, die im Herbst 2020 an einer Kundgebung gegen eine AfD-Veranstaltung teilnahmen. Es sei eine „dumme Aktion“ gewesen, überhaupt zu der Kundgebung zu gehen, befand Flak. Ihm sei bereits am Abend der Tat klar gewesen, dass es sich um „ein außergewöhnliches Ereignis handelte, das der Partei schaden könnte“.
Damit übersah der AfD-Funktionär die Lage offenbar besser als die Polizei, die die Tat zunächst als „Verkehrsunglück“ einstufte. Einen Fehler hatte Flaks Aussage: Ein Gespräch mit Melvin S. am Küchentisch, dass der Zeuge ausführlich schilderte, hat gar nicht stattgefunden. Und auch wenn sich der AfD-Funktionär vor Gericht von Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung distanzierte, war in einem Flugblatt, dass die AfD kurz nach der Tat im Ort verteilte, viel von „linken Störungen“, aber nicht von der Amokfahrt die Rede.
Die Geräusche der Gegendemonstration habe er drinnen im Saal des Bürgerhauses gehört, dann berichtete die Lokalzeitung online über einen Warnschuss. Kurz darauf war von einem Vorfall mit einem Auto die Rede, schilderte Flak den Abend. Als Kreissprecher war er der lokal Verantwortliche, entsprechend habe er sich sofort bemüht, Informationen zu erhalten. Gegen 21 Uhr habe er mit dem Parteimitglied Melvin S. telefoniert, das er von Veranstaltungen und Stammtischen kannte. „Ich musste Bescheid wissen, etwa wenn Presseanfragen kommen“, sagt der 41-Jährige, der im Hauptberuf Referent der AfD-Bundestagsfraktion ist.
Seine Einschätzung stand rasch fest: Für die Partei könnte der Vorfall mit mehreren Verletzten negative Folgen haben. „Auch wenn zu dem Zeitpunkt nicht der Vorwurf im Raum stand, der heute erhoben wird, habe ich ihm zugeraten auszutreten, das erschien mir für Partei und für ihn das Beste“, sagte Flak.
AfD-Mann spricht von „Kurzschlusshandlung“
Dazu habe es am folgenden Tag ein Gespräch gegeben – mit Melvin S. und einem Kumpel, wie Flak zunächst schilderte: „Wir saßen uns am Küchentisch gegenüber, ich musste ihnen die Geschichte aus der Nase ziehen, die Stimmung war gedrückt.“ Warum S. mit dem schweren Wagen auf den Gehsteig gefahren sei, habe sich ihm nicht erschlossen: „Er hat dazu nichts Plausibles gesagt.“ Es sei wohl eine „Kurzschlusshandlung“ gewesen. Den Vorschlag, die Partei zu verlassen, habe S. akzeptiert. Am folgenden Tag sei, nach weiteren Mails und Telefonaten, sein Austrittsgesuch per Mail eingegangen: „Ich war froh“, sagte Flak.
Allerdings war wohl Melvin S. bei der Küchentischrunde gar nicht dabei gewesen – so steht es in Flaks Aussage bei der Polizei, mit der Richterin Maja Brommann den Zeugen konfrontierte. Offenbar habe er das falsch in Erinnerung, so Flak. Doch grundsätzlich blieb er bei seinen Aussagen, und das Gericht glaubte ihm, dass es sich um ein Versehen handelte.
Für das „Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“, das den Prozess mit Kundgebungen vor dem Gericht begleitet, zeige sich an der Person des AfD-Funktionärs „exemplarisch das Handeln der AfD: Hass und Hetze verbreiten, bei Widerspruch etwas zurückrudern und danneinfach weiter machen.“ Rechte Gewalttäter seien in der AfD willkommen, so lange sie nicht bekannt würden, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses. Julian Flak selbst habe sein Feindbild klar gemacht: „Gemeinsam #Antifa zur Strecke bringen!“, lautet ein Post von ihm. Die Flugblätter, die die AfD nach der Tat verteilte, seien „widerliche Täter-Opfer-Umkehr“.
Jan Kürschner, rechtspolitischer Sprecher der Grünen Landtagsfraktion, sagte der taz: „Damals hat Herr Flak zunächst behauptet, der Fahrer habe mit der AfD nichts zu tun. Das war gelogen. Eine Distanzierung der AfD von dem Vorfall ist nie erfolgt.“
Als weitere Zeugin sagte eine Ex-Freundin des Angeklagten aus. Weitere Verhandlungstage sind für November geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid