Prozess mit Comedy-Charakter: Gericht spricht Linken nur ein bisschen schuldig
Das Karlsruher Landgericht verurteilt den ehemaligen Linken-Abgeordneten Michel Brandt wegen Führen verbotener kurdischer Symbole zu einer Geldstrafe.

Das Strafverfahren gegen den früheren Parlamentarier ist ein Prozess, an dem die Comedians von Monty Python sicherlich ihre Freude gehabt hätten. Das Landgericht Karlsruhe versuchte die komplizierte Frage, ob KCK und PKK identisch sind, an einem Prozesstag zu klären, hantierte dafür mit Wikipedia-Artikeln und Organigrammen der jeweiligen Exekutiv-Komitees. Der Sachverständige des Bundesamtes für Verfassungsschutz – mit Tarnnamen und Perücke ausgestattet – glänzte eher mit politischen Schlussfolgerungen zum totalitären Charakter beider Organisationen als mit Detailinformationen zu möglichen Abgrenzungen oder Ähnlichkeiten. Und so steht die Frage im Raum, ob so ein Verfahren in diesen Feinheiten noch verhältnismäßig ist?
Nicht verurteilt wurde Brandt für seinen Auftritt auf Kundgebungen in Karlsruhe und Straßburg, auf denen er als Bundestagsabgeordneter gesprochen hatte. Dort standen Fahnen mit den fraglichen Symbolen im Hintergrund. Brandt hatte die Bilder im Netz verbreitet. Der Linkenpolitiker betonte vor Gericht, das seien angemeldete Demonstrationen, auf denen andere Parlamentsabgeordnete und Gewerkschaftsvertreter gesprochen hätten, die später nicht angeklagt worden seien.
Ihm werde nicht vorgeworfen, zu Terror oder anderen verbotenen Taten aufgerufen zu haben, er habe allein gegen die völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf die autonome Kurdenregion Rojava und gegen die deutschen Waffenlieferungen in die Region protestiert. „Warum sitze ich also hier?“, fragte Brandt empört. Über den Verfolgungsdruck, den die Staatsanwaltschaft über Jahre gegen ihn aufgebaut habe, könne er sich nur wundern.
Das Verfahren gegen Brandt zieht sich bereits seit Jahren hin. Einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft über 14.000 Euro, der wegen der Internetveröffentlichung ergangen war, hatte Brandt nicht akzeptiert, und war schon nach dem Strafbefehl vor das Amtsgericht gezogen. Dort hatte er einen Teilfreispruch erzielt. Die Geldstrafe für Brandt wurde damals auf 4.700 Euro reduziert.
„Ball flach halten“
Dagegen hatten der Politiker wie auch die Staatsanwaltschaft jedoch Berufung eingelegt. Bei einem ersten Termin vor dem Landgericht hatte der Richter eine Einstellung des Verfahrens angeregt, was die Staatsanwaltschaft aber ablehnte.
In der Urteilsbegründung sagte Richter Arndt Zimmermann, die Kammer wolle „den Ball strafrechtlich flach halten“, man müsse aber von bedingtem Vorsatz ausgehen, weil jemand wie Brandt, der sich mit der Materie beschäftigt habe, die Bedeutung der Symbole kennen könnte. Gleichzeitig habe sich sein Anliegen, auf die Menschenrechtslage in Kurdistan aufmerksam zu machen, im Sinne der Meinungsfreiheit strafmildernd ausgewirkt.
Brandt hatte schon früher Probleme wegen des Zeigens kurdischer Symbole. Während des Erdoğan-Staatsbesuchs 2018 entfernte die Bundestagspolizei eigenmächtig kurdische Embleme aus seinem Büro, ohne Brandt vorher zu kontaktieren. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass dies nicht verhältnismäßig war und seine Abgeordnetenrechte verletzt wurden.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes haben wir die Polizeibehörde, die Embleme aus dem Büro des Abgeordneten entfernt hat, falsch bezeichnet. Wir bitten, dies zu entschuldigen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
+++ Die USA unter Trump +++
Trump entlässt den Generalstabschef der US-Streitkräfte
Regierungsbildung nach Österreich-Wahl
ÖVP, SPÖ und Neos wollen es jetzt miteinander versuchen
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“