Prozess gegen Letzte Generation: Aktivist scheitert in der Berufung
Landgericht bestätigt Urteil gegen ein Mitglied der Letzten Generation. Dieser will nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Ein Aktivist der Letzten Generation hatte sich am 4. Februar 2022 auf die Straße gesetzt und damit eine Auffahrt zur A100 blockiert. Das Amtsgericht verurteilte ihn dafür im Oktober wegen Nötigung zu 600 Euro Geldstrafe. Begründet ist das Urteil damit, dass die Autofahrer:innen für rund anderthalb Stunden feststeckten und der Blockade nicht ausweichen konnten. Gemeinsam mit seinem Anwalt Lukas Theune legte der 21-Jährige Berufung ein.
Das Urteil sei fehlerhaft, Theune forderte darum Freispruch für seinen Mandanten und beruft sich auf Artikel 20a des Grundgesetzes: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“, und zwar „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“, heißt es da.
Theune appellierte besonders an die Rechtsprechung in Form des Vorsitzenden Richters Ralf Vogl, der mit dem Fall ein Beispiel setzen könnte. Die friedlichen Blockaden der Aktivist:innen „sind nicht verwerflich, sondern notwendig“, sagte Theune. Grund dafür sei der höhere Zweck, den sie damit verfolgten: die Regierung zum Handeln in der Klimakrise aufzufordern.
Der Aktivist steht zu seiner Tat
Im Nachgang des Protestes hatte die Polizei die blockierten Autofahrer:innen dazu aufgerufen, sich bei ihnen zu melden. Dem Aufruf gefolgt sei aber nur eine Person, die sich nach eigener Aussage nicht dadurch gestört gefühlt habe.
In einer emotionalen Rede erklärte der Aktivist seine Beweggründe: „Ich leugne nicht, was ich getan habe, ich stehe dazu“, sagte er. Es habe nie danach ausgesehen, dass er einmal vor Gericht stehen würde, doch die Klimakrise lasse ihn verzweifeln. „Ich habe das Vertrauen verloren, dass die Regierung die Krise im Griff hat.“ Darum sehe er sich in der Pflicht, das „Weiter so“ mit friedlichen Protesten zu stören.
Seine Unterstützer:innen, die dem Geschehen im vollen Besucherbereich des Gerichtssaals folgen, applaudierten ihm. Davon zeigte sich Richter Vogl wenig begeistert. Er drohte den Besucher:innen, sie rauszuwerfen und ein Ordnungsgeld zu verhängen. „Das ist ein Gerichtsprozess, keine politische Veranstaltung“, sagte Vogl.
Er wolle sich nur auf den Straftatbestand und weniger auf den Grund konzentrieren – und ein Exempel statuieren. Das wurde auch darin deutlich, dass er den Klimafolgenforscher Wolfgang Lucht als Sachverständigen ablehnte. Lucht ist unter anderem im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung.
Andere Protestformen gewünscht
Immer wieder bekommt der Angeklagte zu hören, man verstehe die Sorgen. Die Folgen der Klimakrise seien nicht abzustreiten, aber er und die Letzte Generation sollten andere friedliche Protestformen wählen.
„Man kann anderen nicht seinen eigenen Willen aufzwingen“, sagte Staatsanwalt Uwe Storm in seinem halbstündigen belehrenden Plädoyer. In seiner Erfahrung erreichten die Aktivist:innen mit ihren Blockaden wenig Zuspruch. „Danach wird nur über die Idioten, die die Straße blockieren, gesprochen.“
Es ginge in der Entscheidung um eine Grundsatzfrage. Spreche das Gericht ihn frei, weil er ein übergeordnetes Ziel verfolge, müsse es das auch bei anderen tun, die andere Ziele verfolgten. Als Beispiel nannte er Reichsbürger.
Am Ende bestätigte Vogl das Urteil des Amtsgerichts. Der Aktivist habe bewusst Gewalt angewendet und damit strafbare Nötigung begangen. Das verfolgte Ziel sei dabei nicht von Bedeutung. Bei dem 21-Jährigen sehe er Verbitterung und die Gefahr einer weiteren Radikalisierung.
Aktivist will Verfassungsbeschwerde einreichen
Über das Urteil zeigte sich der Aktivist enttäuscht. „Es hätte ein Zeichen gesetzt werden können“, sagte er zum Richter. Noch eine Woche lang kann das Urteil mit einer Revision angefochten werden. Die Letzte Generation kündigte im Nachgang in einer Pressemitteilung an, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker