Prozess gegen KZ-Wachmann Bruno D.: Ein Opfer erinnert sich
Der Überlebende Marek Dunin-Wasowicz berichtet im Prozess gegen den KZ-Wachmann Bruno D. von den Grausamkeiten im KZ Stutthof.
![Marek Dunin-Wasowicz sitzt im Landgericht Hamburg. Marek Dunin-Wasowicz sitzt im Landgericht Hamburg.](https://taz.de/picture/3761925/14/126059956.jpeg)
Seit dem 17. Oktober muss sich Bruno D. vor dem Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft dem 93-jährigen Rentner vor, als Wachmann zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen begangen zu haben. Von der Anklagebank schaut er zum Zeugenplatz, den Kopf leicht nach links geneigt. Eine sichtbare Betroffenheit des Angeklagten ist bei der fast zweistündigen Anhörung aber nicht wahrzunehmen.
Mit fester Stimme erzählt Dunin-Wasowicz. Der ebenfalls 93-Jährige will berichten, aber die simultane Übersetzung bremst die Darstellung. Im Lager habe jeder von der Gaskammer und dem Krematorium mit den Öfen gewusst, später auch von den Scheiterhaufen, sagt er. Um zu überleben, habe er sich bei einem Arbeitseinsatz einen Baumstamm auf den rechten Fuß fallen lassen, die große Zehe zerquetscht und die kleine leicht verletzt. Von der Krankenbaracke aus, sagt er, habe er die Gaskammer und das Krematorium sehen können.
Auf Nachfrage Meier-Mörings räumt Dunin-Wasowicz, der nach 1945 als Journalist arbeitete und auch zum KZ Stutthof forschte, ein, dass es nicht immer leicht sei, zu unterscheiden, was er selbst erlebt oder recherchiert habe. Die vorsichtige Intervention hilft dem Zeugen, sich mehr zu öffnen.
Im KZ hätten keine Morgenappelle stattgefunden, sagt er. Die Appelle hätten stattgefunden, wenn ein Häftling versucht habe, zu fliehen. Egal bei welchem Wetter, egal zu welcher Jahreszeit hätten die Häftlinge bewegungslos am Hauptort strammstehen müssen, bis der Geflohene wieder gefasst gewesen sei.
Zum Appell seien die Häftlinge auch gerufen worden, wenn eine Exekution angestanden habe. An einem Holzblock seien die Opfer so festgebunden worden, dass der Rücken frei gelegen habe. Mehr als 30 Peitschenhiebe habe keiner ausgehalten, sagt Dunin-Wasowicz. Nicht alle hätten die Hinrichtung sehen, jedoch alle die „wehleidige Stimme“ hören können.
Dunin-Wasowicz kam – wie der Beschuldigte auch – mit 17 Jahren ins KZ Stutthof. Er sei geschlagen und getreten worden. Schon als Jugendlicher sei er wie die gesamte Familie im Widerstand gewesen, habe „kleine Sabotageakte“ verübt, Parolen gemalt und öffentliche Verlautbarungen der deutschen Besatzer abgerissen. Seinem Vater und seiner Mutter hätten unter anderem jüdische Bekannte geholfen, die Geld organisierten, sowie sein älterer Bruder, der Jugendoffizier bei der Heimatarmee gewesen sei.
Den älteren Bruder habe die Gestapo als Ersten geholt und gefoltert. Mit einer Geldzahlung sei er herausgeholt worden, Tage später aber sei die Familie ins Gefängnis Pawiak gebracht worden. Nach der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto nutzten die Nationalsozialisten die alte Haftanstalt wieder als Gefängnis. „An jedem Morgengrauen wurden Häftlinge aus den Zellen gezogen und dann erschossen, unmenschlich und unglaublich“, sagt Dunin-Wasowicz.
Im KZ habe sich sein Bruder sofort dem klandestinen Untergrundnetzwerk angeschlossen. Aus diesem Kreis sei auch der Hinweis eines Arztes gekommen, dass Dunin-Wasowicz so schlimm aussehe, dass „sie dich bald vernichten“. Seine Rettung sei seine Selbstverstümmelung gewesen.
Am kommenden Mittwoch wird Dunin-Wasowicz weiter vernommen.
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