Prozess gegen Autonome: Deutungskampf nach Angriff
Antifaschist*innen sollen in Budapest neun Personen angegriffen haben. Waren die Opfer nur Passant*innen, wie rechte Medien behaupten?
„Ich wurde fast getötet, weil ich rechts bin“, sagte László Dudog in einem am Mittwoch in der rechten italienischen Zeitung il Giornale erschienenen Interview. Mit seiner Verlobten sei er auf dem Nachhauseweg von einem Konzert gewesen, als der Angriff passierte. Öffentlich sei er davor „nur“ als rechter Musiker wahrnehmbar gewesen, gibt er sich unschuldig.
Neben Dudog und seiner Verlobten sollen rund um den letztjährigen rechtsextremen Gedenktag „Tag der Ehre“ in Budapest sieben weitere Personen von Antifaschist*innen angegriffen und teils schwer verletzt worden sein. In rechten und rechtsextremen Medien hieß es in der Folge, die Angegriffenen seien unschuldige Passant*innen. Auch die FAZ hatte dieses Narrativ übernommen. Dudog räumt im Interview nun ein, rechts zu sein.
Bilder, die der taz vorliegen, zeigen ihn sogar in einem klar rechtsextremen Licht. Auf einem trägt er ein T-Shirt des rechtsextremen und in Deutschland bereits seit Jahren verbotenen Neonazi-Netzwerks Blood and Honour. Hier soll er taz-Informationen zufolge unter dem Namen Csöpi bekannt und ein in Ungarn führender Kader sein. Auf einem anderen Bild ist er in einem T-Shirt zu sehen, das den Nazi Rudolf Heß als „Märtyrer für den Frieden“ bezeichnet.
Und wie rechtsextrem seine Band Divízió 88 ist, lässt sich an ihrem selbst in Ungarn verbotenen Song „Halálgyár“, zu Deutsch „Todesfabrik“, erahnen. Darin ist von „verkohlten Kindern und gefolterten jüdischen Huren“ die Rede.
Weitere organisierte Neonazis unter den Angegriffenen
Dudok ist kein Einzelfall. Mindestens sechs weitere der Angegriffenen sind dem organisierten rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Darunter drei polnische Unterstützer der rechtsextremen Partei „Ruch Narodowy“ („Nationale Bewegung“), die laut ihres Wortführers Robert Winnicki eine Kraft werden wolle, „vor der sich Linke, Liberale und Schwuchteln fürchten werden“ und der budapester Neonazi Tamás Lipták.
Lipták ist ein führendes Mitglied der ungarischen Neonazi-Organisation Légío Hungária. Die hetzt auf ihrer Website und in ihrem Telegram Channel nicht nur massiv gegen queere und migrantische Menschen, sondern organisiert auch gemeinsam mit deutschen Neonazis internationale, rechtsextreme Kampfsportevents.
Und auch der deutsche Neonazi Robert F. und seine Freundin Sabine B. aus Melle in Niedersachsen gehören zu den Angegriffenen. In einem Interview mit dem rechtsextremen Youtube-Kanal Löwenstadt Fightclub, mit dem Titel „Nazi vs Antifa“, hält F. in Kleidung des rechtsextremen Versandhandels Label 23 seine Narben in die Kamera, verspricht jedoch, sich nicht einschüchtern zu lassen, sondern immer weiterzumachen. Er trainiere nun Thaiboxen und sei immer bereit, anzugreifen, sagt er.
Prozess gegen Antifaschist*innen hat begonnen
Für drei der mutmaßlichen Angreifer*innen begannen in der vergangenen Woche hingegen die Prozesse. Der aus Berlin stammende Tobias E. gestand bereits den Vorwurf, Teil einer internationalen kriminellen Vereinigung zu sein. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, hat jedoch, wie auch die Staatsanwaltschaft, Berufung gegen das Urteil eingelegt. Für die zwei weiteren Antifaschist*innen aus Deutschland und Italien, Anna M. und Illaria S. wird der Prozess am 24. Mai dieses Jahres fortgesetzt. Ihnen drohen langjährige Haftstrafen. Anna M. durfte zumindest vorübergehend unter Auflagen wieder aus Ungarn ausreisen.
Gegen 12 weitere mutmaßliche Angreifer*innen läuft bereits seit dem vergangenen Jahr eine europaweite Fahndung. Zwei von ihnen wurden im November und Dezember 2023 festgenommen, Garbiele M. in Mailand und Maja T. in Berlin. Für beide hat die ungarische Staatsanwaltschaft eine Auslieferung beantragt.
Ob den Auslieferungsersuchen stattgegeben wird, ist derzeit jedoch noch unklar. In Berlin prüft das Kammergericht den Fall T. Die italienischen Behörden hingegen blockieren die Auslieferung von M. bisher. Grund für diese Blockadehaltung seien die mangelhafte Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und die zum Teil als unmenschlich beschriebenen Haftbedingungen, die zuletzt auch Illaria S. in einem Brief massiv kritisert hatte.
Zum „Tag der Ehre“ reisen auch am kommenden Wochenende wieder tausende Rechtsextremist*innen nach Ungarn, zeigen unbehelligt Hitlergrüße und marschieren in Wehrmachtsuniformen durch die Öffentlichkeit. Auch in diesem Jahr mobiliseren Antifaschist*innen zum Gegenprotest.
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