Protesttermine in Berlin: Housing oder Profite first?
Das effektivste Mittel gegen Obdachlosigkeit bleibt die eigene Wohnung. Gar nicht so einfach in einer Stadt, in der Rendite vor Menschenwürde geht.
D ie für nächste Woche geplante Obdachlosenzählung in Berlin wurde abgesagt, weil es zu wenige Freiwillige gibt. Bereits im Vorfeld hatten Initiativen wie die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen die Erhebung kritisiert, unter anderem weil sie in ihren Augen würdelos ist und ihr Nutzen gering. So hatte die erste Zählung im Januar 2020 überraschend niedrige Zahlen von weniger als 2000 Obdachlosen in der Hauptstadt gebracht.
Schätzungen waren zuvor von 6.000 bis 10.000 Obdachlosen ausgegangen. Laut Expert*innen sind die Ergebnisse allerdings alles andere repräsentativ, weil sich viele Menschen der Zählung entzogen hätten. Obdachlosigkeit sei mit Scham behaftet, wer obdachlos sei, wolle sich als solcher nicht identifizieren lassen, sagte Werner Franke von der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen zur taz.
Statt einen enormen Aufwand zu betreiben, die Menschen, die auf der Straße leben, zu zählen, sollte ihnen lieber konkret geholfen werden – etwa mit einer Wohnung, begründen Betroffene und ihre Unterstützer*innen ihre Ablehnung der geplanten Erhebung, die nun auf Januar nächstes Jahr verschoben wurde.
Immerhin hat der Senat das Ziel ausgegeben, bis 2030 Obdachlosigkeit in der Hauptstadt zu beenden. Kern des Plans bildet das Prinzip Housing First: Die betreute Vermittlung von wohnungslosen Menschen in eigene Mietverträge ohne große bürokratische Hürden. Allerdings fanden seit Projektstart im Jahr 2018 erst rund 80 Menschen mit Housing First eine feste Bleibe.
Zurück in die Obdachlosigkeit
Erfolgreicher ist da die Initiative „Leerstand hab ich Saath“, die nach der Besetzung eines seit vielen Jahren leerstehenden Gebäudes in Berlin-Mitte auf einen Schlag 56 Obdachlose mit Wohnraum versorgen konnte.
Seit Anfang des Jahres können die ehemaligen Obdachlosen in der Habersaathstraße 40-47 in ihren eigenen vier Wänden zur Ruhe kommen. Der Sozialträger „Neue Chance“ im Erdgeschoss hilft ihnen dabei, eine langfristige Perspektive jenseits von der Straße zu bekommen. Möglich machte dies eine Vereinbarung zwischen dem Bezirk und dem Eigentümer, der Arcadia Estates GmbH, über eine Zwischennutzung.
Die will den Gebäudekomplex aus den 1980er Jahren seit Jahren abreißen lassen, um dort neu und teuer zu bauen. Während sich der Bezirk anfangs noch dafür einsetzte, dass die Obdachlosen bis zur Sanierung der rund 120 Wohnungen oder ihrem etwaigen Abriss bleiben können, hat er sie nun offenbar aufgegeben: Die Eigentümerin fordert die Räumung bis Ende des Monats und das Bezirksamt sieht sich machtlos, etwas dagegen zu unternehmen.
Die 56 neuen Bewohner*innen wollen jedoch nicht zurück auf die Straße und wehren sich gegen ihren Rausschmiss. Unterstützung bekommen sie dabei von der Lauratibor Protestoper, die Berliner Geschichten von Verdrängung und Widerstand aufgreift und sie als bunte Demo verbreitet. Los geht es diesen Samstag mit einer Demo gegen den Ausverkauf der Stadt und eine Woche später mit einer Kundgebung vor dem Obdachlosen-Hausprojekt in der Habersaathstraße (Sa. 18.6. 17 Uhr Reichenberger Str./Ratiborstr. & 26.6. 17 Uhr Habersaathstr. 40-48).
Die Habersaathstraße ist längst zum Symbol geworden für den Kampf gegen Investor*innen, denen das Allgemeinwohl nichts und ihre Börse alles bedeutet. Genau die wollen nächste Woche Mittwoch in Berlin die Stadt von Morgen diskutieren. 3.000 Teilnehmer*innen haben sich angekündigt, inklusive Politikprominenz wie Friedrich Merz. Das Berliner Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn will ihnen zeigen, dass die Stadt der Zukunft nicht den Investor*innen, sondern den Mieter*innen gehört, und ruft für den Tag zu einer wütenden Krach-Demonstration auf (Mittwoch 22.6., 16.30 Uhr, Blücherplatz Kreuzberg).
Autobahnblockieren for Future
Dass dieser Planet nicht rücksichtslosen Unternehmen gehört, die ihn aus Profitgier zugrunde richten, sondern den Menschen, die auf ihm leben, wollen Klimaschutz-Aktivist*innen ab diesem Samstag zeigen. Die Gruppe „Letzte Generation“ will wieder Autobahnen blockieren, „um den fossilen Wahnsinn zu stoppen“, und dafür noch mehr Menschen als bisher mobilisieren.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
69 Blockaden von Autobahnen und 50 Aktionen öffentlichen Containerns haben die Aktivist*innen nach eigenen Angaben bislang durchgeführt, um die Bundesregierung zu einem Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung zu bewegen. Gebracht hat das alles nichts, also soll weiter gehen mit den Aktionen, die im März wegen des Krieges in der Ukraine unterbrochen worden waren.
Mittlerweile geht es der „Letzten Generation“ nicht mehr nur um Lebensmittelverschwendung, sondern um eine vollständige Abkehr „von zukünftiger Infrastruktur für fossiles Öl, Kohle und Gas“. Dafür sei man bereit „alles zu riskieren – unsere persönliche Sicherheit und gar Gefängnisstrafen – um als Gesellschaft aus diesem Klimanotfall herauszufinden“, heißt es in dem Aufruf der Aktivist*innen.
Dafür habe man in den vergangenen Wochen deutschlandweit Vorträge und Treffen organisiert und immer mehr Menschen in gewaltfreiem, zivilen Widerstand trainiert. Ab dem 18. Juni wollen die Klimaaktivist*innen in Berlin die Autobahnen zum „Ort des friedlichen Widerstands“ machen (Samstag 18. Juni, Anmeldung unter www.letztegeneration.de).
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