Proteste von Ende Gelände in Hamburg: „Es gibt eine koloniale Komponente“
Klimakrise und Rassismus hängen für Aktivistin Elia Nejem zusammen. Deshalb will sie bei Ende Gelände einen migrantischen Protest starten.
taz: Frau Nejem, zeitgleich zu einer Blockade von Ende Gelände am Flüssiggasterminal in Brunsbüttel rufen Sie auch zu einer „Anti-Kolonialen Attacke“ in Hamburg auf. Was kann man sich denn darunter vorstellen?
Elia Nejem: Das wird auch eine Aktion des zivilen Ungehorsams für Klimagerechtigkeit. Und sie wird vor allem von Menschen of Colour getragen. Blockaden wird es geben, aber zum genauen Konzept und Ort kann ich noch nichts sagen.
Weiße Aktivist:innen sind „auch eingeladen“, sollen sich aber nicht in den Vordergrund drängen. Haben Sie da böse Mails bekommen?
Nein, zumindest habe ich davon nichts mitbekommen. Es gab in der Klimagerechtigkeitsbewegung in der letzten Zeit viel Kritik an der nicht vorhandenen Rassismus-Reflektion. Ich denke, dass sich Menschen vermehrt damit auseinandergesetzt haben, dass wir solche Räume brauchen.
Elia Nejem ist Klimaaktivistin und Sprecherin des Aktionsbündnis Ende Gelände. Das ist vor allem für Blockade-Aktionen in den deutschen Kohlerevieren bekannt.
Schwarze Menschen und People of Colour haben vor ein paar Jahren extra das Kollektiv Black Earth gegründet, um so einen eigenen Raum zu haben. Warum ist die Klimabewegung in Deutschland so weiß?
Ein Grund dafür, dass Menschen of Colour sich in weißen Räumen häufig unwohl fühlen, ist auf jeden Fall die rassistische Dynamik. Wenn man ständig gefragt wird, wo man herkommt oder gleich auf Englisch angesprochen wird, bekommt man das Gefühl, dass man da nicht hingehört.
Also liegt es am Verhalten der weißen Klimaaktivist:innen?
Ja, aber nicht nur. Ein weiterer Grund ist strukturelle Ungleichheit. Aktivismus ist für weiße Menschen tendenziell einfacher. Sie haben eher Zugang zu Bildung und Studium. Sie müssen sich seltener damit rumschlagen, wie sie nun Geld verdienen, weil Reichtum sich eben eher in weißen Familien sammelt. Und dann muss man auch sagen: Speziell Aktionen zivilen Ungehorsams sind für Menschen of Colour riskanter. Wir leben in einer Gesellschaft, die rassistisch geprägt ist, mit einem Polizeiapparat, der auch rassistisch geprägt ist.
Sie sind ja selbst als Person of Colour zur Klimabewegung gestoßen, wie haben Sie das erlebt?
Ich glaube, es ist erst mal wichtig zu sagen, dass ich Person of Colour, aber nicht Schwarz bin. Ich bin schon auch manchmal white-passing, würde ich sagen.
Das heißt, manche Menschen ordnen Sie als weiß ein und dann machen Sie natürlich keine persönlichen Rassismus-Erfahrungen.
Genau. Ich habe mich auf jeden Fall von Anfang an sehr wohlgefühlt bei Ende Gelände. Aber dann hab ich schon auch manchmal die Erfahrung gemacht, dass Leute antirassistische Kämpfe einfach nicht so wichtig fanden. Da war ich etwas vor den Kopf gestoßen und habe gemerkt: Die Menschen haben das gar nicht so auf dem Schirm. Sie kommen oft erst auf die Idee, sich damit zu beschäftigen, wenn Menschen of Colour auf den Tisch hauen.
Das heißt, Sie fanden, dass Rassismus in den politischen Forderungen nicht ausreichend berücksichtigt wurde?
Wobei bei Ende Gelände im Vergleich zu anderen Teilen der Klimabewegung jetzt schon eher die Leute sind, die solche Verbindungen ziehen. Also, dass man auch den Kapitalismus bekämpfen muss, der darauf basiert, den Planeten und die Menschen auszubeuten – und den Rassismus, der es legitimiert, dass das in besonderem Maße People of Colour sind. Koloniale Strukturen haben auch heute noch Bestand, davon profitieren Länder wie Deutschland. Auch beim Thema Gas gibt es so eine koloniale Komponente.
Inwiefern?
Wir hier in Deutschland wollen kein Fracking, weil das zu riskant ist. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass wir durch Fracking gefördertes Gas importieren, zum Beispiel über das Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel. Und das kommt dann vor allem aus dem globalen Süden.
Na ja, und aus den USA.
Das stimmt. Aber in den USA sind besonders oft indigene Communitys von den Risiken betroffen. Auch das sind People of Colour, die unter dem Kolonialismus gelitten haben und immer noch leiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs